Von Papierfliegern und schlotternden Knien
Tennis. Dominic Thiem möchte heute die Erwartungen im Wien-Achtelfinale erfüllen.
Dominic Thiem war nie der klassische Autogrammjäger. Als sich in der Wiener Stadthalle Ende der Neunziger die Stars die Bälle um die Ohren geschlagen haben, hat der junge Bursche auf einem der Minicourts lieber selbst zum Schläger gegriffen. „Er hat sich ein paar Punkte angeschaut, dann ist ihm schnell fad geworden, und er ist selbst wieder spielen gegangen“, erinnert sich Vater Wolfgang Thiem. Als 13-Jähriger hat Thiem junior Papierflieger Richtung Court segeln lassen, das gehörte damals genauso dazu wie die heute noch ertönenden „Hooorsti“-Rufe.
Erst mit 15, 16 Jahren, als Thiem seine Karriere auf Juniorenebene startete, wurde er zum echten Tenniskonsumenten. Stundenlang hat er sich Matches angesehen. Tennis und Skispringen, davon konnte er nicht genug kriegen. 2010 hat Thiem dann zum ersten Mal selbst in der Stadthalle serviert. Nicht auf einem der Minicourts, sondern auf dem Center Court. Der schnellste Aufschlag des damals 18-Jährigen erreichte 217 km/h. Coach Günter Bresnik sagte zu Thiem senior: „Siehst du, der kann richtig schnell servieren.“
Mittlerweile ist Thiem mit seinen 25 Jahren ein wahrer Stadthallen-Routinier. Zum neunten Mal schlägt der Lichtenwörther diese Woche am Vogelweidplatz auf, seit 2010 tut er dies ohne Unterbrechung. 2018 ist der Schützling von Günter Bresnik erstmals bei seinem Heimturnier topgesetzt, im Vorjahr war er hinter dem vier Jahre jüngeren Alexander Zverev an Position zwei gereiht. Die Erwartungshaltung an Thiem, den Lokalmatador, ist enorm.
Schon am Dienstag, der seit einigen Jahren vom Veranstalter als „Thiemstag“zelebriert wird, strömten Massen in die Stadthalle, nur einer der beiden zweiten Ränge blieb noch geschlossen. Dem besten Tennisspieler des Landes bei der Arbeit zuzusehen wird dieser Tage kurzerhand zu einem nationalen Ereignis, bei Fehlern des rot-weißroten Aushängeschilds leidet die Fanseele, bei spektakulären Gewinnschlägen verwandelt sich die Halle in ein Tollhaus.
Vor dem hoffnungsfrohen Heimpublikum zu spielen kann Fluch und Segen sein. Nirgendwo sonst auf dem Globus erfährt Dominic Thiem eine derartige Unterstützung. Die Rückendeckung in Wien, Kitzbühel oder zuletzt Graz (Daviscup) lässt sein Sportlerherz schneller schlagen. „Das Gefühl, vor heimischer Kulisse zu spielen, ist unglaublich, einfach unbezahlbar“, sagt Thiem, der vor fünf Jahren, damals als 20-Jähriger, vor seinem Viertelfinalmatch gegen den klar favorisierten Franzosen Jo-Wilfried Tsonga in einen Wiener Hexenkessel eintauchte. Rund 8000 Fans hatten den Jungspund bei seinem Duell mit Top-Ten-Star Tsonga damals in der Stadthalle erwartet. „Ich werde niemals das Gefühl vergessen, als ich auf den Court gegangen bin. Meine Knie haben komplett zu schlottern begonnen“, erinnert sich Thiem, der das Spiel nach heroischem Kampf denkbar knapp im Tiebreak des dritten Satzes verlor.
Es sollte bis dato der einzige Viertelfinalauftritt Thiems in Wien bleiben (siehe Profil), im letzten Saisondrittel hatte der Niederösterreicher in den vergangenen Jahren stets einen eklatanten Leis- tungsabfall zu verzeichnen. Nach Erstrundenniederlagen 2014 und 2015 kam 2016 und 2017 das Aus im Achtelfinale. Thiem hatte seit seiner Show gegen Tsonga vor fünf Jahren in Wien nie mehr auch nur annähernd seine Topform erreicht. Mit dem Wissen, momentan nicht leistungsfähiger zu sein, den Tausenden Fans nicht mehr bieten zu können, war das Heimturnier schlagartig mehr Belastung denn Segen.
Niederlagen wie jene im Vorjahr gegen Richard Gasquet, der den Zuschauerliebling mit einem 6:1 im dritten Satz verabschiedete, schmerzen besonders. „Eine Niederlage in Shanghai ist für