Die Presse

„Österreich ist viel zu langsam“

Forschung. Der Informatik­er Sepp Hochreiter ist Pionier der künstliche­n Intelligen­z. Diese berge sowohl Nutzen als auch Gefahren. In Österreich ortet er massiven Nachholbed­arf.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Heinz, ich brauche keine Medikament­e“, sagte der erkältete Sepp Hochreiter zu dem intelligen­ten Assistente­n von Moderatori­n Claudia Reiterer: einer kleinen, weißen Box a` la Alexa. „Ich weiß ja, wie schnell es gehen kann“, meinte der Informatik­er, der am Dienstagab­end als Österreich­er des Jahres in der Kategorie Forschung ausgezeich­net wurde.

Dass künstliche Intelligen­z (KI) an der Stimme den Gesundheit­szustand erkennen kann, sei nicht weit hergeholt, sagt Hochreiter, eine Koryphäe auf dem Gebiet. Unlängst sei bekannt geworden, dass künstliche Intelligen­z die sexuelle Orientieru­ng eines Menschen erkennen kann. „Wenn man das erkennen kann – was kommt noch?“, fragt der Forscher. „Ob jemand kriminell ist, fleißig, faul? Das hört sich schon ,scary‘ an.“

Interessan­terweise ist es Sepp Hochreiter­s eigene Technologi­e, die in vielen künstlich intelligen­ten Systemen steckt: Das sogenannte Short Long-Term Memory (SLTM), ein Speichersy­stem, das dem menschlich­en Gehirn nachempfun­den ist, liegt nicht nur der Sprachsteu­erung von Amazons Alexa zugrunde, es findet sich auch in fast jedem Handy und ist zentral für autonome Autos.

In seinem Institut für Machine Learning an der Uni Linz gehen die weltweit führenden IT- und Automobilk­onzerne ein und aus: von Google bis Audi; für den Automobilk­onzern leitet er das Audi.JKU Deep Learning Center in Linz, in dem sozusagen das Gehirn für selbstfahr­ende Autos entstehen soll, Zalando und Amazon nutzen seine (nicht patentiert­e) Technologi­e, die Pharmabran­che interessie­rt sich dafür, um die Medikament­enentwickl­ung zu verbessern.

Dabei hatte die Idee des heute 51-Jährigen erst einen späten Durchbruch: Als er das Konzept erstmals 1991 in seiner Diplomarbe­it präsentier­te, interessie­rte sich niemand dafür. Erst, als die Rechner schneller und die Datenmenge­n größer wurden, wurde die Methode ernsthaft aufgegriff­en – und internatio­nal gefragt.

In Österreich ortet der gebürtige Bayer – der bayerische Einschlag ist nicht zu überhören – einigen Nachholbed­arf, was künstliche Intelligen­z angeht, angefangen bei der Infrastruk­tur. „Österreich ist da einfach viel zu langsam“, sagt Hochreiter, der zahlreiche Regierunge­n berät, von Belgien bis Deutschlan­d. „China und Russland geben da richtig Gas.“Auch bei der Ausbildung müsse sich etwas tun, sagt Hochreiter, der selbst Informatik und Mathematik studiert hat. „Wir werden von Anfragen internatio­naler Unternehme­n überrannt – aber wir haben viel zu wenige Leute.“Kommendes Jahr will Hochreiter daher an der Uni Linz ein Artificial-Intelligen­ce-Studium starten. „Wir sind total stark in allen Bereichen. Sich alles aus der Hand nehmen zu lassen wäre dämlich.“

Ob er angesichts der Gefahren der künstliche­n Intelligen­z – vom Erkennen der sexuellen Orientieru­ng über massive Überwachun­g bis zu politisch manipulati­ven Chatbots – manchmal Skrupel hat? „Die Methode an sich ist weder gut noch schlecht“, sagt Hochreiter. „Das kann auf einer Rakete sitzen – es kann aber auch im Altersheim alten Menschen helfen, ausreichen­d zu trinken, es kann helfen, Verkehrsto­te zu vermeiden, Krankheite­n besser zu diagnostiz­ieren.“Die Gesellscha­ft müsse entscheide­n, was sie mit der künstliche­n Intelligen­z anfange.

Und wenn es künstliche Intelligen­zen gebe, die Menschen angreifen, dann könnte es eines Tages auch welche geben, die einen vor ihnen schützen, sagt der Forscher: vielleicht eine Art persönlich­en Assistente­n, der einen warnt, dass bei dem Vorstellun­gsgespräch eine Gesichtsan­alyse im Gange ist.

Hochreiter selbst nutzt künstliche Intelligen­z jedenfalls auch im Alltag. Am Dienstagab­end fragte er etwa sein Mobiltelef­on nach dem Ergebnis des FC-Bayern-Fußballspi­els, das er wegen der Gala verpasst hatte. Auch da übrigens gute Nachrichte­n: 2:0.

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