Der exzentrische Champion mit den Diamantohrringen
Portrait. Lewis Hamilton fährt seinem fünften WM-Titel entgegen. Der britische F1-Pilot imponiert und polarisiert – und wächst mit jedem Konflikt.
Wer mit Lewis Hamilton spricht, der bemerkt schnell, dass sich der Brite nicht (nur) hinter den üblichen Floskeln versteckt, sondern durchaus auch etwas zu erzählen hat. Der beste Pilot der Formel 1, im derzeit besten Rennwagen, lässt sich eben auch abseits der Rennstrecke von Kontrahenten oder Teamkollegen nicht ausbremsen. Seine Lebensgeschichte, sein Werdegang bewegen, wie seine Rennen. Er scheint sich allen Anforderungen und Lebenssituationen schnell anzupassen. Nur in einem Punkt kennt der Rennfahrer aus Stevenage einfach keine Ausfahrt: Er will immer gewinnen. Ausnahmslos.
Wenn der 33-Jährige, der seit 2007 in der Formel 1 seine Runden dreht, am Sonntag beim Grand Prix von Mexiko mindestens Siebenter wird, hat er zum fünften Mal die F1-WM gewonnen. Dann steht der Mercedes-Pilot, der Ex- travaganz und Bulldoggen liebt, Diamantohrringe trägt und seine Bombardier-Learjet als größte Errungenschaft preist, mit Ikonen wie Juan Manuel Fangio auf einer Stufe. Dann liegt nur noch Michael Schumacher vor ihm – und nichts würde Hamilton lieber einstellen als die Bestmarke mit sieben Titeln.
1998 wurde er ins Förderprogramm des Rennstalls McLaren aufgenommen. Da hatte sich erfüllt, wovon er schon als Zehnjähriger geträumt und Ron Dennis bei einem Kartrennen nach einem Autogrammwunsch auch angekündigt hatte: „Eines Tages werde ich für ihren Rennstall fahren!“Dann nahm alles wie im Leben Hamiltons schnell seinen Lauf: der Gewinner der F3-Euroserie (2005) und der GP2 (2006) raste in den Mittelpunkt; sehr zum Leidwesen seines Teamkollegen Fernando Alonso. Der Asturier sollte der erste sein, der zu spüren bekam, was Hamilton von Gegnern hält, die ihm im Weg stehen. Beide aber verloren den „Krieg der Sterne“und die WM an Kimi Räikkönen, der von diesem Zwist mit nur einem Punkt Vorsprung profitierte.
2008 aber wurde der Brite als erster schwarzer F1-Champion gefeiert (in der letzten Kurve des GP von Sao˜ Paulo) – und von der Industrie auch vermarktet. Er fügte sich in diese Rolle ein, natürlich nur zu neuen Höchstpreisen im Fahrersektor. Von 2007 bis 2012 fuhr Hamilton für McLaren, seit 2013 gibt er im Mercedes Gas. Hier formten Toto Wolff und Niki Lauda sein Geschick, das ihn dank des besten Autos und der optimal umgesetzten Hybridtechnik 2014, 2015 und 2017 zu Titelehren füh- ren sollte. Dass 2016 sein Jugendfreund Nico Rosberg (er lernte bei ihm in Zell am See das Skifahren) gewann, war für Hamilton ein herber Dämpfer. Ein Indiz dafür, warum der Deutsche danach umgehend seine Karriere beendete, war diese Hass-Gemeinschaft zu ihm.
„Still I Rise“
Hamilton vergöttert Ayrton Senna, liebt seinen sieben Jahre jüngeren Halbbruder Nicolas, der an Kinderlähmung leidet. Er hat gelernt, sein öffentliches Leben auch gebührend zu zelebrieren auf SocialMedia-Plattformen. Sucht er aber die Ruhe in seinem Chalet in Colorado, ist er von der Bildfläche verschwunden. Dann genießt selbst der bestbezahlte F1-Pilot (kolportiert werden 30 Mio. Euro pro Jahr; ohne Werbeeinnahmen) den Luxus der seltenen Anonymität. Warum aber Colorado und keine Villa auf irgendeiner Karibikinsel? Hamilton weigert sich, im offenen Meer zu schwimmen – weil er panische Angst vor Haien hat.
Der Veganer und Arsenal-Fan ist nicht nur ein Instinktfahrer, er vermarktet sich sogar selbst. Ob Brillen, Tattoos (Löwe, Drache, Sprüche), eigene Modeschau oder dicke Goldketten: „Still I Rise“(ein Spruch des Rappers Tupac Shakur) bleibt sein markanter Leitfaden. Alles ist bei ihm bewusst gewählt. Kein Schritt bleibt bei dem „Member of the British Empire“(seit 2008), der sich auch als UnicefBotschafter engagiert, unbedacht. Dafür, und weil er eben ein F1-Star geworden ist, ziert er auch das Wachsfigurenkabinetten von Madame Tussauds.
Auch privat liebt es Hamilton schnell. Motorräder (MV Agusta F4 LH44) oder starke Autos (Mercedes AMG) zählen zur Grundausstattung des Multimillionärs. Er erfüllt die Erwartungen, die man seit jeher an F1-Weltmeister stellt mit Glamour, Geld und seinem Gasfuß. Aber Hamilton macht alles berechnender, kälter, fokussierter und professioneller als alle anderen. Und deshalb gewinnt er.