Stunde null der Ersten Republik
Wien Museum Karlsplatz. „Die erkämpfte Republik“gewährt mit wiederentdeckten Fotos von Richard Hauffe einen frischen Blick auf die Zeit des Umbruchs von 1918/19 in Österreich.
Sigmund Freud war ungehalten: „Die Habsburger haben nichts als einen Dreckhaufen hinterlassen“, schrieb der Wiener Arzt, der die Psyche erkundete, am 17. November 1918 an seinen Freund Sandor´ Ferenczi. Eine Woche zuvor hatte Kaiser Karl I. auf das Regieren verzichtet, das Habsburgerreich löste sich am Ende des Ersten Weltkriegs auf, die Erste Republik entstand. Der bittere Satz von Freud ist in großen, roten Lettern auf einer weißen Wand im Wien Museum Karlsplatz zu lesen, in der Ausstellung „Die erkämpfte Republik“. Zum 100. Jubiläum ihrer Gründung erinnert eine kompakte Fotoausstellung an sie.
Kurator Anton Holzer wartet mit einer Sensation auf: Im Herbst des Vorjahres hat der Historiker im Museum einen „Schatz entdeckt, der die Stunde null unserer Republik in neuem Licht erscheinen lässt“. Der Fotojournalist Richard Hauffe (1878–1933) hat seine allerersten Bilder am 12. November 1918 gemacht, als die Republik DeutschÖsterreich ausgerufen wurde, Hunderttausende gingen dafür in Wien auf die Straße. Es regnete zwar, doch herrschte Feierstimmung. Hauffe versuchte, neue Perspektiven zu zeigen, er fotografierte hoch vom Palais Epstein aus die Ringstraße mit Parlament, wehenden Fahnen und Menschenmassen.
Vintage Prints dieser Aufnahmen erwarb der Vorläufer des Wien Museums 1928 zum zehnten Jubiläum der Ersten Republik. Diese Sammlung und der Großteil von Hauffes Werk gerieten jedoch bald in Vergessenheit. Seine Fotos „blieben vollkommen unbekannt“, sagte Holzer vor der Eröffnung der Ausstellung diese Woche. Dort sind 200 Bilder von einem Dutzend Fotografen (die meisten von Hauffe) und zwei rare Dokumentarfilme vom November 1918 zu sehen.
Die Schau ist knapp kommentiert und thematisch geordnet, sie führt durch eine Wendezeit. Für Direktor Matti Bunzl ist die Dokumentation der Ereignisse von 1918/19 der zentrale Beitrag seines Museums zum Republik-Jubiläum. Zugleich werde „eine Geschichte des Mediums im engeren Sinn gezeigt“. Hauffe arbeitete vor allem für Magazine. Sie nutzten ab der Jahrhundertwende die Fotografie, wurden zum Leitmedium, über das die Umwälzungen nach dem Krieg ins kollektive Bewusstsein gelangten.
Man erlebt einen Gang vom Chaos des Untergangs in die neue Zeit. Fotos von der Front, von Heimkehrern in überfüllten Waggons, von Verwundeten sind zur Einstim- mung zu sehen. „Das interessante Blatt“titelt am 14. November: „Die Demobilisierung“. Die Hälfte der Seite nimmt ein Foto vom Wiener Nordbahnhof ein, auf dem sich Soldaten und Zivilisten drängen. Das Magazin hatte eine Woche zuvor ebenfalls mit einem Foto aufgemacht, das Massen vor dem niederösterreichischen Landhaus in der Wiener Herrengasse zeigt: „Die Grundsteinlegung von Deutsch-Österreich“lautet der Titel darüber. Der Ort war bewusst gewählt. Von dort war die Revolution 1848 ausgegangen. Dort trat auch die provisorische Nationalversammlung am 21. Oktober 1918 zusammen – und nicht im Reichsrat, der zu stark an die Habsburger erinnerte. Auch der junge Kaiser kommt in der Schau mehrfach vor, zum Beispiel in einem kolorierten Bild von einer Truppenparade in Trient sowie in Begleitung seiner Kinder, bereits im Exil.
In einem der zwei kurzen Filme über den Beginn der Republik sieht man zusammengeknüpfte Flaggen – das Weiße war aus ihren Mitten geschnitten worden, wodurch sie zu roten Fahnen der Revolution wurden. Im wohl berühmtesten Bild Hauffes, das oft reproduziert wurde, entfalten Demonstranten vor dem Parlament ein Transparent mit dem Slogan „Hoch die sozialistische Republik“. Das war jedoch wahrscheinlich keine kommunistische Agitation, wie vermutet wurde, sondern eine Aktion sozialdemokratischer Arbeiter aus Floridsdorf, mit dem Wissen der Parteispitze. Man sah sich als Avantgarde und als treibende Kraft der Republik. Der öffentliche Raum wurde ein demokratischer, die Ringstraße zur Bühne für den Nationalfeiertag am 12. November (der Ständestaat schaffte ihn 1934 ab). Für die Frauen bedeutete das Ende des Krieges endlich Partizipation: „Frauen wählet“, wird auf einem Plakat gefordert. Sie durften das erstmals nach dem hart erkämpften Gesetz von 1919. Ein eigener Abschnitt ist dieser Geschichte gewidmet, mit Fotos, die bis 1911 zurückführen.
Wie mühsam, voller Rückschläge der Weg in die Erste Republik war, dokumentieren Fotos von Demonstrationen gegen den „Gewaltfrieden von St. Germain“, von Straßenkämpfen zwischen linken und rechten Extremisten. Die Furcht vor einem Putsch radikaler Kräfte ging um. Elend, Krankheit, Tod sind zu sehen, Proteste von Kriegsinvaliden, hungernde Kinder, für die es bald Hilfslieferungen aus dem Ausland gab. „Wir leben jetzt wie die Tiere in finsteren, ungeheizten Wohnungen“, schreibt eine Zeitzeugin im Dezember 1918. Die staatstragende Zuversicht mancher Politiker nach der Wahl vom Februar 1919 wirkt da noch etwas aufgesetzt.