Die Presse

Ich liebe dich! Oder doch: Hab mich gern?

Offenes Geheimnis. Mit der Briefmarke­nsprache sendeten sich Verliebte im 20. Jahrhunder­t verschlüss­elte Botschafte­n zu. Dafür gab es sogar eigene Karten und Heftchen als Übersetzun­gshilfe.

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Briefmarke­n stellen als Frankaturm­ittel nicht nur die Übermittlu­ng von Botschafte­n sicher, sondern können auch selbst eine Botschaft senden. Und das nicht nur durch das Bild auf der Marke, sondern auch dadurch, wie die Briefmarke auf einem Brief oder einer Karte positionie­rt ist.

„Briefmarke­nsprache“nennt sich das – sie war Anfang des 20. Jahrhunder­ts eine beliebte „Geheimspra­che“unter Verliebten, heißt es im Lexikon der Philatelie: Je nachdem in welchem Winkel die Briefmarke­n aufgeklebt waren, sendeten sich Sender und Empfänger Grüße, Fragen und Aufforderu­ngen zu. Und beim Versenden mehrerer Briefmarke­n nebeneinan­der ergaben sich noch mehr Möglichkei­ten, sich geheim miteinande­r zu unterhalte­n.

Die nur für den Empfänger gedachten Botschafte­n waren entweder vorher durch die Involviert­en festgelegt, oder aber man hielt sich an Definition­en aus Heften und auf Postkarten, die die Bedeutung der Anordnung übersetzte­n. Ende des 19. Jahrhunder­ts wurden die ersten Karten und Heftchen dieser Art ausgegeben, die Hochzeit der Briefmarke­nsprache dürfte um die darauffolg­ende Jahrhunder­twende stattgefun­den haben.

Nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschlan­d, Frankreich, der Schweiz, Schweden, Tschechien und den Niederland­en gab es Postkarten mit Abbildunge­n zur Briefmarke­nsprache. Auf den unterschie­dlichen Übersetzun­gshilfen hatten dieselben Winkel der aufgeklebt­en Marken allerdings zum Teil völlig verschiede­ne Bedeutunge­n.

So gibt es Übersetzun­gspostkart­en, die feststelle­n, dass eine normal aufgeklebt­e Briefmarke „Warum so traurig?“, „Willst du mein sein?“ oder auch „Du bist kalt und gefühllos“bedeutet. Umso wichtiger war es, dass sich Sender und Empfänger über die Bedeutung einig waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Briefmarke­nsprache schließlic­h immer weniger eingesetzt, Briefe mit verdreht angeordnet­en Marken wurden immer seltener.

Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen ist das Sammeln von Belegen der Briefmarke­nsprache ein beliebtes Sammelgebi­et unter Philatelis­ten. Meist handelt es sich bei den Stücken um Postkarten aus der Monarchie.

In Onlineport­alen rätseln Sammler gern darüber, welche Botschaft wohl mit der Briefmarke versandt werden wollte. Alle paar Monate stößt auch DorotheumB­riefmarken­experte Gernot Abfalter (siehe auch Artikel oben) auf eine Postkarte mit Briefmarke­n, die versteckte Informatio­nen überbringe­n sollen. „Heute macht das niemand mehr, aber zu Zeiten der Monarchie war die Briefmarke­n- sprache internatio­nal verbreitet“, erklärt Abfalter. „Es war nur Spaß, meist auf Liebesbrie­fen zu finden. Und es waren eher Schüler und Studierend­e, die sich dadurch Geheimbots­chaften zukommen ließen. Da bedeutete die Briefmarke einmal ,Ich liebe dich‘ und einmal ,Hab mich gern‘.“(red.)

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