Macron verliert eine Partnerin ...................
In Paris macht man sich über die Konsequenzen des Abschieds der deutschen Bundeskanzlerin Gedanken. Für den französischen Staatschef wird es nun schwieriger, seine Visionen für Europa umzusetzen.
Von unserem Korrespondenten RUDOLF BALMER
Die Schwierigkeiten, in denen die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, seit der jüngsten Bundestagswahl mit ihrer eigenen Partei und der Koalitionsbildung steckte, konnten sich aus französischer Sicht bei den folgenden Landtagswahlen nur verschlimmern. In einem Land, das sich nie mit föderalistischen Institutionen anfreunden konnte, verstärkt das Beispiel Deutschland den Eindruck, dass breite Koalitionen nur mit einer unheilvollen Schwächung der zentralstaatlichen Exekutivmacht und der staatstragenden Parteien enden können.
Grund zu rechthaberischer Schadenfreude sehen in Frankreich dagegen die wenigsten. Denn die negativen Auswirkungen auf die deutsch-französische Zusammenarbeit, die stets als Antriebswelle des europäischen Aufbaus gedient hat, sind allzu offensichtlich. Mit nicht zu verbergender Verlegenheit kommentierte Präsident Emmanuel Macron Merkels Ankündigung, die Parteiführung abzugeben und am Ende der Legislaturperiode auch als Kanzlerin aufzuhören, als „extrem würdige Entscheidung“. Er weiß, dass dieser angekündigte Abgang auch weitreichende Konsequenzen für ihn und seine Pläne für die EU haben muss. Ein Drama in drei Akten
Schon Merkels Schwächung durch die Wahlergebnisse hatten sich für Macron als Bremse erwiesen. Obwohl sich die Kanzlerin mehrfach bestimmten Projekten seiner Vision für eine Erneuerung der EU widersetzte (einer Regierung der Eurozone oder der Schaffung eines Budgets), war und ist sie für ihn eine unersetzbare Partnerin. Was nach Merkel kommt, könnte für Macrons EU-Pläne nun unerfreulicher werden.
Entsprechend ausführlich wurde der Abschied Merkels in der französischen Presse analysiert. Die konservative Tageszeitung „Le Figaro“konstatierte, seit neun Monaten sei es für Merkel nur noch bergab gegangen. „Man glaubte, sie sei allmächtig – jetzt aber ist sie mehr denn je geschwächt. Seit ihrer Entscheidung, rund 900.000 Asylsuchende in ihrem Land aufzunehmen, ist Angela Merkels Macht langsam geschwunden.“Der Rest – ein Drama in drei Akten: Der Krach mit den Parteikollegen in der CDU/CSU, die Niederlagen in Bayern und Hessen, zuletzt ihr Verzicht auf die Parteiführung. Eine Regierungschefin im Dilemma
Für Alba Ventura von RTL erklären die Migrationspolitik und die Wahlen aber nicht alles: „Die Reformen von Gerhard Schröder, die es anfänglich erlaubt haben, die Wirtschaft zu pushen, haben zuletzt die Ungleichheiten verschärft, die prekären Beschäftigungsverhältnisse vervielfacht und die Armut vergrößert. Merkel steckte so im Dilemma zwischen ihrer Migrationspolitik und einer bedrohlichen sozialen Lage.“
Macron habe versucht, Lehren aus dem Debakel zu ziehen, indem er sich in der Migrationsfrage von Berlin distanzierte und namentlich dem Rettungsschiff Aquarius das Anlegen untersagte. Trotzdem mache es für ihn einen Unterschied, ob er eine – wenn auch geschwächte – Alliierte habe oder gar keine. Mit ihrer Ankündigung habe Merkel nun weder im eigenen Land noch im Lager der Fortschrittlichen, das Macron so wichtig sei, noch Gewicht. „In der Folge ist auch das große Vorhaben einer europäischen Solidarität des französischen Präsidenten angeschlagen“, schreibt Ventura im Leitartikel.
Das Magazin „Le Point“zeigte immerhin Verständnis dafür, dass Merkel „erhobenen Hauptes“abtrete. Die Tageszeitung „Libera-´ tion“stellte Spekulationen über die möglichen Kandidaten für Merkels Nachfolge an und auch über einen eventuellen „Groxit“, einen Austritt der Sozialdemokraten aus der Großen Koalition. Diese habe ihnen nur geschadet, denn „64 Prozent der Wähler in Hessen haben erklärt, sie wüssten nicht, welche Werte die SPD verteidigt“. Die Gegner der Regierungsbeteiligung, allen voran die Jusos, hätten damit Auftrieb erhalten. Als positiv merkt das Blatt in diesem Zusammenhang voller Ironie an, die AfD, die stets „Merkel muss weg!“geschrien habe, verliere demnächst ihre Lieblingsfeindin – und damit ihr bestes politisches Verkaufsargument.