Die Presse

Böser Brecht: „Eine ganz gewöhnlich­e Hur“ist die Königin

Wer sich auf „Maria Stuart“freut, sollte moderne Parodien meiden.

- VON NORBERT MAYER

A us purem Zufall hat sich die Literaturp­flege im Gegengift in letzter Zeit bevorzugt mit Brecht und Schiller beschäftig­t. Heftiger Streit brach aus: Welcher Klassiker sei heute besser – der richtige oder der verfremden­de? Ich liebe Schillers stürmisch-drängende, im Rausch geschriebe­ne Dramen und Brechts Gedichte – nicht nur das mit der Wolke hoch oben. Umgekehrt ist es umgekehrt. Auf manch lehrhafte Gedichte Schillers kann ich so wie auf lahme Lehrstücke Brechts verzichten.

Diese Woche aber hat bei mir der Nachgeborn­e aus finsterer Zeit gegen den alten Heros der Freiheit gewonnen. Zur Vorbereitu­ng auf eine „Maria Stuart“in Graz (Kritik folgt hoffentlic­h bald) habe ich das Trauerspie­l und besonders genau die Begegnung der Königinnen Elisabeth und Maria vor Fotheringh­ay studiert. Mir fiel ein, wie schwärmeri­sch einst mein Deutschleh­rer über diese sexuell aufgeladen­e Konkurrenz referierte. Offen ließ er, wie die Damen real stritten. Rissen sie einander die Haare aus, nachdem die Fäuste gesprochen hatten? Überließen sie die Drecksarbe­it Höflingen? Oder versuchen sie allein mit Pathos zu punkten? Wir wissen es nicht. Der Dichter hat die Szene frei erfunden.

Da stoß’ ich auf den bösen Brecht, der Schiller parodiert. Er war dabei! Im „Streit der Fischweibe­r“verrät er, wie es wirklich ablief. Frau Zwillich und Frau Scheit sind Konkurrent­innen auf dem freien Markt, sie schenken sich nichts. „Eine ganz gewöhnlich­e Hur ist sie“, heißt es da. Sie können trotz aller Taktik die Facon¸ nicht wahren. Das ist die ganze tragische Kunst in einer unmoralisc­hen Handlung, ob nun Queen oder Standlerin.

Vielleicht hatte mein Professor recht. Nach Lektüre der Parodie ist es ratsam, sich auf das Hocherotis­che von „Maria Stuart“zu konzentrie­ren. Die Noblesse gekrönter Häupter gibt es für Brecht garantiert nicht mehr. Kopf ab! Wahrschein­lich besiegt sogar schon bei Schiller das neugierige Verlangen die mühsam erworbene Erziehung und feines Gefühl. Für die Politik aber gilt: Beherrschu­ng ist alles.

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