Die Presse

„Niemand rührt an das Wagner-Tabu“

Musik. Dirigent Zubin Mehta und Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka unterhalte­n sich mit der „Presse“: über einen heimlich Konzerte besuchende­n Staatschef, die „blaue Donau“im US-Gefängnis und den Wert von Kultur. Nur – welcher?

- SAMSTAG, 27. OKTOBER 2018 VON ANNE-CATHERINE SIMON

Dirigent Zubin Mehta und Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka im Gespräch mit der „Presse“.

Plötzlich prasselt es auf Italienisc­h, Riccardo Muti steht da, beglückt, seinen Kollegen zu sehen. Das ist Wien, Alltag im Hotel Imperial. Gleich wird auch „Daniel“aus Berlin kommen, Barenboim nämlich, um seinen Freund Zubin abzuholen. Einstweile­n aber unterhalte­n sich Zubin Mehta, mit seinem Israel Philharmon­ic Orchestra nach längerem wieder in Wien, und der Ex-Dirigierst­udent und jetzige ÖVP-Politiker Wolfgang Sobotka mit der „Presse“. . .

Von dessen Büro war die Einladung gekommen – und die Idee, über den Wert von Kunst und Kultur für eine offene Gesellscha­ft zu sprechen. Welche Kunst, Kultur, Offenheit, fragte die „Presse“– und werde das Gespräch mit einem Vertreter der ÖVPFPÖ-Koalition die israelisch­en Musiker nicht irritieren? Der große Dirigent erzählte aber lieber aufschluss­reiche Anekdoten, als über Politik zu reden. Und der musikalisc­h hochgebild­ete Politiker plädierte für kulturelle Offenheit – vor allem in Form von klassische­r Musik für alle.

Die Presse: Herr Mehta, nachdem Sie aus gesundheit­lichen Gründen mehrere Konzerte in Wien absagen mussten, haben Sie zum ersten Mal wieder hier dirigiert. Wie geht es Ihnen? Und können Sie nach Ihren Schulterpr­oblemen den Taktstock ohne Schwierigk­eiten führen? Sie haben nicht mit links dirigiert . . . Zubin Mehta: Nein, das kann ich nicht gut. Nur als es ganz schlimm war, habe ich viel mit links dirigiert, fast die ganze „Turandot“. Dann hat man auch noch einen Krebs in meiner Niere gefunden. Als ich dem Chef der Nuklearmed­izin am UCLA-Spital in Los Angeles, Doktor Czernin, einem Wiener, erzählt habe, dass ich in Wien die Krönungsme­sse dirigiere, hat er daraus zu singen angefangen und erzählt, er war Sängerknab­e!

Sie treffen einander hier zum ersten Mal? Wolfgang Sobotka: Ja, aber ich bewundere den Maestro, schon seit ich in Linz Dirigieren studiert habe. Mehta: In Linz habe ich angefangen! Am Landesthea­ter hatte ich 1959 mein erstes Berufsdiri­gat.

Cello und Dirigieren haben Sie neben Ihrem Geschichts­studium studiert, Herr Sobotka – erfolgreic­h? Sobotka: Ich habe ein Jahr versucht, mich als Berufsdiri­gent durchzuset­zen, war damals viel in Brünn und Bratislava. Das war nicht sehr erfolgreic­h, ich hatte eine Familie mit drei Kindern und vom Dirigieren konnten wir nicht wirklich leben. Deshalb bin ich dann meiner zweiten Leidenscha­ft, dem Lehramt, nachgegang­en. Ich musiziere aber seit 50 Jahren im gleichen Laienorche­ster, dem Kammerorch­ester meiner Heimatstad­t Waidhofen an der Ybbs – früher als Cellist, jetzt als Dirigent.

Herr Mehta, kennen Sie viele musizieren­de Politiker? Mehta: Euer früherer Präsident Thomas Klestil ging immer in Konzerte! Er war früher in Los Angeles Konsul. Frau Merkel kommt in Berlin auch oft, ihr Mann fast jedes Mal. Manche israelisch­e Politiker waren sehr musikfreun­dlich. Schimon Peres kam immer in unsere Konzerte. Ariel Sharon hat nie Freikarten akzeptiert, er hat sie immer gekauft. Als er dann Premier geworden ist, wurde es wegen der Sicherheit zu schwierig. Aber manchmal ist er heimlich gekommen und hat sich ganz oben hingesetzt. Sobotka: Das Israel Philharmon­ic Orchestra ist ja für die Identität und das Selbstvers­tändnis des Staates Israel eine ganz wichtige Institutio­n, nicht wahr? Mehta: Vom Staat kriegen wir sehr wenig Geld. Wir haben jetzt eine Kulturmini­sterin, die war noch kein einziges Mal im Konzert. Auch der Premier hat kein Interesse.

Herr Sobotka, Ihr Büro regte an, über die Bedeutung von Kunst und Kultur für eine offene Gesellscha­ft sprechen. Was verstehen Sie unter einer offenen Gesellscha­ft? Sobotka: Bei den Wiener Philharmon­ikern oder dem Israel Philharmon­ic kommen die Musiker aus allen Ländern, von fast allen Kontinente­n. Das zeigt, dass Kunst und Musik dazu beitragen können, den Austausch von unterschie­dlichen Kulturen zu fördern. Die Schwelle des gegenseiti­gen Verstehens ist in diesen Bereichen viel niedriger. Mehta: Ja, die Philharmon­iker haben jetzt ein paar Ausländer. Aber als ich hier studierte, galt schon ein Musiker aus Salzburg als fremd. Mein Kontrabass­professor sagte zu mir über einen Kollegen: „Er ist nicht einer von uns. Er ist aus Salzburg.“

Eine offene Gesellscha­ft ist dort, wo Menschen aus allen Ländern klassische Musik spielen? Wir haben jetzt viele Flüchtling­e und Migranten hier 19– sollen auch deren Musiktradi­tionen gefördert werden? Sobotka: Was die Balkanländ­er betrifft, hat man in der Flüchtling­skrise der 1990er-Jahre in manchen Musikschul­en etwas getan. Ich glaube, Integratio­n funktionie­rt am ehesten über die kulturelle Ebene. Zum Beispiel habe ich erlebt, dass man Asylbewerb­ern zeigt, wie bei uns Pflanzen gezogen werden – komplett anders als in Syrien. Großartige Erfahrunge­n habe ich mit dem Austausch über das Essen, gemeinsame­m Kochen gemacht. Und natürlich kann musikalisc­h viel Völkervers­tändigung geschehen, noch bevor das erste Wort gesprochen ist.

Herr Mehta, Sie fördern die musikalisc­he Ausbildung arabischer Israelis. Wie geht es da voran? Mehta: Mein Traum ist es, einen arabischen Israeli im Orchester zu haben. Wir haben eine Stiftung in Nazareth und einer weiteren Stadt, wo über 250 junge Araber mit arabischen Professore­n studieren. Unsere Philharmon­iker gehen alle zwei Wochen hin, um zu kontrollie­ren, wie der Unterricht läuft. Und an der Buchmann-Mehta-Schule in Tel Aviv habe ich schon zehn Araber.

Bis heute gibt es keinen arabischen Israeli im Israel Philharmon­ic Orchestra? Mehta: Keinen. Es ist ein bisschen wie in Amerika, wo lange keine Schwarzen spielten. In Los Angeles habe ich in den Sechzigerj­ahren ein Minderheit­entraining organisier­t, die jungen Leute konnten sich damals nicht einmal den Bus zum Unterricht leisten. Nach zehn Jahren hatten wir einen schwarzen Fagottiste­n im San Francisco Orchestra, und so weiter. Dann habe ich gemerkt, dass das New York Philharmon­ic Orchestra nie in Harlem gespielt hatte. Also habe ich einen Priester der riesigen Abyssinian Baptist Church gefragt, ob wir in der Kirche spielen könnten. Leontyne Price hat davon gehört und mich angerufen: „Du kannst nicht ohne mich in dieser Kirche spielen!“Sie ist gekommen, hat gesungen. Danach haben wir jedes Jahr dort gespielt.

Liegt es einzig und allein an der Qualität der Musiker, dass noch kein arabischer Israeli in Ihrem Orchester spielt? Mehta: Ja, unsere Probespiel­e finden hinter dem Vorhang statt, und Araber sind bisher gar nicht einmal hingekomme­n, es fehlte an der Ausbildung. Aber in ein oder zwei Jahren, glaube ich, wird es so weit sein. Die zehn, die jetzt bei uns studieren, sind talentiert. Ich habe israelisch­e Musiker, die freiwillig nach Ramallah gehen wollen, um dort zu unterricht­en. Aber ein Israeli darf nicht nach Ramallah! Klassische Musik hat auch in Diktaturen geblüht. Und ihr Publikum ist ein internatio­nales, aber trotzdem recht geschlosse­nes. Nochmals, wie soll dieser Musikbetri­eb eine freiere Gesellscha­ft fördern? Sobotka: Ich glaube, er lässt sich für ein neues Publikum öffnen. In Linz etwa hat man im Stahlwerk Konzerte veranstalt­et. Aber vor allem ist es eine Erziehungs­frage. Ich halte die Sensibilis­ierung von acht, zehn, zwölf Jahre alten Schülern für entscheide­nd, dafür, wie feinnervig vor allem klassische Musik sein kann, wie viele Klangfarbe­n möglich sind, die man in der Popmusik nicht kennt, und vor allem, wie sehr man darin Emotionen verarbeite­n kann. Mehta: Mit den New York Philharmon­ics spielen wir im Sommer in Parks, im Central Park haben wir bis zu 300.000 Zuhörer. Das ist unser künftiges Publikum. Ich habe auch öfters mit dem Los Angeles Philharmon­ic Orchestra vor Häftlingen gespielt, die waren so enthusiast­isch. Einer hat gerufen: „Spielen Sie die ,blaue Donau‘!“Ich habe geantworte­t, wir hätten die Noten mit, aber nächstes Mal – darauf er: „Nächstes Mal bin ich nicht mehr hier !“

Richard Wagner ist in Israel immer noch ein heikles Thema, Herr Mehta. Werden Sie die Zeit erleben, dass seine Musik unbefangen gespielt wird? Mehta: Ich verlasse Israel 2019, werde das also nicht mehr erleben. Aber Sie müssen wissen, dass das keine Regierungs­linie ist, israelisch­e staatliche Radios spielen seit eh und je Wagner. Das ist nur eine Tradition im Orchester. Ich und Daniel (Barenboim, Anm. d. Red.) haben beide versucht, trotzdem Wagner zu spielen, das Publikum hat es auch akzeptiert. Bei einer Umfrage in unseren Abonnenten­kreisen haben 86 Prozent gesagt, sie wollten Wagner hören. Es wagt einfach nur niemand, dieses Tabu zu beenden.

Die ÖVP bildet eine Regierung mit der FPÖ, Herr Mehta. Zu deren Politikern hat die israelisch­e Regierung bis vor wenigen Wochen offizielle Kontakte verweigert. Könnten Ihre Orchesterm­usiker nicht irritiert auf dieses Interview reagieren? Mehta: Nein, das ist bei uns überhaupt kein Thema. Niemand diskutiert das. Wir wissen auch nichts Genaues über diese Koalition.

Ihre Orchesterm­usiker interessie­ren sich nicht für österreich­ische Politik? Mehta: Nein, nicht in diesem Sinn! Wir waren hier immer willkommen.

Wir haben jetzt eine Kulturmini­sterin, die war noch kein einziges Mal im Konzert. Mehta über Miriam Regev, Israels Kulturmini­sterin. Acht- bis Zwölfjähri­ge zu sensibilis­ieren, vor allem dafür, wie man Emotionen in der Musik verarbeite­n kann – das halte ich für entscheide­nd. Sobotka über die Zukunft der klassische­n Musik.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? „Ja, die Philharmon­iker haben jetzt ein paar Ausländer. Aber als ich hier studierte, galt sogar ein Musiker aus Salzburg als fremd“: Mehta (rechts) auf Sobotkas Bemerkung, die Wiener Philharmon­iker kämen aus aller Herren Länder.
[ Clemens Fabry ] „Ja, die Philharmon­iker haben jetzt ein paar Ausländer. Aber als ich hier studierte, galt sogar ein Musiker aus Salzburg als fremd“: Mehta (rechts) auf Sobotkas Bemerkung, die Wiener Philharmon­iker kämen aus aller Herren Länder.

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