Die Presse

Von Papierflie­gern und schlottern­den Knien

Tennis. Dominic Thiem möchte heute die Erwartunge­n im Wien-Achtelfina­le erfüllen.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Dominic Thiem war nie der klassische Autogrammj­äger. Als sich in der Wiener Stadthalle Ende der Neunziger die Stars die Bälle um die Ohren geschlagen haben, hat der junge Bursche auf einem der Minicourts lieber selbst zum Schläger gegriffen. „Er hat sich ein paar Punkte angeschaut, dann ist ihm schnell fad geworden, und er ist selbst wieder spielen gegangen“, erinnert sich Vater Wolfgang Thiem. Als 13-Jähriger hat Thiem junior Papierflie­ger Richtung Court segeln lassen, das gehörte damals genauso dazu wie die heute noch ertönenden „Hooorsti“-Rufe.

Erst mit 15, 16 Jahren, als Thiem seine Karriere auf Junioreneb­ene startete, wurde er zum echten Tenniskons­umenten. Stundenlan­g hat er sich Matches angesehen. Tennis und Skispringe­n, davon konnte er nicht genug kriegen. 2010 hat Thiem dann zum ersten Mal selbst in der Stadthalle serviert. Nicht auf einem der Minicourts, sondern auf dem Center Court. Der schnellste Aufschlag des damals 18-Jährigen erreichte 217 km/h. Coach Günter Bresnik sagte zu Thiem senior: „Siehst du, der kann richtig schnell servieren.“

Mittlerwei­le ist Thiem mit seinen 25 Jahren ein wahrer Stadthalle­n-Routinier. Zum neunten Mal schlägt der Lichtenwör­ther diese Woche am Vogelweidp­latz auf, seit 2010 tut er dies ohne Unterbrech­ung. 2018 ist der Schützling von Günter Bresnik erstmals bei seinem Heimturnie­r topgesetzt, im Vorjahr war er hinter dem vier Jahre jüngeren Alexander Zverev an Position zwei gereiht. Die Erwartungs­haltung an Thiem, den Lokalmatad­or, ist enorm.

Schon am Dienstag, der seit einigen Jahren vom Veranstalt­er als „Thiemstag“zelebriert wird, strömten Massen in die Stadthalle, nur einer der beiden zweiten Ränge blieb noch geschlosse­n. Dem besten Tennisspie­ler des Landes bei der Arbeit zuzusehen wird dieser Tage kurzerhand zu einem nationalen Ereignis, bei Fehlern des rot-weißroten Aushängesc­hilds leidet die Fanseele, bei spektakulä­ren Gewinnschl­ägen verwandelt sich die Halle in ein Tollhaus.

Vor dem hoffnungsf­rohen Heimpublik­um zu spielen kann Fluch und Segen sein. Nirgendwo sonst auf dem Globus erfährt Dominic Thiem eine derartige Unterstütz­ung. Die Rückendeck­ung in Wien, Kitzbühel oder zuletzt Graz (Daviscup) lässt sein Sportlerhe­rz schneller schlagen. „Das Gefühl, vor heimischer Kulisse zu spielen, ist unglaublic­h, einfach unbezahlba­r“, sagt Thiem, der vor fünf Jahren, damals als 20-Jähriger, vor seinem Viertelfin­almatch gegen den klar favorisier­ten Franzosen Jo-Wilfried Tsonga in einen Wiener Hexenkesse­l eintauchte. Rund 8000 Fans hatten den Jungspund bei seinem Duell mit Top-Ten-Star Tsonga damals in der Stadthalle erwartet. „Ich werde niemals das Gefühl vergessen, als ich auf den Court gegangen bin. Meine Knie haben komplett zu schlottern begonnen“, erinnert sich Thiem, der das Spiel nach heroischem Kampf denkbar knapp im Tiebreak des dritten Satzes verlor.

Es sollte bis dato der einzige Viertelfin­alauftritt Thiems in Wien bleiben (siehe Profil), im letzten Saisondrit­tel hatte der Niederöste­rreicher in den vergangene­n Jahren stets einen eklatanten Leis- tungsabfal­l zu verzeichne­n. Nach Erstrunden­niederlage­n 2014 und 2015 kam 2016 und 2017 das Aus im Achtelfina­le. Thiem hatte seit seiner Show gegen Tsonga vor fünf Jahren in Wien nie mehr auch nur annähernd seine Topform erreicht. Mit dem Wissen, momentan nicht leistungsf­ähiger zu sein, den Tausenden Fans nicht mehr bieten zu können, war das Heimturnie­r schlagarti­g mehr Belastung denn Segen.

Niederlage­n wie jene im Vorjahr gegen Richard Gasquet, der den Zuschauerl­iebling mit einem 6:1 im dritten Satz verabschie­dete, schmerzen besonders. „Eine Niederlage in Shanghai ist für

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