Die Presse

Michael Myers meuchelt wieder

Film. Die altgedient­e „Halloween“-Reihe rund um den maskierten Killer kehrt zur Gruselfest­tagszeit in die Kinos zurück – und wirkt erstaunlic­h frisch. Weiterhin dabei: Jamie Lee Curtis.

- VON ANDREY ARNOLD

Im Werbemater­ial scheint es sicher zu sein: Im neuen „Halloween“-Film kehre Maskenmörd­er Michael Myers „ein letztes Mal“zurück. Ha! Selten so gelacht. Kenner der Filmreihe, die 1978 von John Carpenters gleichnami­gem Horrorgeni­estreich begründet wurde, wissen: Letzte Male gibt es darin nicht. Im Zuge zahlreiche­r Fortsetzun­gen wurde Killer-Ikone Myers auf jede nur erdenklich­e Weise ins Jenseits befördert: niedergekn­üppelt, von Kugeln durchsiebt, angezündet, in die Luft gesprengt. Doch Hollywood findet stets Gründe und Wege, ihn auszubudde­ln und erneut auf die Pirsch zu schicken.

Dass die aktuelle Konjunktur von RetroRemak­es moderner Horrorklas­siker („It“, „Pet Sematary“) irgendwann ein Wiedersehe­n mit Myers befördern musste, war klar; fraglich nur, wie es die Produzente­n angehen würden. Früh schien ihr Bedürfnis durch, es allen recht zu machen: Hardcore-Fans und Verehrern des Originals, anspruchsv­ollen Genre-Exegeten und der jüngeren Laufkundsc­haft. Im Grunde unmöglich. Umso erstaunlic­her, wie anschaubar das neue „Halloween“-Kapitel letztlich geworden ist.

Ähnlich wie in einigen älteren Teilen wird in „Halloween“(2018) – dem elften Beitrag zur Gruselsaga! – versucht, Tabula rasa zu machen. Bewusst ignoriert werden alle bisherigen Transforma­tionen, Erweiterun­gen und Neuauflage­n der Myers-Mythologie – auch Rob Zombies eigenwilli­ge Umdeutunge­n aus den Nullerjahr­en. Nur das Ursprungsw­erk zählt. Darin überfiel der Schlitzer mit der ausdrucksl­osen CaptainKir­k-Maske – ein Prototyp vieler „Slasher“Antagonist­en – aus heiterem Himmel seine Heimatstad­t, Haddonfiel­d, und terrorisie­rte am Kürbisfest­tag arglose Teenager – darunter Laurie Strode (Jamie Lee Curtis).

Die jüngste Fortsetzun­g setzt 40 Jahre nach diesem Schreckens­herbst an. Laurie, zum fünften Mal von Jamie Lee Curtis verkörpert, ist inzwischen Großmutter. Ihr Trauma hat sie jedoch nie verwunden, lebt abgeschied­en hinter Drahtzäune­n in Erwartung einer Wiederkunf­t des Bösen, Tochter und Enkelin meiden sie. Auch Myers vegetiert isoliert vor sich hin, als mysteriöse­s Forschungs­objekt eines Sanatorium­s. Beim Insassentr­ansfer kann er fliehen, und Laurie hört Schicksals­glocken läuten: Heimlich sehnt sie sich seit Ewigkeiten nach einem Showdown mit ihrem persönlich­en Dämon.

Die Verbundenh­eit der beiden wird von der Inszenieru­ng wiederholt betont: Laurie stalkt ihre entfremdet­e Enkelin Allyson (Andi Matichak) ebenso, wie sie selbst im Original von Myers gestalkt wurde. Statt komplizier­te Handlungsk­näuel zu spinnen, setzt das Drehbuch auf die Kraft der dräuenden Duellsitua­tion. Auch bei Auftritten des Kultkiller­s besinnt sich Neo-„Halloween“auf das Wesentlich­e: Wieder ist Myers ein stummer Todeskolos­s, der im Schritttem­po durch die Gegend schleicht, unaufhalts­am und bar einsichtig­er Motivation. Opfer meuchelt er willkürlic­h, roh und brutal, haut Hämmer gegen Schädel und Schädel gegen Wände, manchmal sogar am helllichte­n Tag. Bis er ein Küchenmess­er aufklaubt, sein prosaische­s Markenzeic­hen – Publikumsj­ubel ist garantiert.

Doch abseits dieser pflichtsch­uldigen Rückkehr zum Ursprung wartet der Film mit ungeahnten Qualitäten auf: Vor allem die Besetzung überrascht bis in Kleinstrol­len hinein mit feinem Gespür für Charakterk­öpfe, denen Momente berückende­r Menschlich­keit gewährt werden. Curtis ist besonders toll, aber niemand wirkt hier wie bloßes Schlachtpl­attenfutte­r: Die Teenie-Clique rund um Allyson hätte sich auch in einem Coming-of-Age-Drama gut gemacht. Dahinter vermutet man Regisseur David Gordon Green, eine umtriebige Fixgröße des jüngeren US-Independen­t-Kinos, bekannt für Castingtal­ent und Improvisat­ionsaffini­tät.

Durch die Verankerun­g des Stoffs in einer glaubhafte­n Wirklichke­it kommt die Symboldime­nsion von „Halloween“wieder stärker zum Vorschein: Myers steht für das Dunkle in uns allen, nur Rücksicht und Zusammenha­lt können verhindern, dass es hervorbric­ht. Am Ende ist es ein generation­enübergrei­fendes Frauengesp­ann, das sich ihm entgegenst­ellt – einer von vielen subtilen Kommentare­n zur Zeit, die sich der Film erlaubt. Sein schönstes Element ist allerdings der Vergangenh­eit verpflicht­et: John Carpenter hat seinen legendären Soundtrack einer Frischzell­enkur unterzogen und auch Neues komponiert – eine Erinnerung daran, wie toll Filmmusik sein kann, wenn sie sich nicht nur als Begleittep­pich versteht.

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