„Dann lassen wir das mit dem Reden“
Nationalfeiertag. Kanzler Sebastian Kurz war das erste Mal Gastgeber im Kanzleramt. Es gab viele Fotos – aber wenig Fragen.
Es ist wohl einer der anstrengenderen Tage des Jahres – und dennoch gibt es für einen Bundeskanzler deutlich unangenehmere Termine als den Nationalfeiertag. Erstmals durfte am gestrigen Feiertag Sebastian Kurz die Menschen im Bundeskanzleramt in Empfang nehmen. Das bedeutete viel Bürgerkontakt und kaum Kritik.
Gast um Gast streckte der Kanzler die Hand entgegen – nicht immer wurde sie sofort geschüttelt. So mancher machte lieber zuerst ein Foto, das schien wichtiger als ein Gespräch mit dem Kanzler. „Ah, der ist wirklich groß“oder „Im Fernsehen schaut er älter aus“war dann zu hören, und die Besucher blickten zufrieden auf die Displays ihrer Mobiltelefone.
Sein Büro, das Kreisky-Zimmer, habe er „heute extra zusammengeräumt – normalerweise schaut’s ein bisschen mehr nach Arbeit aus“, erzählte Kurz den Besuchern, die bis zu einer Stunde vor dem Kanzleramt warteten. „Gibt es Fragen?“, blickte der Kanzler nach seinen Worten über Leopold Figl, der als Erster in diesem Zimmer arbeitete, und Bruno Kreisky, der am längsten hier saß, durch die Besucherreihen.
Doch Fragen gab es kaum. „Wie halten Sie das Tempo aus?“oder „Wann schlafen Sie eigentlich?“gehörten zu den wenigen. Die nahm der Kanzler dankend auf: „Manchmal schlafe ich zu wenig, aber zumindest jede Nacht“. Er könne zum Glück überall schlafen. Sei Team lache
sogar gelegentlich über ihn. Doch bevor der Kanzler weiter plänkeln konnte, wurde er unterbrochen: „Darf ich ein Foto machen?“Natürlich, sagte er, „dann lassen wir das mit dem Reden“.
Es kamen die, die den neuen Bundeskanzler gern sehen wollten. Darunter waren Autogrammsammler, die sich ihre Lederjacke bereits von Rainhard Fendrich und Conchita Wurst verzieren lassen hatten und nun den Kanzler um eine Unterschrift baten. Ebenso wie die (nahezu) treuen ÖVP-Wähler, die sich freuten, dass die Partei wieder ins Kanzleramt eingezogen ist. („Ich bin 77, und 60 Jahre habe ich ÖVP gewählt. Die alte Garde hätte ich nicht mehr gewählt. Aber Kurz ist super.“) Und es folgten richtige Fans der Einladung zum Tag der offenen Tür. „Darf ich Sie noch einmal umarmen?“, fragte eine junge Frau mit Tränen in den Augen den Kanzler. Sie durfte.
Gegner der türkis-blauen Bundesregierung waren nicht auszumachen – entweder sie verzichteten auf den Besuch oder sie verhielten sich ruhig. Protest, wie er derzeit bei den Donnerstagsdemos von mehreren Tausend Menschen kundgetan wird, war nicht zu hören. Auch nicht, als Kurz sich durch die Menschenmassen vom Heldenplatz in Richtung Ballhausplatz bewegte. Es waren wieder Hunderttausende Besucher in die Wiener Innenstadt gekommen.
Präsident warnt vor Radikalisierung
Der Tag hatte mit der traditionellen Kranzniederlegung begonnen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der bereits seinen zweiten Nationalfeiertag als Staatsoberhaupt beging, und die Bundesregierung gedachten am Äußeren Burgtor der toten Soldaten und der Opfer des Widerstands. Der Höhepunkt war wie jedes Jahr die Angelobung der 1021 Rekruten, die mit ihrem Wehrdienst wohl das „berühmte Hotel Mama“, wie es Verteidigungsminister Mario Kunasek (FPÖ) formulierte, verlassen.
Die Rekruten wie auch die Besucher hörten sowohl den Präsidenten als auch den Kanzler auf Österreich (und seine Geschichte) blicken – von der Gründung der Republik vor hundert Jahren über die „unsagbaren Grausamkeiten des Holocaust“bis zur Zukunft. Diese müsse von einem „Glaube an unser Österreich“, wie es Kurz formulierte, geprägt sein. Man solle sich, wie Van der Bellen später in seiner Fernsehansprache sagte, an das „Österreichische“erinnern – also das Gemeinsame vor das Trennende stellen. Er warnte vor der „scheibchenweisen Radikalisierung der Standpunkte“und appellierte: „Lassen wir uns nicht einreden, Mitgefühl zu zeigen, sei weltfremd.“
Als Oberbefehlshaber des Heers mahnte Van der Bellen auch die Regierung, genügend Geld für das Heer bereitzustellen. In den nächsten Jahren werde eine „rote Linie überschritten“. Das gefährde „nicht nur die Aufgabenerfüllung, sondern auch das Leben der Soldatinnen und Soldaten“.
Ganz ungefährlich war es auch am Nationalfeiertag nicht. Drei Fallschirmspringer sollten am Heldenplatz landen. Einer davon, jener mit der österreichischen Fahne, stürzte allerdings in die Zuschauermenge.