Die Presse

Söldner, die in den Krieg humpelten

Die 7000-jährige Geschichte des Kriegs wird in einer neuen Sonderauss­tellung im Naturhisto­rischen Museum Wien gezeigt. Eine imposante und erschütter­nde Schau.

- VON MARTIN KUGLER

Auch der Laie erkennt sogleich, dass man diesen Akt der Aggression nicht überleben konnte: Das Schädeldac­h ist in Dutzende Einzelteil­e zersplitte­rt, was offenbar durch einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand – einem Steinbeil oder einer Keule – hervorgeru­fen wurde. Passiert ist dies vor 7000 Jahren in der Nähe der heutigen Weinviertl­er Ortschaft Schletz (bei Asparn/Zaya): Laut aktuellem Kenntnisst­and wurde damals ein ganzes Dorf von Angreifern niedergeme­tzelt. Die Leichen blieben unbestatte­t liegen, an den Knochen sind sogar Bissspuren von Wildtieren zu sehen.

Schletz gilt in der Wissenscha­ft als eines der ältesten Zeugnisse für das Phänomen „Krieg“, dem nun eine Sonderauss­tellung im Naturhisto­rischen Museum Wien (NHM) gewidmet ist. Dieser Einstieg in die diese Woche eröffnete Schau ist für sich gesehen schon erschütter­nd. Doch das Entsetzen wird über mehrere Stationen – Bronze- und Eisenzeit, Antike, Völkerwand­erungszeit und Mittelalte­r – noch weiter gesteigert, bis man im letzten Saal beim zentralen Ausstellun­gsstück angelangt ist: bei einem Massengrab, in dem in mehreren Schichten übereinand­er 47 Skelette von Menschen liegen, die die verlustrei­che Schlacht bei Lützen (Sachsen-Anhalt) am 6. November 1632 nicht überlebt haben – so wie 6000 weitere Leidensgen­ossen, unter ihnen auch die Heerführer.

Das Massengrab aus dem Dreißigjäh­rigen Krieg wurde 2011 bei Ausgrabung­en auf dem historisch­en Schlachtfe­ld in Ostdeutsch­land gefunden, als Block geborgen und in jahrelange­r Arbeit am Landesmuse­um für Vorgeschic­hte in Halle erforscht und konservier­t. Nun ist dieses Stück für sechs Monate nach Wien übersiedel­t und führt dem Besucher als senkrecht stehende riesige Wand die Brutalität des Kriegs vor Augen.

Die Ausstellun­gsgestalte­r haben sich bewusst dafür entschiede­n, echte Skelette zu zeigen, wie der Landesarch­äologe von Sachsen-Anhalt, Harald Meller, erläutert. „In katholisch geprägten Re- gionen ist das Ausstellen von Knochen Teil der Kultur“, sagt er mit Hinweis auf die verbreitet­e Praxis des Zurschaust­ellens von Reliquien. „Wir stellen die Knochen nicht um des Ausstellen Willens aus, und nicht als Schaustück­e, sondern als Denkmal, als Mahnmal, als Memento mori“, so der Leiter des Museums in Halle, wo das Massengrab schon vor zwei Jahren das Herzstück einer viel beachteten Ausstellun­g war.

Für die nunmehrige Wiener Version der Schau wurde eine Erweiterun­g des Themas vorgenomme­n: Der „Krieg“wurde um den Aspekt der Evolution angereiche­rt – also wie sich Kriege von der Tötung Einzelner zum Massenmord wandelten, wie die Entwicklun­g von mythischen „Helden“zum namenlosen Soldaten verlief und wie aus Werkzeugen Waffen wurden.

Diese Veränderun­gen sind archäologi­sch gut fassbar und mit zahlreiche­n Ausstellun­gsstücken – viele aus deutschen, noch mehr aus österreich­ischen Sammlun- gen – belegt: In der Steinzeit wurden Alltagsgeg­enstände und Jagdwaffen wie Beile oder Pfeil und Bogen auch als Kriegswaff­en eingesetzt. Das erste Gerät, das ausschließ­lich als Waffe diente, war das Schwert, das in der Bronzezeit erfunden wurde und ab der Eisenzeit zur gefährlich­sten Waffe wurde. Von der Einführung bezahlter Söldner als Soldaten in stehenden Heeren durch die Römer bis ins späte Mittelalte­r änderte sich nur wenig an der Kriegsführ­ung. Erst die routinemäß­ige Verwendung

heißt die neue Ausstellun­g im Naturhisto­rischen Museum Wien. Ein Zusatz zur Schau (über Medizin im Ersten Weltkrieg) befindet sich im „Narrenturm“auf dem Campus der Uni Wien.

Begleitend gibt es zahlreiche Vorträge, Führungen, einen Blog, eine Friedenswe­rkstatt und Workshops für Schulen. von Schusswaff­en ab dem 16. Jahrhunder­t führte zu grundlegen­den Neuerungen.

Davon legt auch das Massengrab aus Lützen Zeugnis ab: Vor der Wand mit den Gerippen sind unzählige Bleikugeln drapiert, die im Boden, teils gar in den Schädeln von Toten gefunden wurden. Per Touchscree­n kann jedes einzelne der 47 Skelette hervorgeho­ben werden – auf dem Bildschirm sind alle Merkmale des betreffend­en Kriegsopfe­rs abrufbar. Darin äußert sich eine weitere grundlegen­de Entscheidu­ng der Ausstellun­gsmacher: Krieg wird aus der Perspektiv­e der Opfer erzählt – und nicht aus der herkömmlic­hen Sicht der Sieger.

Der Perspektiv­wechsel bringt erschrecke­nde Erkenntnis­se: Bei vielen auf Schlachtfe­ldern gefunden Skeletten findet man Anzeichen von Krankheite­n, Verletzung­en, Abnützungs­erscheinun­gen und Folgen von Mangelernä­hrung. Bei den Gefallenen handelt es sich also nicht um strahlende Helden, sondern um ausgezehrt­e Menschen, die in den Krieg humpelten.

 ?? [ LDA Sachsen-Anhalt/Juraj Liptak´ ] ??
[ LDA Sachsen-Anhalt/Juraj Liptak´ ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria