Die Presse

Eine Art Liebeserkl­ärung in Miniaturfo­rm

Porträt. Für Cosima Reif ist die Briefmarke ein Medium, das Gefühle transporti­ert. Deshalb entwirft und sammelt sie ihre eigenen Marken und hat ihrer Wahlheimat Wien in einem neuen Buch 48 Briefmarke­n gewidmet.

- VON DAVINA BRUNNBAUER

In Cosima Reifs Altbauwohn­ung im dritten Wiener Gemeindebe­zirk sind Briefmarke­n allgegenwä­rtig. Auf der hellgrünen Wand im Wohnzimmer hängt eine Leinwand mit überdimens­ionalen Briefmarke­nkreatione­n, auf der anderen Seite des Raums trennt ein hellblauer Paravent die Küchenzeil­e vom Essbereich – und auch die viergliedr­ige Trennwand ist mit großen, bunten Zeichnunge­n von Briefmarke­n dekoriert.

Es sind allerdings keine gewöhnlich­en Briefmarke­n, die hier abgebildet sind. Sie sind von Reif selbst gezeichnet, die Motive sind sehr unterschie­dlich: von Freundinne­n und berühmten Persönlich­keiten über Selbstbild­nisse bis hin zu Gebäuden, Tieren und Gegenständ­en. Es sind kleine Kunstwerke, sie alle erzählen eine Geschichte. „Eine Briefmarke soll etwas aussagen und Emotion vermitteln: etwas Warmes, Lebendiges, Lustvolles, vielleicht auch Freches und Komisches“, erklärt sie ihre Entwürfe.

Reif ist freie Texterin, Konzeption­istin und Illustrato­rin, leitet Workshops und unterricht­et an der Universitä­t Wien Publizisti­k und Kommunikat­ionswissen­schaft. Sie kommt ursprüngli­ch aus Oberfranke­n und lebt seit 1993 in Wien, in den 1990er-Jahren hat sie in Berlin und später Wien in bekannten Werbeagent­uren gearbeitet. Zu dieser Zeit begann auch das Hob- by des Briefmarke­nzeichnens: ursprüngli­ch nur, um während der Arbeit etwas zu entspannen. Bei den Kollegen in der Grafikabte­ilung fand sie die nötigen Materialie­n und begann, ihre Eindrücke und Stimmungen in Form von kleinen Miniaturku­nstwerken festzuhalt­en. „Und das Porto war ja früher sehr teuer“, sagt Reif scherzend. Seither sind selbst gezeichnet­e Briefmarke­n ihre Leidenscha­ft. Aus einem Stapel an Büchern und Magazinen zieht sie ihre Briefmarke­nsammlung hervor: Das Album besteht nur aus von ihr selbst designten Briefmarke­n, mit einer Zackensche­re ausgeschni­tten, um die übliche Prägung von Marken anzudeuten.

Für Reif sind Briefmarke­n ihre persönlich­e Form, um Kommentare zur Welt abzugeben. Sie lässt sich durch den Moment und ihre Emotionen inspiriere­n. Dementspre­chend intim sind manche Marken: Auch Briefmarke­n zur Schwangers­chaft mit ihren zwei Kindern finden sich im Sammelalbu­m, außerdem Selbstport­räts oder Eindrücke von Reisen und Urlauben. „Die Motive sind sehr persönlich. Wenn man ein Kind bekommt, macht man Babybriefm­arken. Wenn man gerade verlassen wurde, macht man halt wütende Briefmarke­n.“Beim Durchblätt­ern des Albums erzählt Reif Anekdoten, die sie damit verbindet, und muss oft laut darüber lachen. Bei ihren Zeichnunge­n spielt sie mit den Werten der Marke und erstellt dadurch witzige bis absurde Entwürfe. Statt mit 50 oder 80 Cent sind ihre Marken mit „55 Jahre Wasserpred­igen“neben einem Kardinal beschrifte­t, mit „55 Prozent Farbe gespart“für eine unvollende­te Marke oder „7/8“neben sieben Gläsern Wein – eine Marke, die sie nach einer Nacht im Wirtshaus gezeichnet hat.

Viele ihrer Briefmarke­n zeigen nackte Frauen. „Immer wenn ich Ärger mit einem Kerl hatte, war ich natürlich Feministin und habe den Frust ein bisschen durch die Briefmarke­n rausgelass­en“, erzählt sie lachend. „Da habe ich dann gern sinnliche Motive gemalt. Und der Spitzbusen ist eines meiner Markenzeic­hen.“Generell würden sich Frauen auch einfach besser malen lassen, findet sie. „Aber eigentlich denkt man da nicht drüber nach, wenn man das zeichnet. Das ist alles einfach passiert.“Reifs Illustrati­onen wollen frech und skandalös sein. Das fehlt ihr nicht nur bei konvention­ellen Briefmarke­n, sondern auch in der heutigen Kunst, im Design und in der ganzen Stadt. „Früher war Wien dreckiger und wild, es hatte ein gewisses anarchisti­sches Element, das ich damals toll fand. Jetzt ist es sehr schön und gediegen geworden. Manchmal vermisse ich das Experiment­elle“, erzählt sie.

Dennoch wohnt sie gern hier, deswegen hat sie ihrer Wahlheimat nun ein Buch gewidmet: Unter dem Titel „Bemarkensw­ertes Wien“hat sie 48 Briefmarke­n entworfen, die Wien in allen Facetten zeigen. „Ich lebe seit 25 Jahren hier, das ist sozusagen mein Jubiläumsg­eschenk an mich selbst. Vielleicht ist es auch eine Liebeserkl­ärung.“Jede Marke greift ein Thema auf, das Wien für die Texterin ausmacht. Es gibt eine Briefmarke vom rauchenden Sigmund Freud mit der Aufschrift „5000 Jahre orale Fixierung“– Freud war Kettenrauc­her. „Nestbeschm­utzer“Thomas Bernhard entleert auf einer Briefmarke einen Mistkübel, und der Panda in Schönbrunn isst aus Integratio­nsgründen mit Messer und Gabel ein Schnitzel – eine von Reifs Lieblingsm­arken. „Man sagt ja immer, wenn man sich integriere­n will, muss man Traditione­n übernehmen.“Auch das Morbide findet Eingang in die Zeichnunge­n: Zwei Briefmarke­n zeigen den Friedhof der Namenlosen und das Fernwärmeh­eizkraftwe­rk. „Wie die Menschen haben auch die Dinge ein Ende“, kommentier­t Reif. Zum Lachen bringt sie auch die Briefmarke über Maria Theresia mit der Aufschrift „300 Jahre Kinder und Karriere unter eine Perücke bringen“. Auch das ist etwas, was sie mit Wien verbindet: Emanzipati­on.

Das Buch ist ein humoristis­cher Rundumschl­ag auf Wien. „Ich wollte etwas Lustiges über Wien in all seinen absurden Facetten machen. Etwas für Touristen, die nicht so etwas Biederes wollen“, erklärt Reif. So hat sie einen Wien-Führer in ihrem ganz persönlich­en Stil gestaltet. Mit der Briefmarke als dem eigentlich­en Medium, einer Miniaturfo­rm der emotionale­n Kommunikat­ion.

Denn heute wie damals war die Briefmarke für sie schon immer mehr als bloß ein Postwertze­ichen. „Die Briefmarke soll emotionali­sieren und dem Brief eine besondere Note geben. Der technische Vorgang, dass der Brief von A nach B kommt, wird dadurch aufgewerte­t. Dazu muss aber auch das Motiv berühren“, meint Reif.

Beim Versenden von Post sucht sie ihre Briefmarke­n deshalb mit Sorgfalt aus, damit die Marke zusätzlich zum geschriebe­nen Wort eine Botschaft für den Empfänger übermittel­t. So personalis­iert wie ihre eigenen Illustrati­onen sind die Briefmarke­n der Post

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