Wissenschaftspolitik braucht dringend einen Neuanfang
Das Universitätsgesetz 2002 hat einen riesigen Scherbenhaufen hinterlassen.
Die Wissenschaftspolitik tut sich gegenwärtig schwer. Einst das Kleinod eines jeden Regierungsprogramms, intellektuelles Prunkstück einer verantwortungsvollen Zukunftsplanung, führt dieses Politiksegment gegenwärtig ein Aschenputteldasein. Die Folgewirkungen sind verheerend.
Einen maßgeblichen Beitrag dazu geleistet hat das Universitätsgesetz (UG) von 2002, das die Verantwortung auf die lokale Ebene geschoben hat, wo sie vielfach nicht wahrgenommen wird, ohne dass sich eine zentrale Ebene bemüßigt sähe zu intervenieren. Die Provinzialisierung der Wissenschaftsrealität in einem ohnehin kleinen Land wie Österreich hat geradezu groteske Konsequenzen:
In Ermangelung jeglicher Transparenz können auf lokaler Ebene „Exzellenz“-Berufungen von Wissenschaftlern mit ImpactFaktor null oder nahe null vorgenommen werden, die systematische Nichtabhaltung von Lehrveranstaltungen durch Lehrende die mit (häufig von der Politik erteilten) Gutachtensaufträgen überbeschäftigt sind, bleibt trotz breiter Studentenproteste ohne Folgen.
Dasselbe gilt für Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis, die auch einer Berufung nicht entgegenstehen. Und dagegen besteht keine Handhabe: In einem erst vor wenigen Tagen ergangenen Beschluss hat der OGH entschieden, dass diskriminierte Bewerber keine Handhabe gegen Rechtsmängel in Berufungsverfahren haben, obwohl der VfGH erst vor einem Jahr den ordentlichen Gerichten genau diese Prüfungszuständigkeit übertragen hat.
Wie ein solcher Entscheid mit dem Verfassungsrecht und mit EURecht vereinbar sein soll, vor allem mit Art. 45 AEUV über die Arbeitnehmerfreizügigkeit und mit Art. 47 der Grundrechtecharta, der einen wirksamen Rechtsbehelf vor Gerichten garantiert, bleibt offen. Damit ist jetzt dringend die Politik gefordert, in diesem mit dem UG 2002 geschaffenen Scherbenhaufen, der klar dem EU-Recht widerspricht, für Ordnung zu sorgen:
Es muss endlich eine klare gerichtliche Zuständigkeit bei Diskriminierungen in universitären Berufungsverfahren geschaffen werden, um der lokalen, leistungsfeindlichen Willkür und Klüngelei Einhalt zu gebieten.
Die behördliche Aufsicht durch das Wissenschaftsministerium muss grundlegend reformiert werden. Für die Einhaltung der Dienstpflichten ist auch an den Universitäten Sorge zu tragen.
Es ist aber auch die Rektorenwahl zu überdenken: Ein institutionelles Gleichgewicht mit einem Mindestmaß an Kontrolle setzt voraus, dass die Wahl des Rektors unter Einbezug der gesamten Universität erfolgt, etwa durch eine Universitätsversammlung, wie dies internationaler Standard ist – und nicht durch einen relativ kleinen Kreis von Personen im Senat, die vielfach vom Rektor selbst bestellt oder berufen worden sind.
Zudem muss auch bei institutionellen Funktionen ein Mindestmaß an Wettbewerb garantiert werden, wozu auch Funktionsbeschränkungen erforderlich sind: Zwei Amtsperioden für einen Rektor oder Dekan bzw. ein Alterslimit von 70 bis maximal 75 Jahren sollten eine Selbstverständlichkeit darstellen. Weiters müsste daran gedacht werden, Habilitationen und Berufungen durch zentrale, nationale Verfahren vorzunehmen, um ein Mindestmaß an Transparenz und Objektivität zu garantieren.
Eine verantwortungsbewusste, vorausschauende Bildungs- und Wissenschaftspolitik, die nicht allein auf die Werte der nächsten Sonntagsfrage blickt, muss hier und jetzt beginnen.