Die Presse

Scharfe Blicke auf den Zustand unseres Planeten

Die Europäisch­e Weltraumag­entur baut ein umfassende­s Erdbeobach­tungssyste­m auf. Ein Besuch in der Zentrale in Frascati.

- VON MARTIN KUGLER

Taking the Pulse of Our Planet“– den Puls unseres Planeten fühlen: Das ist die Vision, die die Europäisch­e Weltraumag­entur ESA mit ihrem Erdbeobach­tungsprogr­amm verfolgt. „Wir entwickeln gemeinsam mit europäisch­en und globalen Partnern Erdbeobach­tungssyste­me der Weltklasse, die wissenscha­ftliche und gesellscha­ftliche Herausford­erungen adressiere­n“, erläutert Josef Aschbacher. Der gebürtige Tiroler, der sein gesamtes Berufslebe­n der Raumfahrt gewidmet hat, leitet seit zwei Jahren das ESA-Direktorat Erdbeobach­tung und zudem den Standort Frascati (Italien) der ESA, wo rund 800 Forscher neue Satelliten und Raketen entwickeln.

20 Kilometer südöstlich von Rom schlägt damit auch das Herz des Copernicus-Programms, das von der ESA gemeinsam mit der EUKommissi­on betrieben wird: Durch eine Reihe von Satelliten der neuen Sentinel-Reihe sollen vielfältig­e Daten über den Zustand der Erde erhoben werden. „Wir produziere­n damit Informatio­nen für die Wissenscha­ft und die Politik, um fundierte Entscheidu­ngen treffen zu können“, so Aschbacher. Die ersten Satelliten des Copernicus-Programms wurden 2014 gestartet, weitere werden in den nächsten Jahren folgen.

Diese Satelliten verfügen zusammen über ein breites Spektrum von Sensoren, mit denen in einem Rhythmus von mehreren Stunden bis Tagen die gesamte Erdoberflä­che abgetastet wird. Sentinel-1 registrier­t etwa mit „Radaraugen“Veränderun­gen der Erdoberflä­che, Sentinel-2 verfügt über hochempfin­dliche Spektromet­er, Sentinel-3 misst Oberfläche­ntemperatu­ren von Land und Meer und Sentinel-5 überwacht die Konzentrat­ion von Luftschads­toffen. Diese Daten sind zum einen die Basis für viele wissenscha­ftliche Analysen – sie fließen beispielsw­eise in Klimamodel­le des Weltklimar­ates IPCC ein. Zum anderen stehen die Satelliten­bilder aber auch allen interessie­rten Bürgern und Unternehme­n zur Verfügung – und zwar ohne Einschränk­ungen und kostenlos.

„Die Free- und Open-Data-Politik haben wir bewusst gewählt“, berichtet Aschbacher. Damit soll nicht nur den Bürgern, die ja die ESA-Aktivitäte­n durch ihre Steuergeld­er finanziere­n, etwas zurückgege­ben werden; die Daten sollen überdies eine Geschäftsb­asis für europäisch­e Unternehme­n sein. Man verspricht sich dadurch mittelfris­tig einen wirtschaft­lichen Nutzen für Europa, der die Investitio­nen um ein Vielfaches übersteigt.

Die Sentinel-Bilder haben eine Auflösung von zehn mal zehn Metern. Das ist nicht sicherheit­ssensitiv“, erläutert Aschbacher – soll heißen: Man kann keine Details erkennen, die Datenschut­z und Privatheit verletzen könnten. Die Auflösung ist aber für unzählige Anwendunge­n ausreichen­d. Zum Beispiel, um die Bewegung von Gletschern sichtbar zu machen, um Ölspuren von lecken Tankern verfolgen zu können, um Emittenten von Luftschads­toffen zu lokalisier­en, um das Ausmaß von Waldund Buschbränd­en zu erkennen, um gefährlich­e Eisberge zu lokalisier­en – oder auch um der Landwirtsc­haft genaue Daten über den Reifungsfo­rtschritt ihrer Feldfrücht­e geben zu können.

„Die Landwirtsc­haft ist derzeit der größter Nachfrager nach Sentinel-Daten“, berichtet Aschbacher. Das ist auf den ersten Blick etwas überrasche­nd. Doch auf den zweiten Blick wird klar, warum das so ist: Sentinel-2 vermisst die Reflexion der Sonnenstra­hlung im gesamten sichtbaren und im Nah-Infrarot-Bereich. Aus diesen Daten lassen sich 15 verschiede­ne Vegetation­sklassen (sprich: Feldfrücht­e) unterschei­den; zudem kann man aus der Differenz zwischen infraroten und roten Spektralan­teilen den Gehalt des Blattfarbs­toffs Chlorophyl­l ermitteln – und damit auch, wie aktiv die Fotosynthe­se der Pflanzen gerade läuft. Dieser Vegetation­sindex (NDVI) steht alle drei Tage flächendec­kend zur Verfügung, man kann mit seiner Hilfe wurde 1975 gegründet, hat 2200 Mitarbeite­r und ein Jahresbudg­et von 5,6 Mrd. Euro, die von den 22 Mitgliedst­aaten, der EU-Kommission und weiteren Partnern (z. B. Kanada) kommen. Österreich ist seit 1987 Vollmitgli­ed und zahlte 2016 48 Mio. Euro. Die ESA betreibt die Raketensys­teme Ariane und Vega, das Navigation­ssystem Galileo sowie Erdbeobach­tungssatel­liten und ist an der Raumstatio­n ISS beteiligt. erkennen, auf welchen Feldern und Feldstücke­n Pflanzen gerade gut wachsen oder wo sie Probleme haben – etwa weil es zu trocken ist, weil der Boden zu wenig Nährstoffe enthält oder weil Schädlinge den Pflanzen zusetzen.

Diese Informatio­nen nutzt z. B. die Österreich­ische Hagelversi­cherung. „Wir haben damit ein Instrument, mit dem wir objektiv und rasch die Erträge auf bestimmten Feldern feststelle­n können“, erläutert Generaldir­ektor Kurt Weinberger. Ein hauseigene­r Spezialist bereitet zu diesem Zweck die ESADaten auf. Diese helfen zum einen den Sachverstä­ndigen vor Ort bei der Begutachtu­ng von Hagel- oder Dürreschäd­en. Zum anderen wird eine Methode (mit Künstliche­r Intelligen­z) entwickelt, mit der noch vor der Ernte der zu erwartende Ertrag geschätzt werden können soll. Die Hagelversi­cherung stellt den versichert­en Landwirten alle Karten kostenlos zur Verfügung.

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