Scharfe Blicke auf den Zustand unseres Planeten
Die Europäische Weltraumagentur baut ein umfassendes Erdbeobachtungssystem auf. Ein Besuch in der Zentrale in Frascati.
Taking the Pulse of Our Planet“– den Puls unseres Planeten fühlen: Das ist die Vision, die die Europäische Weltraumagentur ESA mit ihrem Erdbeobachtungsprogramm verfolgt. „Wir entwickeln gemeinsam mit europäischen und globalen Partnern Erdbeobachtungssysteme der Weltklasse, die wissenschaftliche und gesellschaftliche Herausforderungen adressieren“, erläutert Josef Aschbacher. Der gebürtige Tiroler, der sein gesamtes Berufsleben der Raumfahrt gewidmet hat, leitet seit zwei Jahren das ESA-Direktorat Erdbeobachtung und zudem den Standort Frascati (Italien) der ESA, wo rund 800 Forscher neue Satelliten und Raketen entwickeln.
20 Kilometer südöstlich von Rom schlägt damit auch das Herz des Copernicus-Programms, das von der ESA gemeinsam mit der EUKommission betrieben wird: Durch eine Reihe von Satelliten der neuen Sentinel-Reihe sollen vielfältige Daten über den Zustand der Erde erhoben werden. „Wir produzieren damit Informationen für die Wissenschaft und die Politik, um fundierte Entscheidungen treffen zu können“, so Aschbacher. Die ersten Satelliten des Copernicus-Programms wurden 2014 gestartet, weitere werden in den nächsten Jahren folgen.
Diese Satelliten verfügen zusammen über ein breites Spektrum von Sensoren, mit denen in einem Rhythmus von mehreren Stunden bis Tagen die gesamte Erdoberfläche abgetastet wird. Sentinel-1 registriert etwa mit „Radaraugen“Veränderungen der Erdoberfläche, Sentinel-2 verfügt über hochempfindliche Spektrometer, Sentinel-3 misst Oberflächentemperaturen von Land und Meer und Sentinel-5 überwacht die Konzentration von Luftschadstoffen. Diese Daten sind zum einen die Basis für viele wissenschaftliche Analysen – sie fließen beispielsweise in Klimamodelle des Weltklimarates IPCC ein. Zum anderen stehen die Satellitenbilder aber auch allen interessierten Bürgern und Unternehmen zur Verfügung – und zwar ohne Einschränkungen und kostenlos.
„Die Free- und Open-Data-Politik haben wir bewusst gewählt“, berichtet Aschbacher. Damit soll nicht nur den Bürgern, die ja die ESA-Aktivitäten durch ihre Steuergelder finanzieren, etwas zurückgegeben werden; die Daten sollen überdies eine Geschäftsbasis für europäische Unternehmen sein. Man verspricht sich dadurch mittelfristig einen wirtschaftlichen Nutzen für Europa, der die Investitionen um ein Vielfaches übersteigt.
Die Sentinel-Bilder haben eine Auflösung von zehn mal zehn Metern. Das ist nicht sicherheitssensitiv“, erläutert Aschbacher – soll heißen: Man kann keine Details erkennen, die Datenschutz und Privatheit verletzen könnten. Die Auflösung ist aber für unzählige Anwendungen ausreichend. Zum Beispiel, um die Bewegung von Gletschern sichtbar zu machen, um Ölspuren von lecken Tankern verfolgen zu können, um Emittenten von Luftschadstoffen zu lokalisieren, um das Ausmaß von Waldund Buschbränden zu erkennen, um gefährliche Eisberge zu lokalisieren – oder auch um der Landwirtschaft genaue Daten über den Reifungsfortschritt ihrer Feldfrüchte geben zu können.
„Die Landwirtschaft ist derzeit der größter Nachfrager nach Sentinel-Daten“, berichtet Aschbacher. Das ist auf den ersten Blick etwas überraschend. Doch auf den zweiten Blick wird klar, warum das so ist: Sentinel-2 vermisst die Reflexion der Sonnenstrahlung im gesamten sichtbaren und im Nah-Infrarot-Bereich. Aus diesen Daten lassen sich 15 verschiedene Vegetationsklassen (sprich: Feldfrüchte) unterscheiden; zudem kann man aus der Differenz zwischen infraroten und roten Spektralanteilen den Gehalt des Blattfarbstoffs Chlorophyll ermitteln – und damit auch, wie aktiv die Fotosynthese der Pflanzen gerade läuft. Dieser Vegetationsindex (NDVI) steht alle drei Tage flächendeckend zur Verfügung, man kann mit seiner Hilfe wurde 1975 gegründet, hat 2200 Mitarbeiter und ein Jahresbudget von 5,6 Mrd. Euro, die von den 22 Mitgliedstaaten, der EU-Kommission und weiteren Partnern (z. B. Kanada) kommen. Österreich ist seit 1987 Vollmitglied und zahlte 2016 48 Mio. Euro. Die ESA betreibt die Raketensysteme Ariane und Vega, das Navigationssystem Galileo sowie Erdbeobachtungssatelliten und ist an der Raumstation ISS beteiligt. erkennen, auf welchen Feldern und Feldstücken Pflanzen gerade gut wachsen oder wo sie Probleme haben – etwa weil es zu trocken ist, weil der Boden zu wenig Nährstoffe enthält oder weil Schädlinge den Pflanzen zusetzen.
Diese Informationen nutzt z. B. die Österreichische Hagelversicherung. „Wir haben damit ein Instrument, mit dem wir objektiv und rasch die Erträge auf bestimmten Feldern feststellen können“, erläutert Generaldirektor Kurt Weinberger. Ein hauseigener Spezialist bereitet zu diesem Zweck die ESADaten auf. Diese helfen zum einen den Sachverständigen vor Ort bei der Begutachtung von Hagel- oder Dürreschäden. Zum anderen wird eine Methode (mit Künstlicher Intelligenz) entwickelt, mit der noch vor der Ernte der zu erwartende Ertrag geschätzt werden können soll. Die Hagelversicherung stellt den versicherten Landwirten alle Karten kostenlos zur Verfügung.