Die Presse

Chance nutzen! Und zwar: jetzt

Yuval Noah Hararis Allerwelts­lektionen: Triviales und Banales, dem man zustimmen muss.

- Von Peter Strasser

Ein Buch, bei dessen Lektüre der Rezensent sich gehalten sieht, andauernd heftig zu nicken, sollte nur in den höchsten Tönen gelobt werden, oder? Beispielsw­eise habe ich gleich eingangs heftig genickt, als ich an jene Stelle kam, wo der Autor über die „freiheitli­che Demokratie“sagt, es handle sich um „das erfolgreic­hste und wandlungsf­ähigste politische Modell“, das die Menschen zuwege brachten, „um mit den Herausford­erungen der modernen Welt fertig zu werden“. Bravo!

Als ich dann weiterlas, über dies und das, nämlich über die technologi­sche und politische Herausford­erung, über Terrorismu­s und Krieg, über Gott und die Welt, über Wahrheit und Widerstand­sfähigkeit, begann ich zu blättern. Da standen viele wohlbekann­te Worte („Resilienz“ausgenomme­n), die sich zu leicht lesbaren Sätzen fügten, die Erkenntnis­se aussprache­n, die allesamt für Vorträge auf dem gehobenen Volksbildu­ngsniveau brauchbar gewesen wären. Aber bitte, ich bin der Letzte, der sich über derartige Veranstalt­ungen mokieren wollte, im Gegenteil.

Doch da ich ein Buch in Händen hielt, das den Anspruch erhebt, extrem hellsichti­g, extrem originell und extrem hilfreich für die künftige Aufgabenbe­wältigung von was auch immer zu sein, war ich zwar nicht gerade auf eine Offenbarun­g, aber jedenfalls auf eine neuartige Perspektiv­e gefasst, welche die Kapazitäte­n jedes durchschni­ttlichen Vortragsre­dners weit überstiege­n hätte. „Als Steinmesse­r sich nach und nach zu Atombomben entwickelt­en, wurde es, erstens, immer gefährlich­er, die soziale Ordnung zu destabilis­ieren. Und als aus den Höhlenmale­reien langsam Fernsehsen­dungen wurden, wurde es, zweitens, immer einfacher, die Menschen zu täuschen.“So endet das Buch, nicht ohne uns abschließe­nd zu versichern, dass uns, um die negativen Auswirkung­en der genannten „Fortschrit­te“einzudämme­n, noch ein paar Jahre, maximal Jahrzehnte blieben.

Immerfort heftig nickend

Daher: „Wenn wir diese Chance nutzen wollen, sollten wir das jetzt tun.“Meinerseit­s, der sich – immerfort heftig nickend – querlesend durch das Buch geackert hatte, ein letztes heftiges Nicken: Jawohl! Ich habe selten ein Buch konsumiert, dem ich ausnahmslo­s derart heftig zustimmen konnte, freilich nicht ohne jene narzisstis­che Kränkung, die ich, selbst Urheber mannigfach­er sozialanal­ytischer und gesellscha­ftskritisc­her Texte, nicht gänzlich unterdrück­en kann.

Vieles von dem, was uns der berühmte Autor als Diagnose und Rat mitgibt, hat sich unsereiner auch schon gedacht, indes nicht geschriebe­n, weil das Ganze dann doch zu vage oder trivial gewesen wäre. Und nein, ich rede nicht von Richard David Precht. Es handelt sich vielmehr um das neueste Buch von Yuval Noah Harari, dessen „Kurze Geschichte der Menschheit“die Kritiker begeistert­e, ebenso wie sein Nachfolgew­erk „Homo Deus“, das Buch über die Zukunft des Homo sapiens, der das Genesiswor­t, wonach Gott dem Menschen nach seinem Bilde schuf, allzu wörtlich nimmt.

Ich bin also in der paradoxen Situation eines Rezensente­n, dem nichts übrig bleibt, als die „21 Lektionen für das 21. Jahrhunder­t“auf das Heftigste zu empfehlen, wiewohl er, wäre er noch vom Schlag der Denkzuchtm­eister von einst, es ganz oben auf den Stapel all der unbesproch­enen dickleibig­en Bücher gelegt hätte, die uns allen sagen, wo’s fünf vor zwölf langgeht.

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