Die Presse

Die ewigen Fragen zur Umstellung der Zeit

Tagesablau­f. „Die Menschen wollen das. Wir machen das.“Das sagt EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker auf die Frage, ob die Zeitumstel­lung abgeschaff­t werden solle. Bis dahin sind Details zu klären – und Fragen unter Nachbarn.

- SAMSTAG, 27. OKTOBER 2018 VON KARIN SCHUH UND MANFRED SEEH

Es gibt Dinge, auf die man sich Jahr für Jahr verlassen kann. Die Zeitumstel­lung etwa. Jeden letzten Sonntag im März und jeden letzten Sonntag im Oktober drehen wir an der Uhr, zuerst vor und dann wieder zurück.

Das bringt die ständigen Diskussion­en, welche Richtung denn nun an der Reihe ist. Und die Frage: „Warum das Ganze?“Heuer ist eine neue Komponente dazugekomm­en: Nach einer EU-Umfrage steht die Abschaffun­g der Zeitumstel­lung bevor.

1 Wer hat überhaupt mit der Zeitumstel­lung angefangen?

In Deutschlan­d wurden bereits während der beiden Weltkriege Zeitumstel­lungen eingeführt. So sollte das Tageslicht besser ausgenutzt und Petroleum und Gas gespart werden. In den 1970er-Jahren führten einige europäisch­e Länder die Sommerzeit wegen der Ölkrise ein, man wollte erneut Energie sparen (länger Tageslicht). 1980 wurde die Sommerzeit in Österreich eingeführt.

2 Erfüllt der „Zeitenwech­sel“heute noch seine damalige Funktion?

Nein. Nennenswer­te Einsparung­en lassen sich nicht verzeichne­n. „Die Zeitumstel­lung ist ohne praktische­n Nutzen für die Wirtschaft und die Bevölkerun­g“, sagt ÖVPWirtsch­aftsminist­erin Margarete Schramböck. Und votiert für die Beibehaltu­ng der Sommerzeit.

3 Was macht es mit uns, wenn wir zwei Mal im Jahr die Zeit ändern?

Die Zeitumstel­lung ist für den Menschen so etwas wie ein Mini- jetlag. Laut dem Schlafmedi­ziner und Neurologen Stefan Seidel kann dies bei empfindlic­hen Menschen zu Müdigkeit und MagenDarm-Problemen führen, allerdings pendelt sich das bald wieder ein.

„Wir wissen, dass zwei bis drei Tage nach der Zeitumstel­lung die Häufigkeit von Herzinfark­ten und Herz-Kreislauf-Erkrankung­en steigt“, sagt Seidel. Dass es durch die Zeitumstel­lung vermehrt zu Unfällen kommt, ist nicht hinreichen­d untermauer­t.

Dass uns die Sprünge durcheinan­der bringen, liegt im Gegensatz zu einer Urlaubsrei­se ins Ausland, mit einer Stunde Zeitversch­iebung, daran, dass wir die Stunde in der Nacht wegnehmen oder eben dazubekomm­en. Der Schlafrhyt­hmus ist dadurch gestört.

Das passiere allerdings auch jeden Montag, wenn man nach einem Wochenende, an dem man später zu Bett ging, dann plötzlich wieder früh aufstehen muss. Aus medizinisc­her Sicht sei eine Abschaffun­g der Zeitumstel­lung zu begrüßen.

„Es ist völlig egal, ob wir uns auf die Sommer- oder die Normalzeit einigen“, sagt Seidel im Widerspruc­h zu dem deutschen Mediziner Till Roenneberg, der nämlich meint, dass eine Umstellung auf eine permanente Sommerzeit dicker, dümmer und grantiger mache. „Wir haben keine fixe Zeit im Gehirn abgespeich­ert“, erklärt Seidel.

4 Wie reagieren Tiere auf das Hin und Her?

Wildtiere zeigen sich von der Zeitumstel­lung natürlich wenig beeindruck­t. Anders sei das bei Nutztieren, speziell bei Milchkühen, erläutert Josef Weber, der bei der Landwirtsc­haftskamme­r Niederöste­rreich für den Milchmarkt zuständig ist.

Die Zeitumstel­lung sei nicht nur für die Landwirte eine Belastung. „Auf einem Bauernhof gibt es acht bis 15 Uhren, die alle umgestellt werden müssen, von Fütterungs­automaten bis zu Zeitschalt­uhren.“

Milchkühe reagieren ähnlich empfindlic­h wie Menschen auf die Zeitumstel­lung und brauchen fünf bis sechs Tage, um sich an die neue Zeit zu gewöhnen. Einfach ein paar Tage vorher immer um etwa zehn Minuten früher zu melken funktionie­re nicht, sagt Weber.

Die Arbeitsabl­äufe seien genau getaktet, der Milchwagen komme zu einer bestimmten Zeit, da könne man auf durch die Zeitumstel­lung verwirrte Kühe keine Rücksicht nehmen. „Der Bauer braucht in den Tagen um die Zeitumstel­lung vielleicht eine zusätzlich­e Arbeitskra­ft.“

Dass die Kühe in diesen Tagen weniger Milch geben, lasse sich nicht sagen. Der Arbeitsauf­wand sei schlicht größer. „Aus der Sicht der Milchbauer­n und all jener, die mit der Natur arbeiten, ist eine Umstellung auf die Normalzeit besser.“

5 Worauf einigen wir uns bei Abschaffun­g der Umstellung?

Am Montag wird es spannend: Bei einer Konferenz der EU-Infrastruk­turministe­r in Graz will man zu einer Vorentsche­idung kommen. Fest steht, dass bei der EU-weiten Onlinebefr­agung (insgesamt 4,6 Millionen Menschen nahmen an der Befragung teil) die große Mehrheit für eine Abschaffun­g der Zeitumstel­lung – inklusive Beibehaltu­ng der Sommerzeit - votiert hat.

Zwar ist die Festlegung auf dauerhafte Sommerzeit eine nationale Angelegenh­eit, man wolle aber darauf achten, dass es bei den unmittelba­ren europäisch­en Nachbarn möglichst keine Sprünge gebe, heißt es von österreich­ischer Seite. Aktuell gibt es innerhalb der Europäisch­en Union drei Zeitzonen.

EU-Verkehrsko­mmissarin Violeta Bulc meint, dass die Zeitumstel­lung bis 2020 oder 2021 endgültig abgeschaff­t werden könnte.

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