Nächtliche Debatten
Zuletzt musste ich über den Flur des Unterhauses. Der dortige Empfang wirkte von Weitem edel, geradezu den ringsum hängenden Perückenträgergemälden entsprungen, das täuschte aber dank der Smokingpflicht dort. Als die Farbe des Gangteppichs von Grün auf Rot wechselte, hatte ich die Demokratie hinter mir. Ich war im House of Lords.
Auf meinem Empfang wurden viele Reden gehalten, bald darauf baten uns die Saaldiener aus dem Speisesaal der Lords hinaus. Im Flur hing ein sechsteiliges Gemälde: „The House of Lords debating the Queen’s Speech, November 1995.“Damals amtierte noch der Lordkanzler auf dem „Woolsack“, einem großen roten Sitzpolster ohne Lehne. Ich betrachtete das Gemälde lange, die formlos herumstehenden oder auf den rot gepolsterten Bänken hingefläzten Lords, unter ihnen Margaret Thatcher. Endlich fiel es mir auf: Kein einziger der 350 Lords, die während dieser Debatte porträtiert waren, sprach! Selbst die zwei amüsiert Zusammenstehenden lachten über einen offenbar vor Langem erzählten Witz, der Maler hatte das letzte Verebben der Pointe gebannt.
Mein Hotel lag schräg gegenüber, an der Themse. Es war Mitternacht, ich wollte noch was trinken. Die Pubs schenkten aber nicht mehr aus, die Minibar blieb mir ohne Hinterlegung meiner Kreditkartendaten an der Rezeption verschlossen, und da das Zimmer nur über matt leuchtende Täfelchen mit rätselhaften Piktogrammen zu bedienen war, resignierte ich auch am Einschalten des Lichts im Bad. Ich legte mich also hin.
Der Parlamentskanal zeigte die Brexit-Debatte im House of Lords. Ein alter Labour-Veteran sprach mahnend über die Bedeutung des Karfreitagsabkommens von 1998 für den Frieden in Nordirland. Die anderen Lords standen und saßen herum, genau wie auf dem Gemälde.
Als ich spät in der Nacht aufwachte, lief die Debatte immer noch. Die eingeblendeten Namen klangen ganz und gar fantastisch. Eine frühere Labour-Ministerin, die ebenso mahnend über Nordirland sprach, hatte sich etwa in „The Baroness Armstrong of Hill Top“verwandelt. Das House of Lords hat keine Zukunft dachte ich schlummernd dabei