„Was hier fehlt, ist ein Denkmal der Republik“
Es hat sich etwas getan bei der militärischen Gedächtniskultur in den vergangenen Jahren, meinen die Zeithistoriker Heidemarie Uhl und Richard Hufschmied. Aber Opfer- und Republikgedenken müssten neu gedacht werden.
Auch morgen, wie jeden 26. Oktober seit seiner Einführung als Nationalfeiertag 1965, heißt es wieder: Kranzniederlegung des Bundespräsidenten und der Bundesregierung am Heldendenkmal im Burgtor. Danach folgen die Großangelobung der Rekruten am Heldenplatz und die Leistungsschau des Bundesheeres. Warum wird der Tag, an dem 1955 Österreichs Neutralität in Kraft getreten ist, immer noch so martialisch begangen? Die „Presse“sprach mit den Zeithistorikern Heidemarie Uhl und Richard Hufschmied, die gemeinsam mit dem Vorsitzenden der militärhistorischen Denkmalkommission, Dieter A. Binder, an einem Sammelband über das Heldendenkmal arbeiten, der bis Mitte 2019 erscheinen soll.
Die Presse: Das Heldendenkmal ist vielen unbekannt, aber zentraler Ort des Staatsgedenkens. Uhl: Unser Buch, das in etwa „Vom Heldendenkmal zum Gedächtnisort“heißen wird, zeigt, wie sich dieser Ort entwickelt hat, angefangen vom ersten großen Tor der Stadtmauer, das 1809 von napoleonischen Truppen gesprengt wurde. Aus dem Schutt wurde 1824 das neue Burgtor von Peter Nobile als militärhistorischer Zweckbau errichtet. 1933 ist hier als eines der ersten Prestigeprojekte der Ständestaat-Diktatur ein Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs eröffnet worden, die Krypta wurde zum geschichtspolitischen Flaggschiff. Dabei hat es damals schon ein Denkmal für die Gefallenen gegeben, es steht am Zentralfriedhof. Aber es war 1927 vom Roten Wien errichtet worden und war außerdem auch als Friedensdenkmal gedacht. 1951 kam auf Initiative der ÖVP in der Krypta noch das Gedenken an die gefallenen Soldaten des Zweiten Weltkriegs dazu.
Hufschmied: Das Spannende ist, dass 1965 noch ein Erinnerungsort dazu kam, der „Weiheraum des österreichischen Widerstands“auf der anderen Burgtorseite.
Uhl: 1965 war das noch eine höchst umstrittene Position, da hat die große Koalition wirklich ein mutiges Zeichen gesetzt. Denn das ist heute noch das Wichtige an diesem „Heldendenkmal“: Es ist das einzige staatliche Denkmal für die gefallenen Soldaten der Kriege und den Widerstand gleichzeitig.
Hufschmied: Allerdings sieht man immer noch das ambivalente Verhältnis dazu: Man kann den Weiheraum nicht betreten, er ist vergittert. In der Krypta kann jeder ein Kerzerl anzünden. Oder beim Totengedenken des Bundesheers zu Allerseelen: Die Eliten halten sich vor der Krypta auf. Und ganz einsam geht der höchste Offizier des Mili- tärkommandos Wien mit seinem Ordonnanzoffizier auf die andere Seite und legt auch im Weiheraum mit den Vertretern der Opferverbände einen Kranz nieder.
Es ist sechs Jahre her, dass die Krypta ideologisch „explodierte“, als man die Nazi-Schriftrolle des Bildhauers Wilhelm Frass fand, der sie 1935 in seiner hier liegenden Skulptur des „Toten Soldaten“illegal versteckt hatte. Wo ist sie jetzt? Hufschmied: Im Heeresgeschichtlichen Museum. Und die Totenbücher der im Ersten und Zweiten Weltkrieg Gefallenen aus der Nebenkammer im Staatsarchiv. Der Grünen-Abgeordnete Harald Walser hat 2012 bekannt gemacht, dass hier auch Kriegsverbrecher namentlich genannt waren. Woraufhin alles ins Rollen kam.
Uhl: Vonseiten des Bundesheers war damals klar, dass man sich eine andere Form des Gedenkens überlegen muss, dass man bei diesem „Toten Soldaten“keine Kränze mehr niederlegen kann. Frass, seit 1935 verbrieft illegaler Nazi, hat schließlich im „Völkischen Beobachter“selbst darüber geschrieben, wie er sich einst lustig gemacht hat, als die Ständestaat-Politiker vor seiner Skulptur ihre Kränze niederlegten. 2012 hat man dann also nicht mehr hier, sondern bei der Gedenktafel an der Krypta-Seitenwand die Kränze niedergelegt. 2015 hat man diese Tafel und das Gedenken überhaupt an die Außenwand verlegt.
Was soll jetzt mit der Krypta passieren? Uhl: Nachdem sie kein Ort staatlicher Gedenkrituale mehr ist, hat die Historikerkommission empfohlen, sie zum Ausstellungsort zu machen, zu einem die eigene Geschichte reflektierenden Gedächtnisort. Auch eine Verbindung zum „Haus der Geschichte“sollte man weiterdenken.
Hufschmied: Schon Kreisky hat 1955 und 1965 vorgeschlagen, die anderen Räume im Burgtor als Ausstellungsorte zu verwenden. Da gibt es noch Räume des Aufsehers oder die Toilette, die nur für den Papst eingebaut wurde – und die er nicht benutzt hat. Am Dach ist eine offene, nur bei Führungen zugängliche Ehrenhalle für 300 Jahre Habsburger-Militärgeschichte, zu der eine „Ehrenstiege“führt, beides wieder mit Skulpturschmuck von Wilhelm Frass ausgestattet.
Was sollte man an den Ritualen ändern? Uhl: Das Problem ist der Weiheraum, hier ist der Stand 1965 eingefroren. Die Inschrift lautet: „Im Gedenken an die Opfer im Kampfe für Österreichs Freiheit.“Gemeint sind nur die politisch Verfolgten, die vor allem Kommunisten waren, keine anderen. Aber: Der Blick hat sich seither entscheidend geändert. Alle anderen Opfergruppen, Holocaustopfer, Roma und Sinti, Euthanasieopfer, Homosexuelle – sie alle fehlen hier völlig. Eigentlich müsste man nachdenken, wie man mit diesem Raum umgeht.
Ist es denn überhaupt noch zeitgemäß, den Nationalfeiertag auf Militärleistungen und Heldentote auszulegen? Uhl: Die Frage ist, wie der Verteidigungsminister sich entscheidet, in Zukunft mit dem Heldendenkmal umzugehen, die Historikerkommission hat ihre Empfehlungen dazu schon abgegeben. Der Ort hat ja durchaus Potenzial, er ist zentral, müsste nur geöffnet werden, aber bisher passiert nichts. Was im Grunde hier fehlt, ist ein zentrales Denkmal der Republik. Diese zweifache Kranzniederlegung ist ja im Grunde absurd. Es gibt zwar, unbeachtet im Schweizergarten, ein Denkmal für die Gründung der Ersten und Zweiten Republik, ein solches würde aber eigentlich hierher gehören.