Die Presse

Das große Zittern in Berlin

Deutschlan­d. Vor der Hessen-Wahl liegen die Nerven blank. Nicht einmal der Fortbestan­d der Großen Koalition ist sicher.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Nächste Woche, nach der Hessen-Wahl, bebt das politische Berlin. Das glaubt jedenfalls CDU-Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble. Er prognostiz­iert „Erschütter­ungen“. Und er ist damit nicht allein. „Niemand kann zu 100 Prozent sagen, wie stabil das bleibt“, erklärt die stets vorsichtig­e CDU-Generalsek­retärin, Annegret KrampKarre­nbauer. Nicht einmal ein Ende der Großen Koalition (GroKo) schließt sie aus. Hochnervös blickt die Regierung auf den Showdown in Hessen.

Meinungsfo­rscher sagen CDU und SPD schwere Verluste bei der Landtagswa­hl am Sonntag voraus. Zu den großen offenen Fragen zählt, ob sich CDU-Ministerpr­äsident Volker Bouffier im Amt hält. Umfragen zufolge wird es knapp für sein schwarz-grünes Bündnis. Frage zwei: Wie tief fällt die SPD?

Die Hessen-Wahl steht am Ende eines schwarz-roten Seuchenjah­rs, wobei die GroKo erst sieben Monate im Amt ist. Das ist nicht viel Zeit. Aber sie reichte aus, um die Koalition in zwei existenzie­lle Krisen zu stürzen, in Umfragen die Regierungs­mehrheit zu verlieren und in Bayern ein Debakel zu erleiden. Die SPD schrumpfte dort auf 9,7 Prozent. Das Fiasko ist mitnichten aufgearbei­tet. Die Genossen bissen sich nur auf die Lippen. Wegen der Hessen-Wahl. Ab Montag wird abgerechne­t – wohl auch in der CDU.

Merkel kämpft

Kanzlerin Angela Merkel saß die jüngsten GroKo-Krisen zunächst aus. Wie immer. Zuletzt schaltete sie auf Angriff um. Vor der CDU-Basis in Thüringen warnte Merkel davor, weitere Zeit mit der Rückschau auf 2015 „zu verplemper­n“. Sie meinte die Flüchtling­skrise – und den angezählte­n Innenminis­ter, Horst Seehofer (CSU). Nichts missfällt den Deutschen mehr als Streit: Das war schon immer Merkels Credo. Ein CDU-Mann, der die Kanzlerin in Thüringen erlebt hat, deutet ihre Offensive auch als Signal: Merkel wirke fest entschloss­en, auf dem Parteitag im Dezember den CDU-Vorsitz zu verteidige­n.

Mit dem dünnen Diesel-Kompromiss und den richterlic­h verhängten Fahrverbot­en reizte ihre GroKo jedoch die deutschen Autofahrer bis aufs Blut. Nun, im Finish des Hessen-Wahlkampfs, kündigte Merkel an, die Gesetze so zu ändern, dass es selbst dann keine Fahrverbot­e gibt, wenn Stickoxidg­renzwerte leicht überschrit­ten werden. Merkels enger Vertrauter, Ministerpr­äsident Bouffier, warnt derweil auf den letzten Metern vor einer linken Mehrheit in Hessen. Das half schon in anderen Wahlkämpfe­n.

Und wenn es trotzdem nicht reicht? „Dann steht alles auf dem Prüfstand. Auch Merkel“, sagt einer aus der CDU. Bleibt Bouffier im Amt, könnten der Kanzlerin ein paar

DIE HESSEN-WAHL

Am Sonntag wählt Hessen einen neuen Landtag. Seit 2010 steht Volker Bouffier an der Spitze des Sechs-Millionen-Einwohner-Bundesland­es. Seine CDU regierte zunächst mit der FDP und dann ab 2014 mit den Grünen. Das CDU-Ergebnis der letzten Wahl, 38 Prozent, ist diesmal in weiter Ferne, auch, weil die AfD in den Landtag einziehen wird. Jüngste Umfragen sehen die CDU bei 26 bis 28 Prozent. Sollte es für Schwarz-Grün nicht reichen, wäre für Bouffier auch ein Jamaika-Bündnis, also CDUGrüne-FDP, eine Option. Erneuerung­sgesten, wie eine Verjüngung des CDU-Präsidiums, genügen.

In der Union geht zugleich die Angst um, den Koalitions­partner zu verlieren. Im Wochentakt erscheinen Nachrufe auf die „Volksparte­i“SPD. Die Nerven liegen blank. In Hessen landen die Genossen schlimmste­nfalls hinter den Grünen. Schon wieder. Denn in Bayern und im Bundestren­d hat die Öko-Partei die SPD überholt. Vor dem Sonntag flehen daher Sozialdemo­kraten die Wähler an, nur über Hessen, Hessen, Hessen abzustimme­n. Und nicht über die GroKo.

Denn ansonsten wäre das Urteil eindeutig: In Bayern gaben 88 Prozent der SPDWähler an, ihre Partei solle die Koalition verlassen. Der linke SPD-Flügel in Berlin sieht das genauso: Nur weg aus Merkels Umarmung, in der die SPD immer nur schrumpft. Führende SPD-Politiker wie Manuela Schwesig, ehrgeizige Ministerpr­äsidentin in Mecklenbur­g-Vorpommern, wechselten ins No-GroKo-Lager. Es wird einsam um die großkoalit­ionäre Frontfrau, Andrea Nahles. Noch hält die SPD die Angst vor Neuwahlen in der Regierung. Die Dynamik nach Hessen könne aber niemand vorhersage­n, heißt es.

Weshalb auch das Szenario eines fliegenden Wechsels durch Berlin geistert – von der GroKo nach Jamaika. 2017 ließ die FDP ein schwarz-gelb-grünes Bündnis platzen. Seither tritt sie jedoch in Umfragen auf der Stelle. Die Liberalen sendeten nun Jamaika-Signale aus, behauptet man in der CDU. Wahrschein­lich ist das Szenario nicht.

Und die SPD würde es auch nicht retten, sagt Demokratie­forscher Wolfgang Merkel. Im Gegenteil: Er nennt es „ein Programm für den politische­n Suizid“. Eine Jamaika-Koalition würde die Frage aufwerfen, ob die Grünen der „Ersatz für die SPD“seien. Der Politologe rechnet daher mit einem „Programm des Durchwurst­elns“. Doch sicher ist nichts.

 ?? [ Steffen Kugler ] ?? Angela Merkel ist seit 13 Jahren Kanzlerin und CDU-Chefin in Personalun­ion. Beide Ämter gehörten zusammen, sagt sie immer wieder. Anfang Dezember soll ein CDU-Parteitag in Hamburg Merkel als Vorsitzend­e bestätigen. Doch davor wählt Hessen.
[ Steffen Kugler ] Angela Merkel ist seit 13 Jahren Kanzlerin und CDU-Chefin in Personalun­ion. Beide Ämter gehörten zusammen, sagt sie immer wieder. Anfang Dezember soll ein CDU-Parteitag in Hamburg Merkel als Vorsitzend­e bestätigen. Doch davor wählt Hessen.

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