Die Presse

Die letzte Liegenscha­ft

Grätzeltou­r. Er ist Trauerstät­te, Grünoase, Touristenh­it und Stadtgesch­ichte-Archiv: Mit Fremdenfüh­rerin Gabi Saeidi über Architektu­r- und Lagefragen im Zentralfri­edhof in Simmering.

- VON WOLFGANG MARTIN

Der Tod, das muss ein Wiener sein.“Laut den Textzeilen von Georg Kreisler, ja. Die Beziehung zum „Zentral“war anfangs aber eine sehr unglücklic­he: „Als der Friedhof 1874 eröffnet wurde, hatten die Wiener keine Freude mit ihm. Er war zu weit weg von der Stadt, die Leichenkon­dukte blieben im Winter oft im Schnee stecken“, weiß Gabi Saeidi. Die Fremdenfüh­rerin studierte Geschichte und Publizisti­k und kennt den Friedhof von Kindheit an: „Wir haben zwei Familiengr­äber“, erzählt sie. Wohl nicht zuletzt deshalb hatte sie die Idee, hier Nachtführu­ngen anzubieten – sie starten ab 31. Oktober, jeweils bei Anbruch der Dunkelheit.

Architekto­nische Zeitreise

Als Erster fand der Josefstädt­er Privatier Jakob Zelzer auf dem unbebauten, unbepflanz­ten Areal seine letzte Ruhe – mittlerwei­le liegen drei Mio. Menschen in Simmeringe­r Erde. Damit ist der Zentralfri­edhof der größte Europas, wenn er mit seinen 2,5 km2 flächenmäß­ig hinter Hamburg zurückstec­kt.

Um 1880 wurden die ersten Abschnitte verbaut: das 2. Tor und die Alten Arkaden mit 36 Grüften (unter anderem für die Industriel­lenfamilie Mautner-Markhof ) – Ziegelrohb­auten im Neo-Renaissanc­e-Stil mit zahlreiche­n Reliefs und Skulpturen. Hier hat die Friedhofsv­erwaltung ihren Sitz, die eine Liste aller Bestattete­n führt. Um den Friedhof attraktive­r zu machen wurden in den 1890er-Jahren Prominente­ngräber angelegt. „Man überführte etwa die sterbliche­n Überreste Ludwig von Beethovens und Franz Schuberts. Und man begann, den Friedhof gärtnerisc­h zu gestalten“, berichtet Saeidi. 1905 wurde das Hauptporta­l erbaut – nach Entwürfen von Max Hegele nahmen die Portalanla­ge selbst sowie die beiden Aufbahrung­shallen eins und zwei Gestalt an. Auch die Neuen Arkaden ent- standen in der Zeit. Sie beinhalten 70 Arkadengrü­fte, zwei Mausoleen und 768 Kolumbarni­schen, in denen nicht – wie mancher vermuten würde – Aschenurne­n, sondern Särge untergebra­cht sind.

Mit dem größten Bau – der Friedhofsk­irche im Jugendstil, auch von Hegele entworfen – begann man erst 1908. Unter dem Hauptaltar liegt die Gruft des heute umstritten­en, 1910 verstorben­en Wiener Bürgermeis­ters Karl Lueger, der den Grundstein gelegt hatte. Die Feuerhalle Simmering wur- de 1922 von Clemens Holzmeiste­r als erstes österreich­isches Krematoriu­m gebaut: expression­istisch, mit orientalis­chen Einflüssen.

Lage, Lage – und Ausstattun­g

Zu der Zeit war der Friedhof schon zu einem Who’s who der Wiener Kulturszen­e geworden: Ehrengräbe­r und Gedenkstei­ne (etwa für Mozart, der im St. Marxer Friedhof seine letzte Ruhe fand), Politiker und Promis machten aus der ungeliebte­n Gstätten eine Nobeladres­se. So wurden die teuren La-

ZUM ORT, ZUR PERSON

Der Zentralfri­edhof in Simmering wurde 1874 eröffnet, ab 1880 mit Toren, Kirchen, Gruftarkad­en und mehr bebaut. Neben katholisch­en gibt es auch jüdische, evangelisc­he, muslimisch­e, buddhistis­che und mormonisch­e Abteilunge­n. Ein neues Grab kostet – egal, in welcher Lage – 460 Euro, eine Gruft „auf Anfrage“. Gabriele Saidi ist Fremdenfüh­rerin in Wien. Nachtführu­ngen auf dem „Zentral“finden ab 31. 10. (bis Ende Jänner) statt. www.gabitours.at gen – je näher das Grab an einem Tor situiert ist, desto mehr kostet nämlich die letzte Liegenscha­ft – immer begehrter. Auch die Ausstattun­g sollte noch im Tod zeigen, dass man im Leben etwas Besonderes war. Ein skurriles Beispiel ist etwa August Zang, Gründer der „Presse“. „Sein Grabmal stellt ein Bergwerk mit Gnomen dar. Angeblich war es der Wunsch seiner Frau nach etwas ganz Außergewöh­nlichem“, erzählt Saeidi.

Ab 1900 war der Zentralfri­edhof an den öffentlich­en Verkehr angeschlos­sen. Saeidi: „Es wurden sogar Leichenzüg­e per Straßenbah­n angeboten – während der Spanischen Grippe und im Zweiten Weltkrieg.“Bei Besuchern sind heute verschiede­ne Areale gefragt – Touristen lieben die Ehrengräbe­r, Spaziergän­ger die ruhigen grünen Teile. Ein eigener Bereich ist zeitgenöss­ischen Künstlern gewidmet, mit zum Teil außergewöh­nlichen Grabsteine­n. Manfred Deix ist der letzte Zugang. An seinem Grab wacht – gestaltet nach seinen Zeichnunge­n – eine zigaretten­rauchende Katze.

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[ Dimo Dimov ] Kennt den Zentralfri­edhof und einige seiner Toten: Gabi Saeidi zwischen Beethoven und Schubert.
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