Digitalsteuer: Endlich ein Grund, London dankbar zu sein
Analyse. Großbritanniens geplante Steuer für Internetkonzerne ist gefährlich, aber wichtig.
Ist es politischer Größenwahn? Ist es die maßlose Fehleinschätzung der Realität? Egal. Was der britische Finanzminister, Philip Hammond, dieser Tage auf den Weg gebracht hat, verdient jedenfalls Respekt: Ab 2020 will Großbritannien eine Digitalsteuer für globale Internetriesen einführen. Just in einem Moment, in dem London nach Verbündeten für die Post-Brexit-Ära sucht, riskiert die konservative Regierung damit den Bruch mit den USA, der Heimat der führenden Internetkonzerne.
Ihnen wird vorgeworfen, in Europa zwar satte Gewinne zu erwirtschaften, sie aber in Niedrigsteuerländer zu verschieben, um Abgaben zu sparen. So erwirtschaftete Google in Großbritannien von 2006 bis 2011 etwa 18 Milliarden Pfund (20,2 Mrd. Euro) Umsatz – und bezahlte nur 16 Millionen Pfund Steuer. Das soll sich ändern. Londons Plan ist der erste Versuch einer Industrienation, die Steuerregeln an das digitale Zeitalter anzupassen. Nach dem Brexit sollen die britischen Umsätze der Digitalkonzerne mit zwei Prozent besteuert werden.
Jetzt gibt es natürlich mehr als genug Gründe, diese Steuer als po- pulistisch, substanzlos und gefährlich zu brandmarken: Die erhofften Einnahmen sind mit 400 Mio. Pfund im Jahr vernachlässigbar klein. Auch Firmen wie Uber, die Verluste schreiben, müssten (reduzierte) Steuern zahlen. Und der steuerpolitische Alleingang gefährdet auch die britische Wirtschaft.
Aber dennoch: So unsinnig der Vorstoß auf den ersten Blick erscheinen mag, so wichtig ist er für die Weiterentwicklung des internationalen Steuersystems. London hat angekündigt, die Steuer wieder aufzugeben, sobald es eine multilaterale Einigung gebe. Dass die globalen Fiskalregeln mit der Entwicklung vieler digitaler Geschäftsmodelle nicht Schritt halten konnten, ist mittlerweile unbestritten. Wo nicht mehr Waren und Dienstleistungen an Kunden in einem Land verkauft werden, sondern das Wissen über diese Kunden, steht das alte Steuerrecht rasch an.
Alle Versuche, der Sache auf internationaler Ebene Herr zu werden, gehen nur schleppend voran. Im Frühjahr hat die EU-Kommission eine ähnliche Steuer auf digitale Umsätze ins Spiel gebracht. Doch während Österreich, Frankreich, Spanien und Italien daran festhal- ten, legen sich Deutschland, Tschechien und Irland quer. Ein nationaler Alleingang in der EU, wie ihn Österreich überlegt, sei „Harakiri“, sagte die Münchener BWL-Professorin Deborah Schanz kürzlich zur „Presse“. Und das zu Recht.
Umso glücklicher können sich Wien und Brüssel schätzen, dass sich stattdessen London aus dem Fenster lehnt. Denn ganz ohne Druck wird es nicht gehen. Seit fünf Jahren diskutiert die OECD darüber, wie man die Steuerspielregeln an das 21. Jahrhundert anpassen könnte. Mit an Bord sind die USA, die nur bedingt Interesse an einer schnellen Lösung haben. 2020 will die OECD den Endbericht vorlegen. Bis Maßnahmen formuliert und umgesetzt sind, vergehen erneut Jahre, und die Steuerbasis der Länder erodiert weiter.
Der Druck der Briten ist also höchst willkommen. Der britische Entwurf könnte auch als Blaupause für die Digitalsteuer der EU dienen, merzt er doch einige Schwachstellen im EU-Konzept aus. Die britische Umsatzgrenze für die Steuerpflicht liegt mit 500 Millionen Pfund im Jahr deutlich höher als die 50 Millionen Euro der EU. Zudem grenzt London die betroffenen Geschäftsmodelle klar auf Suchmaschinen, Social-MediaPlattformen und Online-Handelsplätze (also Google, Facebook und Amazon) ein. Brüssel will alle Umsätze aus dem Sammeln und Verwerten von Daten besteuern. Damit wäre ein Großteil der europäischen Industrie mitbetroffen.
Londons Digitalsteuer ist die bessere von zwei wenig berauschenden Alternativen. Ein echter Erfolg ist sie erst, wenn sie wieder abgeschafft wird, weil sich die Staaten weltweit auf neue Regeln für Internetkonzerne geeinigt haben.