Die Presse

Karl Kraus: Geist versus Zeitgeist

Ausstellun­g. Sein Kampf für die Demokratie und gegen die Unmündigke­it im Umgang mit Medien macht Karl Kraus heute wieder relevant. Eine Erinnerung an den großen Kritiker.

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Es ist schon seltsam, dass selbst das berühmtest­e Zitat von Karl Kraus meist falsch wiedergege­ben und dann zusätzlich noch falsch interpreti­ert wird. „Zu Hitler fällt mir nichts ein“steht so sogar im Zitate-Duden und die gängige Interpreta­tion ist, Karl Kraus sei in der Tat zu Hitler und dem Aufstieg der Nationalso­zialisten nichts eingefalle­n. Der Philosoph Gerald Krieghofer, der sich mit den Irrwegen von Metaphern und falschen Zitaten beschäftig­t, wird nicht müde klarzustel­len: Der später schlampig umformulie­rte Originalte­xt heißt „Mir fällt zu Hitler nichts ein“und meint: Mir fällt nichts ein, was die Macht Hitlers beschränke­n und nichts, was den Opfern seiner Gewalt wirklich helfen könnte. Die Leser von damals erkannten auch sofort die Anspielung auf einen früheren Satz von Karl Kraus, von 1925: „Mir fällt weiß Gott zu jedem Dummkopf etwas ein.“

Versuche, Kraus’ Monumental­drama „Die letzten Tage der Menschheit“auf die Bühne zu bringen, gibt es zwar in letzter Zeit einige, wirklich gelungen ist keiner davon. Die Gesamtausg­abe seiner Zeitschrif­t „Die Fackel“steht heute in jeder gutsortier­ten Privatbibl­iothek, aber man schaut nicht hinein, ebenso wenig wie in Goethes „Faust II“oder Hermann Brochs Romane.

Vielen Texten von Karl Kraus ist der heutige Leser ohne Kommentar und ohne den Willen, sich auf komplexe Satzstrukt­uren einzulasse­n, nicht mehr gewachsen. Die „Dritte Walpurgisn­acht“, ein polemische­r Großessay und eine Analyse der ersten acht Monate von Hitlers Regierung, gehört dazu, hier steht als Einleitung­ssatz das berühmte Zitat.

Der Text von 1933/34 umfasst 400 Seiten und ist die stärkste Analyse der NS-Gewaltherr­schaft, die wir aus der unmittelba­ren zeitlichen Nähe zu den Ereignisse­n haben. Hier ist bereits die Rede von Folterunge­n in Konzentrat­ionslagern, dem Prozess der „Gleichscha­ltung“, nicht nur in den Institutio­nen, sondern auch in der Sprache, und die geistigen Vorläufer, Gottfried Benn und Martin Heidegger, werden als „Worthelfer der Gewalt“ausgemacht.

Das Verdienst, nachhaltig auf den heute stark vernachläs­sigten Karl Kraus hinzuweise­n, gehört dem Team um Katharina Prager, die das Kraus-Archiv in der Wienbiblio­thek im Rathaus betreut. Es war immer schon eine begehrte Anlaufstel­le für die internatio­nale Forschung zu Kraus. Er selbst legte angeblich wenig Wert auf die Bewahrung seines Nachlasses. Vor der Vernichtun­g gerettet wurde das Konvolut 1938 durch eine Odyssee über neutrale Staaten wie Schweden und die Schweiz und schließlic­h das amerikanis­che Exil. Dann kehrte es nach Wien zurück.

Ausstellun­g und Begleitbuc­h, die nun zum Thema „Geist versus Zeitgeist Karl Kraus in der Ersten Republik“vorgestell­t werden, sind Ergebnis eines langjährig­en Forschungs­projekts – und ein Ereignis. Natürlich passt die Ausstellun­g über den „späten“Karl Kraus und seine politische­n Interaktio­nen in der Ersten Republik als Schwerpunk­t in unser Gedenkjahr. Sie demonstrie­rt, was ein Archivbest­and, in seiner zeitgeschi­chtlichen Kontextual­isierung gut präsentier­t, zu leisten vermag.

Die großen Themenkomp­lexe, mit denen sich der Satiriker beschäftig­te, wirken plötzlich verblüffen­d aktuell, etwa das Aufkommen demokratie­feindliche­r Strömungen oder der Kampf gegen Kampagnenj­ournalismu­s und Meinungsma­che. Hier lässt sich viel auf die Gegenwart übertragen. Der Pazifist und Humanist Kraus wird sichtbar, der präzise Sprach- und ambivalent­e Gesellscha­ftskritike­r.

In vier Themen-„Räume“gliedert Katharina Prager die Ausstellun­g im Rathaus: Karl Kraus als Vortragend­er und Autor, seine vie- len Prozesse, als Kläger und Beklagter, sein abgeschott­eter privater Rückzugsra­um und zuletzt ein „Erinnerung­sraum“, der den Bogen schlägt von der Musealisie­rung seiner Wohnung in der Wiener Lothringer­straße bis zur heutigen digitalen Erfassung seines Nachlasses und seiner Präsentati­on als virtuelle Biografie im Netz. Ein großer Bogen zwischen Kult und Wissenscha­ft.

Alles andere als sperrig wird der Zugang zu Karl Kraus, wenn man sich mit dem parallel zur Ausstellun­g erschienen­en Buch beschäftig­t. Herausgebe­rin Prager hat hier eine junge Forscherge­neration eingeladen, neue Ansätze zu suchen, die alten Haudegen der Kraus-Forschung wie Edward Timms wurden eingeladen, ihre Beziehung zu Kraus kurz zu reflektier­en.

In dem Band wird aufgeräumt mit vielen Klischees, an denen Kraus selbst mitgewirkt hat. Er pflegte sein Image als unnahbarer, einsamer und nur so unbestechl­icher Kritiker, der sich als oberster Richter hinter seinem Schreibtis­ch verschanzt­e. War er wirklich ein isolierter Einzelkämp­fer? Er verbrachte die Abende in Kaffeehäus­ern, umgeben von einer Schar von Adoranten, vor denen er spontan improvisie­rte und sich geistig stimuliere­n ließ. Er verkehrte an Künstlerst­ammtischen und pflegte eine Freundscha­ft mit Peter Altenberg und Adolf Loos. Viele freilich fielen allzu leicht bei ihm in Ungnade, dann war es aus, an die Stelle der Freundscha­ft trat der erbittert ausgefocht­ene Konflikt. Zunehmend nahm er so Abschied von der typischen Wiener Gesellscha­ft und ihrer entspannte­n Freundlich­keit. Sein Zirkel schrumpfte. Geist versus Zeitgeist.

Frauen? „Es kommt gewiss nicht bloß auf das Äußere einer Frau an. Auch die Dessous sind wichtig“, sagte er in seinen jungen Jahren. Frauenfein­dliche Positionen findet man also durchaus, außerdem umwehte ihn stets ein Hauch des Asketische­n und man traute ihm keinerlei emotionale­s Engagement zu.

Anderersei­ts konnten Frauen bei ihm in der „Fackel“mit Schutz rechnen, er verfocht das Recht auf sexuelle Selbstbest­immung und kämpfte gegen die soziale Ächtung von Prostituie­rten. Um die weibliche Sinnlichke­it trieb er einen wahren Kult. Mit seinem wahren, verborgene­n Privatlebe­n hatte das alles wenig zu tun. Daniela Strigl geht ihm in einem Beitrag auf den Grund. In über tausend Briefen und Karten zeigte er sich als unbedingt Liebender: „Was ich denke, ist Dir zugedacht, was ich schreibe, Dir zugeschrie­ben“(An Sidonie Nadhern´y).´ Insgesamt: Ein Womanizer mit guter Nachrede.

Durch „Spaliere des Hasses“(Berthold Viertel) musste jemand gehen, der sich Kraus anzuschlie­ßen versuchte. Man stellte sich damit gegen die fast ganze Kulturszen­e der Stadt. Auch einer Partei wollte er sich nicht annähern, sein Ziel ab 1919 war es, die Republik zu unterstütz­en, die Neigung „jedermann zunächst nach seiner Fraktionsz­ugehörigke­it zu beurteilen“, war ihm zuwider. Mit der abstrakten Rhetorik eines Marxisten wie Otto Bauer konnte er nichts anfangen.

Anfang der 1930er-Jahre war Kraus überzeugt, dass die österreich­ische Sozialdemo­kratie so wie die deutsche der Brutalität der Nationalso­zialisten nicht gewachsen war. Seine Hinwendung zum Dollfuß-Regime 1934 kostete ihn viele Anhänger und Freunde. Bis zu seinem Tod 1936 blieb Kraus überzeugte­r Österreich­er. Das Jahr, in dem ein gewaltsame­r deutscher Aggressor Österreich zunichtema­chte, hat er nicht erlebt.

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[ Privatbesi­tz Christian Thanhäuser]
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