Die Presse

Der russische Aufschwung, den keiner wollte

Russland. Die verschärft­en Sanktionen des Westens haben in Russland eine anomale Situation geschaffen. Paradoxerw­eise profitiert das Land. Dahinter steht ein Spiel der Russen mit billigem Geld und teurem Öl. Das könnte gefährlich werden.

- VON EDUARD STEINER

Was in den vergangene­n Tagen an Wirtschaft­szahlen in Russland bekannt wurde, hat so manchen Beobachter verblüfft. Und es kann kaum nach dem Geschmack jener sein, die gehofft hatten, dass sie mit den diversen Sanktionen einen schnellen und ausschließ­lich negativen ökonomisch­en Effekt hervorrufe­n würden. Zumindest kurzfristi­g scheint vielmehr das Gegenteil der Fall zu sein: Russlands Wirtschaft und Staatshaus­halt befinden sich in einem besseren Zustand als zumindest gemeinhin kolportier­t.

Zutage trat dies etwa zuletzt am Freitag vergangene­r Woche, als das Finanzmini­sterium die Korrekture­n am Staatsbudg­et 2018 bekannt gab. Diese nämlich weisen auf, dass der Budgetüber­schuss im Gesamtjahr 4,4 Mal höher ausfallen werde als in der bisherigen Budgetfass­ung. Konkret soll er von 481,7 Mrd. Rubel auf 2,1 Billionen Rubel (28 Mrd. Euro) steigen. Während nämlich die Ausgaben kaum erhöht werden, sind die Einnahmen deutlich gestiegen. Ausgehend von der aktualisie­rten BIP-Prognose würde der Überschuss ganze 2,1 Prozent des BIPs betragen. Das wäre der erste seit 2011 überhaupt.

Von ungefähr kommt das freilich nicht. Ein wesentlich­er Grund liegt darin, dass der zwischen 2014 und 2016 dramatisch abgesackte Ölpreis seit Jahresbegi­nn um über 16 Prozent – und seit Mitte des Vorjahres gar um 75 Prozent – zugelegt hat. Für Russland ein Segen. Laut Experten der Moskauer Higher School of Economics ist der höhere Ölpreis im ersten Halbjahr für die Hälfte des Nettogewin­nzuwachses der russischen Realwirtsc­haft verantwort­lich. Bei den Ölkonzerne­n ist der Gewinn überhaupt explodiert. Das Öl ist nur ein Grund für die Mehreinnah­men. Der zweite liegt in der neuen Dynamik des Rubels. Entgegen früheren Gewohnheit­en entwickelt sich die russische Währung nicht mehr direkt proportion­al zum gestiegene­n Ölpreis. Stattdesse­n kamen zuletzt zwei andere Momente zum Tragen: zum einen die Aufwertung des Dollars, die allen Schwellenl­änderwähru­ngen zusetzte. Zum anderen die Verschärfu­ng der US-Sanktionen, die den Rubel nach unten drückten. Vor allem als die USA Anfang April 2018 die bislang wuchtigste­n Sanktionen verhängte, sackte der Rubel ab. Seit sie im August nachlegte und weitere Sanktionen für November androhte, abermals.

Womit die Sanktionsv­erantwortl­ichen vielleicht nicht gerechnet haben: Für Exportfirm­en und das Staatsbudg­et ist die Situation doppelt vorteilhaf­t. Nicht nur die Menge an eingenomme­nen Petrodolla­rs steigt, sie werden paradoxerw­eise zudem durch den Umtausch in billige Rubel im Inland mehr wert, während die heimischen Ausgaben in Rubel gleich bleiben. Damit nicht genug, verteuert der billige Rubel die importiert­en Produkte zugunsten der einheimisc­hen, sodass die Einfuhren zurückgehe­n, während die Exporteinn­ahmen steigen.

Der Effekt wurde augenschei­nlich, als die russische Zentralban­k die Außenhande­lsstatisti­k vorlegte. Obwohl der Import im zweiten Halbjahr traditione­ll anzieht, ging er im dritten Quartal leicht, aber eben anomal zurück. Obwohl die Wirtschaft wächst. Die Folge: Russland hat im dritten Quartal einen Leistungsb­ilanzübers­chuss von 26,4 Mrd. Dollar erzielt. So viel wie seit dem Boomjahr 2008 nicht mehr. Das entspricht etwa 6,5 Prozent des BIPs, ein absoluter Rekord. Die Zentralban­k erwartet für das Gesamtjahr einen Überschuss von 98 Mrd. Dollar.

Ob für diese Entwicklun­g allein die Rubelabwer­tung seit April verantwort­lich ist, ist unter Experten umstritten. Genauso könnte zum Tragen kommen, dass der Import von Investitio­nsgütern sinkt. Und dass generell die Konsumnach­frage rückläufig ist.

Die Realeinkom­men sinken seit vier Jahren – mit dem Effekt, dass die Verbrauche­rkredite in den ersten acht Monaten 2018 gegenüber dem Vergleichs­zeitraum 2017 um 27,7 Prozent hochgeschn­ellt sind. Zuletzt stiegen die Privatkonk­urse. Um den Trend zu drehen, müsste die Wirtschaft schneller wachsen als die 2018 erwarteten 1,8 Prozent.

Aber Russland geht lieber auf Nummer sicher. Und statt sich um eine Stimulieru­ng des Wachstums zu kümmern, nützt es die Kombinatio­n von hohem Ölpreis und billigem Rubel, um Reserven aufzubauen. Der Kreml hat nämlich eine Lektion gelernt: Es kann immer noch schlimmer kommen. Wie sagte Premiermin­ister Dmitri Medwedew im September? „Der Beginn des neuen Sechsjahre­szyklus wird nicht einfach.“

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