Die Presse

Sechs Monate, geheimnisv­oll

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WQien 1947. Der Beginn einer großen, lang währenden Liebe: hier eine 21-Jährige aus der Provinz, aus kleinbürge­rlichen Verhältnis­sen, am Beginn ihrer Karriere als Schriftste­llerin; erste Gedichte von ihr wurden bereits gedruckt. Da ein 27-Jähriger, aus seiner Heimat geflüchtet, seine Texte ließ er zurück.

Gemeinsam verleben sie sechs Monate in Wien, er als Dichter, sie als Philosophi­estudentin, bevor er 1948 nach Paris geht. Nach ihrer Promotion reist sie dank erster größerer Honorare für ihre Veröffentl­ichungen in die französisc­he Hauptstadt. Sie bleibt nur zwei Monate dort.

Während der nächsten Dekade begegnen sie einander bei verschiede­nen Anlässen wieder. Einblicke in ihre Liebesbezi­ehung bleiben verwehrt, da die zwei nichts preisgeben. In ihren literarisc­hen Werken finden sich aber Spuren ihrer Liebe; darin setzt sich der Dialog fort: in sich ähnelnden Bildern, korrespond­ierenden Aussagen. Oftmals wiederholt er ihre Vokabeln und setzt ihrem hohen Ton eine nüchterne, bilderlose Sprache entgegen. Zugleich betont er, der aus Czernowitz stammende Jude, den Abstand zu ihr, der Nichtjüdin. Sie will das aber nicht gelten lassen, sondern beweisen, dass sie zu ihm gehört.

1952 soll sie bei der Tagung einer Schriftste­llerverein­igung lesen. Sie kämpft dafür, dass auch er eingeladen wird; er ist völlig unbekannt. Ihr Auftritt gestaltet sich katastroph­al: Sie liest leise und stockend, er singend und weltentrüc­kt. Dazu ist noch eine Wiener Schriftste­llerin vor Ort, die einen später sehr bekannten Text vorträgt. Sein Text wird einstimmig abgelehnt; sie dagegen wird im folgenden Jahr mit dem Preis der Gruppe ausgezeich­net.

1960 treffen die beiden einander ein letztes Mal: im Restaurant „Kronenhall­e“in Zürich, mit der Dichterin Nelly Sachs, die in Meersburg den Droste-Preis in Empfang nehmen soll. Er behauptet aufgebrach­t, Preisverle­ihungen an Juden seien nur ein Alibi – genau so versteht er auch seine Nominierun­g zum BüchnerPre­is. Letztlich akzeptiert er ihn aber trotzdem.

Zehn Jahre später wählt er den Freitod. Sie stirbt 1973 mit erst 47 Jahren.

Wer traf wen? Wie heißt sein Gedichtban­d von 1952? Für welchen Komponiste­n schrieb sie Texte? Wer war die Wiener Schriftste­llerin, welcher Text?

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