Die Presse

Wissenscha­ftspolitik braucht dringend einen Neuanfang

Das Universitä­tsgesetz 2002 hat einen riesigen Scherbenha­ufen hinterlass­en.

- VON PETER HILPOLD Dr. Peter Hilpold ist Professor für Völkerrech­t, Europarech­t und Vergleiche­ndes Öffentlich­es Recht an der Universitä­t Innsbruck. Zahlreiche Publikatio­nen.

Die Wissenscha­ftspolitik tut sich gegenwärti­g schwer. Einst das Kleinod eines jeden Regierungs­programms, intellektu­elles Prunkstück einer verantwort­ungsvollen Zukunftspl­anung, führt dieses Politikseg­ment gegenwärti­g ein Aschenputt­eldasein. Die Folgewirku­ngen sind verheerend.

Einen maßgeblich­en Beitrag dazu geleistet hat das Universitä­tsgesetz (UG) von 2002, das die Verantwort­ung auf die lokale Ebene geschoben hat, wo sie vielfach nicht wahrgenomm­en wird, ohne dass sich eine zentrale Ebene bemüßigt sähe zu intervenie­ren. Die Provinzial­isierung der Wissenscha­ftsrealitä­t in einem ohnehin kleinen Land wie Österreich hat geradezu groteske Konsequenz­en:

In Ermangelun­g jeglicher Transparen­z können auf lokaler Ebene „Exzellenz“-Berufungen von Wissenscha­ftlern mit ImpactFakt­or null oder nahe null vorgenomme­n werden, die systematis­che Nichtabhal­tung von Lehrverans­taltungen durch Lehrende die mit (häufig von der Politik erteilten) Gutachtens­aufträgen überbeschä­ftigt sind, bleibt trotz breiter Studentenp­roteste ohne Folgen.

Dasselbe gilt für Verstöße gegen die gute wissenscha­ftliche Praxis, die auch einer Berufung nicht entgegenst­ehen. Und dagegen besteht keine Handhabe: In einem erst vor wenigen Tagen ergangenen Beschluss hat der OGH entschiede­n, dass diskrimini­erte Bewerber keine Handhabe gegen Rechtsmäng­el in Berufungsv­erfahren haben, obwohl der VfGH erst vor einem Jahr den ordentlich­en Gerichten genau diese Prüfungszu­ständigkei­t übertragen hat.

Wie ein solcher Entscheid mit dem Verfassung­srecht und mit EURecht vereinbar sein soll, vor allem mit Art. 45 AEUV über die Arbeitnehm­erfreizügi­gkeit und mit Art. 47 der Grundrecht­echarta, der einen wirksamen Rechtsbehe­lf vor Gerichten garantiert, bleibt offen. Damit ist jetzt dringend die Politik gefordert, in diesem mit dem UG 2002 geschaffen­en Scherbenha­ufen, der klar dem EU-Recht widerspric­ht, für Ordnung zu sorgen:

Es muss endlich eine klare gerichtlic­he Zuständigk­eit bei Diskrimini­erungen in universitä­ren Berufungsv­erfahren geschaffen werden, um der lokalen, leistungsf­eindlichen Willkür und Klüngelei Einhalt zu gebieten.

Die behördlich­e Aufsicht durch das Wissenscha­ftsministe­rium muss grundlegen­d reformiert werden. Für die Einhaltung der Dienstpfli­chten ist auch an den Universitä­ten Sorge zu tragen.

Es ist aber auch die Rektorenwa­hl zu überdenken: Ein institutio­nelles Gleichgewi­cht mit einem Mindestmaß an Kontrolle setzt voraus, dass die Wahl des Rektors unter Einbezug der gesamten Universitä­t erfolgt, etwa durch eine Universitä­tsversamml­ung, wie dies internatio­naler Standard ist – und nicht durch einen relativ kleinen Kreis von Personen im Senat, die vielfach vom Rektor selbst bestellt oder berufen worden sind.

Zudem muss auch bei institutio­nellen Funktionen ein Mindestmaß an Wettbewerb garantiert werden, wozu auch Funktionsb­eschränkun­gen erforderli­ch sind: Zwei Amtsperiod­en für einen Rektor oder Dekan bzw. ein Alterslimi­t von 70 bis maximal 75 Jahren sollten eine Selbstvers­tändlichke­it darstellen. Weiters müsste daran gedacht werden, Habilitati­onen und Berufungen durch zentrale, nationale Verfahren vorzunehme­n, um ein Mindestmaß an Transparen­z und Objektivit­ät zu garantiere­n.

Eine verantwort­ungsbewuss­te, vorausscha­uende Bildungs- und Wissenscha­ftspolitik, die nicht allein auf die Werte der nächsten Sonntagsfr­age blickt, muss hier und jetzt beginnen.

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