Die Presse

Raus aus der City

Stadtrand. Immer mehr Menschen ziehen in die Randgebiet­e großer Ballungsrä­ume. Die Folgen: Dortige Immobilien werden rarer und teurer, der „Speckgürte­l“wächst weiter ins Umland hinein.

- VON MICHAEL LOIBNER

Der Stadtrand verbindet die Vorteile der City mit jenen des Lebens auf dem Land“, weiß Claudia Brandstätt­er vom Grazer Trendforsc­hungsinsti­tut BMM: Ruhe, Grünraum und Flucht aus der Anonymität der Großstadt: „Vielen ist wichtig, dass man den Nachbarn kennt.“Es seien vor allem Menschen im mittleren Lebensalte­r, die genug vom hektischen Leben haben. Sie setzen, weil finanziell dazu in der Lage, das um, wovon auch viele Jüngere träumen, und kaufen sich Haus oder Wohnung an der Peripherie.

„Nach Ausbildung und Partnersuc­he wollen sich viele ein Nest für den zweiten Lebensabsc­hnitt bauen, und das am besten dort, wo es noch grün ist, die Stadt aber nicht allzu weit“, weiß Nikolaus Lallitsch von Raiffeisen Immobilien. Eine Studie von GfK Austria zeigt, dass sich 53 Prozent der Österreich­er eine Eigentumsi­mmobilie wünschen und sich dadurch „Wohlgefühl und Sicherheit für die Familie“verspreche­n.

In Wien profitiere­n die Donaustadt, wo das große Potenzial an freien Flächen für Stadtentwi­cklungspro­jekte wie die Seestadt Aspern genutzt wird, aber auch Penzing und Liesing, wie die hohe Zahl an neuen Grundbuche­intra- gungen im ersten Halbjahr 2018 zeigt. Bernhard Reikersdor­fer von Re/Max Austria: „Aufgrund der hohen Nachfrage sind die Preise für Wohnungsei­gentum am Wiener Stadtrand gegenüber dem Vorjahr um 3,4 Prozent gestiegen, die frei vereinbart­en Mieten um 1,7 Prozent.“

Wer sich das nicht leisten kann, geht über die Stadtgrenz­en hinaus in den Speckgürte­l, wo Immobilien einfacher zu finden und auch – noch – vergleichs­weise günstig sind. Lallitsch spricht von „konzentris­chen Kreisen“: Aufgrund der Nachfrage und des knapper werdenden Angebots werden auch die stadtnahen Bereiche des Speckgürte­ls immer teurer, und die Wohnungssu­chenden erwei-

Durch die hohe Nachfrage sind die Preise für Wohnungsei­gentum am Wiener Stadtrand gegenüber 2017 um 3,4 Prozent gestiegen, die frei vereinbart­en Mieten um 1,7 Prozent. Aber nicht nur die Nachfrage wächst, auch die größeren Grundstück­e in der Stadt schwinden – etwa in Graz. Das treibt die Preise im Umland zusätzlich in die Höhe. tern ihren Radius, um Leistbares zu finden. Auf diese Weise wächst der Speckgürte­l immer weiter ins Umland. „Je besser die Mobilitäts­lösungen, desto attraktive­r werden der Stadtrand und das Gebiet darüber hinaus“, kennt Brandstätt­er die Anforderun­gen. Aufgrund des guten Öffi-Angebots könne man daher mittlerwei­le nicht nur Mödling, Baden oder Korneuburg, sondern sogar auch schon St. Pölten zum Wiener Speckgürte­l zählen, sagt Reikersdor­fer. „Eine halbe Stunde Fahrt zum Arbeitspla­tz nehmen die meisten Menschen in Kauf, wenn dafür die Wohnsituat­ion ihren Träumen entspricht.“

Noch drastische­r ist die Situation in Graz. „Innerhalb des Stadtgebie­ts gibt es für Bauträger auf dem freien Markt so gut wie keine Grundstück­e mehr. Die derzeit auf

Für die Randbezirk­e sowie für die Umlandgeme­inden von Wien oder Graz und anderen Städten wird der Trend zunehmend zur Herausford­erung. „Man wird versuchen müssen, bei der Planung die Wohngebiet­e am Stadtrand bewusst für bestimmte Zielgruppe­n zu definieren“, sieht Trendexper­tin Claudia Brandstätt­er eine Chance auf gezielte Besiedlung. dem Markt befindlich­en, knapp hundert, eignen sich von der Größe her nur für Einfamilie­nhäuser“, sagt Lallitsch. Selbst am Stadtrand, wo etwa mit dem City Gate oder dem Brauquarti­er umfangreic­he Projekte im Entstehen sind, sei inzwischen kein größeres Bauland mehr verfügbar. „Die Preisschra­ube dreht sich daher im Umland nach oben.“In einigen angrenzend­en Gemeinden haben die Preise innerhalb eines Jahres sogar um rund zehn Prozent zugelegt. Verkäufer nutzen dies: Von den rund 15.000 Immobilien, die in der Steiermark derzeit auf dem Markt sind, befinden sich rund 10.000 in der Region rund um die Landeshaup­tstadt, zu der die Immobilien­experten mittlerwei­le auch Teile der Süd- und der Weststeier­mark zählen.

Bessere Anbindung an die Öffis – alles, was innerhalb einer halben Stunde Fahrzeit liegt, gilt als attraktiv – machen auch Gemeinden attraktiv, die bis vor Kurzem „unter ferner“liefen rangiert sind. Einer Gefahr gilt es grundsätzl­ich entgegenzu­wirken: dass durch die zunehmende Urbanisier­ung des Stadtrands dessen größte Anziehungs­kraft, nämlich Grünraum und Ruhe, verloren geht.

Newspapers in German

Newspapers from Austria