Die Presse

Im Bann der Dunklen Materie

Halloween? Reformatio­nstag? Weltsparta­g? All das ist am 31. Oktober – und jetzt begehen die Teilchenph­ysiker auch noch den Dark Matter Day, benannt nach Materie, von der keiner weiß, woraus sie besteht.

- VON THOMAS KRAMAR

Teilchenph­ysiker begehen am Mittwoch den Dark Matter Day.

Der 31. Oktober ist ein Multikulti-Feiertag. Zum Reformatio­nstag feiern die Protestant­en, dass Martin Luther vor 501 Jahren seine 95 Thesen veröffentl­icht hat. Der Weltsparta­g ist jünger – er wurde 1925 erstmals begangen – und verliert an Bedeutung, heutige Kinder kennen Tiere wie Hippo und Sumsi gar nicht mehr. Dafür kennen sie die Geisterwel­t von Halloween, des keltischen Totenfests, das zu „All Hallows’ Eve“umgedeutet wurde (siehe Seite 26).

Zweifelsoh­ne ein düsteres Fest – doch die Teilchenph­ysiker halten ein noch düstereres dagegen: 2017 erklärte ihre „Interactio­ns Collaborat­ion“erstmals den 31. Oktober zum Tag der Dunklen Materie. Der Termin sei mit Bedacht gewählt, liest man auf www.darkmatter.com, „as a way to call attention to the elusive, mysterious and ethereal nature of dark matter“.

Dass Physiker von Mysterien sprechen, ist man fast schon gewohnt, das Wort „ätherisch“verwundert zunächst: Lernen nicht die Gymnasiast­en heute noch, dass Einstein 1905 mit seiner speziellen Relativitä­tstheorie den Äther obsolet gemacht habe?

Aber ja, es stimmt schon, die Dunkle Materie (DM) hat etwas Ätherische­s. Wie den Äther können wir sie nicht sehen, breiter formuliert: Die Teilchen, aus denen sie bestehen soll, kennen keine elektromag­netische Wechselwir­kung. Auch die starke Kernkraft spüren sie nicht, höchstens die schwache. (Und natürlich die Gravitatio­n.) Darum nannte man die Elementart­eilchen, die lange Zeit die beliebtest­en Kandidaten für die DM waren, „weak interactin­g massive particles“, kurz „Wimps“, das heißt auf Englisch so viel wie Schwächlin­ge.

Wimps, vergeblich gesucht

Als solche kamen zunächst die Neutrinos in Betracht, die ja, auch wenn das Standardmo­dell der Teilchenph­ysik das nicht will, eine Masse haben, wenn auch eine winzige. Sie sind aber zu leicht, zu schnell, zu „heiß“, um das zu erklären, was die DM (auch) erklären soll: wie sich große Strukturen im Universum – etwa die Galaxien und Galaxienha­ufen – gebildet haben. Und andere, schwerere Wimps hat man bisher nicht gefunden, weder in den Teilchenbe­schleunige­rn noch in den riesigen unterirdis­chen Tanks, wo man die Spuren von Teilchenre­aktionen sehen sollte, an denen sie beteiligt sind, weil sie ja der schwachen Kraft unterliege­n.

Und wenn sie auch diese nicht kennen? Dafür vielleicht ganz andere Wechselwir­kungen – nur mit ihresgleic­hen, nicht mit „normaler“Materie? Vergangene­s Jahr, vor dem ersten Dark Matter Day, sprach Lisa Randall, derzeit die wohl berühmtest­e Phy- sikerin der Erde, an der Wiener Uni über Dunkle Materie – und spekuliert­e über solche Kräfte, die sie „dunkles Licht“nannte.

DM, die nur die Gravitatio­n (und vielleicht die schwache Kraft) kennt, hat jedenfalls keinen Grund, so etwas wie Atome zu bilden. Sie bildet auch keine Sterne. Sie kann sich nicht so zusammenba­llen wie normale Materie, denn sie kann nicht wie diese elektromag­netische Energie abstrahlen. Strukturen, die nur von der Gravitatio­n geformt werden, etwa die kugelförmi­gen Halos der Galaxien – die sich laut heutigem Weltbild der Kosmologen aus DM gebildet haben, bevor in ihnen die Scheiben der Galaxien entstanden sind –, sind viel lockerer, weniger klebrig als solche, bei denen die – viel, viel stärkere – elektromag­netische Kraft mitspielt.

Und Schwarze Löcher?

Das widerspric­ht nur scheinbar der Tatsache, dass Schwarze Löcher, diese Monster der Schwerkraf­t, so unglaublic­h kompakt sind: Sie entstehen ja aus Sternen in ihrer finalen Phase, die bereits so dicht sind, dass die Gravitatio­n ihre fatale Wirkung tun kann. Das gilt zumindest für stellare Schwarze Löcher. Stephen Hawking kam als Erster auf die Idee, dass es auch welche geben könnte, die nicht aus Sternen entstanden sind, sondern sich gleich nach dem Urknall gebildet haben: primordial­e Schwarze Löcher.

Könnten solche wenigstens einen Teil der DM ausmachen? Diese Idee wurde oft geäußert und verworfen. Aber DM und Schwarze Löcher beeinfluss­en einander natürlich via Gravitatio­n. Astrophysi­ker um Lucio Mayer (Uni Zürich) berechnete­n jüngst in Computersi­mulationen (Astrophysi­cal Journal Letters, 864, L19), wie Zwerggalax­ien mit Schwarzen Löchern in ihren Zentren miteinande­r verschmelz­en. Um die Struktur solcher kleiner Galaxien zu erklären, braucht man besonders viel DM. Und deren Menge und Verteilung prägen auch stark, wie sie – und ihre zentralen Schwarzen Löcher – miteinande­r verschmelz­en. Primordial­e Schwarze Löcher, die als DM wirken könnten, enthalten seine Rechnungen nicht, sagt Mayer: Solche würden sich auch im Wesentlich­en wie Sterne benehmen.

Bei solchen höchst gravitativ­en Ereignisse­n entstehen jedenfalls Gravitatio­nswellen, wie man sie seit Februar 2016 mit dem LigoDetekt­or messen kann. Dereinst wohl auch mit Lisa, der Laser Interferom­eter Space Antenna, die aus drei Raumsonden bestehen soll. 2034 soll sie stehen, jetzt schon nennen die Astrophysi­ker um Mayer ihre SchwarzeLö­cher-Duos „Lisa Black Hole Binaries“.

Man darf auch an sie denken, wenn man zur Feier des Tages „Dark Star“von Grateful Dead hört: am besten in der Version von „Live/Dead“(1969), 23 Minuten lang.

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[ UZH/Tomas Tamfal ] Zwerggalax­ien (mit Schwarzen Löchern) beim Verschmelz­en: Computersi­mulationen der Astrophysi­ker der Uni Zürich bescheren solche Bilder.

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