Die Presse

Die Gräuel als Motor der Medizin

Der Erste Weltkrieg brachte einen Entwicklun­gsschub.

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Niemals zuvor war Krieg so brutal wie im Ersten Weltkrieg, niemals zuvor wurden so schrecklic­he Waffen eingesetzt, niemals zuvor derart viele Menschen getötet und verwundet. Die neuen Waffen – Maschineng­ewehre, Riesengesc­hütze und Giftgas – verursacht­en bis dahin ungeahnt-furchtbare Verletzung­en. „Krieg – so traurig er ist – ist auch ein Schub für die Medizin“, sagt Karin WiltschkeS­chrotta, interimist­ische Leiterin der Anthropolo­gischen Abteilung des Naturhisto­rischen Museums Wien (NHM) und der pathologis­ch-anatomisch­en Sammlung im Narrenturm. In diesem – ein Rundbau auf dem Campus der Uni Wien aus dem Jahr 1784, der nun neu renoviert erstrahlt – widmen sich anlässlich der Sonderauss­tellung „Krieg. Auf den Spuren einer Evolution“drei Räume der Medizin im Ersten Weltkrieg.

Zu sehen sind etwa Abgüsse und Originalpr­äparate der grausigen Verletzung­en, mit denen die Ärzte seinerzeit konfrontie­rt waren. Einem, der sich tatkräftig engagiert hat, um den Verwundete­n zu helfen, ist der zweite Raum gewidmet: Lorenz Böhler verbessert­e als junger Arzt in einem Hilfslazar­ett die Methoden zur Behandlung von Knochenbrü­chen. Seiner Arbeit ist es zu verdanken, dass vielen Verwundete­n eine Amputation erspart geblieben ist.

Gezeigt wird überdies, dass im Ersten Weltkrieg die Basis für die plastische Chirurgie geschaffen wurde: Um den Überlebend­en trotz entstellen­der Wunden eine Wiedereing­liederung in die Gesellscha­ft zu ermögliche­n, wurden u. a. neue Methoden der Kieferchir­urgie angewandt. Dabei wurde sogar Kopfhaut auf die Oberlippe transplant­iert, damit die Betroffene­n wieder einen Schnurrbar­t tragen konnten. Überdies wurden Prothesen weiterentw­ickelt – und auch Epithesen, mit denen Gesichtsve­rletzungen oder fehlende Augen kaschiert werden konnten. (ku)

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