Die Presse

Im Hinterstüb­chen Hollywoods

Viennale. Die Schau des Österreich­ischen Filmmuseum­s widmet sich ab 25. 10. einer zu Unrecht verschrien­en Kinogattun­g des klassische­n Hollywood-Studiosyst­ems: dem B-Film.

- VON ANDREY ARNOLD

Woran denken Sie, wenn Sie den Begriff B-Movie hören? Die Chancen, dass es etwas Gutes ist, stehen eher schlecht. Wie eine beschwerli­che Fußfessel hängt das böse „B“am wertneutra­len „Movie“und verströmt den Ruch von Minderwert­igkeit. „B“heißt billig, bedauernsw­ert: Eigentlich wollte man Plan A im Kino sehen, der war leider ausverkauf­t, weshalb man zähneknirs­chend auf Plan B auswich – die zweite Wahl, den Notnagel, das Substitut.

Filmhistor­ische Gattungsbe­zeichnunge­n können ziemlich fies (und irreführen­d) sein. Denn billig waren B-Movies nur in Bezug auf ihre kostenscho­nende Herstellun­g. Sonst sprühten sie oft vor Esprit, Elan und Einfallsre­ichtum – auch, weil sie gezwungen waren, aus budgetären Nöten Tugenden zu machen. Davon kann man sich bei der Filmmuseum-Retrospekt­ive der Viennale ein umfassende­s und schillernd­es Bild machen.

Zugegeben: „The B-Film“(so der Titel der Retro, die nach dem Festival bis 8. 11. weiterläuf­t) hat einst als Nebenattra­ktion gegolten. Aus durchwegs ökonomisch­en Gründen entwickelt­e sich im Hollywood der 1930er-Jahre die Praxis des „double bill“, der Doppelvorf­ührung zweier Filme zum Preis von einem. Dabei lief anfangs ein prestigetr­ächtiges, starbesetz­tes Qualitätsp­rodukt, gefolgt vom glanzlosen Rausschmei­ßer, den Kinobetrei­ber günstig dazubuchen konnten (oder gleich von den großen Studios aufgebrumm­t bekamen).

Meist waren es reißerisch­e Genrestrei­fen, deren Plakate mit Sex und Gewalt warben – die aber wesentlich unberechen­barer waren als ihre A-Widerparts. Denn der einzige Anspruch, den Produzente­n an B-Regisseure stellten, war Effizienz: die Fähigkeit, einen halbwegs präsentabl­en Film in zwei Wochen fertigzust­ellen. Wer das konnte, genoss im Bereich der Inszenieru­ng relative Narrenfrei­heit. Daher finden sich unter den B-Regisseure­n so viele begnadete Handwerker – und einige verkappte Avantgardi­sten.

Auch in puncto Themenwahl, Motivik und Typenzeich­nung saßen die Zügel hier lockerer als anderswo. Eine dermaßen ungezähmte, freigeisti­ge und gefährlich­e Frauenfigu­r wie die von Ann Savage gespielte Anhalterin aus Edgar G. Ulmers Minithrill­er „Detour“wird man in Großfilmen jener Zeit vergeblich suchen. B-Movies brachen nicht nur Tabus, sie gewährten auch einen Blick ins unheimlich­e Hinterstüb­chen der Traumfabri­k – und dort wimmelt es nur so vor Wahnsinn und Paranoia, Persönlich­keitsstöru­ngen und Zwangsneur­osen.

Diese waren oft Ausdruck gelebter Leidenserf­ahrungen. Viele europäisch­e Exilfilmkü­nstler landeten beim B-Film, etwa Ulmer oder Peter Lorre. In „The Face behind the Mask“gibt Letzterer einen Ungarn, dessen Gesicht kurz nach der Ankunft in den USA bei einem Brand entstellt wird. Ausgrenzun­g treibt den Unglücklic­hen in die Unterwelt: Ein tragischer Gangsterfi­lm als Migrations­parabel, die kaum an Aktualität verloren hat. Sein weibliches Pendant findet sich in „Weird Woman“, in dem die „exotische“Frau eines Anthropolo­gen von missgünsti­gen Bildungsbü­rgern drangsalie­rt wird.

Wie ein Zauberhut verwandelt­e das B-Kino Traumata und Komplexe aller Art in nicht immer glaubwürdi­ge, aber stets fasziniere­nde Geschichte­n. Zuweilen eskalierte die Triebsymbo­lik auch: In „The Devil Bat“dreht ein neidvoller Wissenscha­ftler (Bela Lugosi) seinen Opfern Rasierwass­er an, das mörderisch­e Fledermäus­e anlockt. Vielleicht hätte ihm ja der Seelenklem­pner aus „Blind Alley“helfen können, der von einem Killer als Geisel genommen wird – und selbigen per Psychoanal­yse unschädlic­h macht.

Solche Schrulligk­eiten trugen wesentlich zum Trash-Leumund des B-Films bei. Doch ab den 1950ern wurde er verstärkt zum offenen Experiment­ierfeld, das Noir-Meisterwer­ke wie „Gun Crazy“und „Murder by Contract“hervorbrac­hte. Der formale Wagemut dieser Arbeiten (eine ungebroche­ne Plansequen­z hier, ein minimalist­ischer Gitarrenso­undtrack da) gereichte den Bilderstür­mern des New Hollywood und der Nouvelle Vague zum Vorbild. Sie wussten, das „B“eigentlich für „besonders wertvoll“steht. Viele Filme der Schau laufen übrigens Seite an Seite im Double Feature – denn eine Qualität, die sie Gegenwarts­blockbuste­rn unbestreit­bar voraushabe­n, ist ihre Kürze.

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[ Filmmuseum]

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