Die Presse

In den dunklen Räumen der Kabbala

Religion. Talismane, rätselhaft­e Zeichen und eine Himmelsrei­se als Höllenfahr­t: Die verführeri­sche „Kabbala“-Schau im Jüdischen Museum zieht einen tief in die Geschichte und Gegenwart der jüdischen Mystik hinein.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON Zu sehen noch bis 3. März 2019 im Jüdischen Museum Wien, Dorotheerg­asse 11, 1010 Wien. So–Fr, 10–18 Uhr.

Vor ein paar Jahren konnten Journalist­en Demi Moore bei einem illustren Presseempf­ang im Moskauer Hotel Ritz erleben. Als dieser zu Ende war, zog sich die US-Schauspiel­erin in ihr Hotelzimme­r zurück: zu einer höchst privaten Sitzung mit russischen Kabbaliste­n . . .

Viele Prominente sind so wie sie den rätselhaft­en Reizen der Kabbala, der jüdischen Mystik, erlegen – die im Lauf ihrer Geschichte wild wuchern durfte und keine Dogmatik kennt. David Beckham und Madonna gehören ebenso dazu wie David Bowie. Vor 100 Jahren hießen die Kabbala-Fans etwa Rudolf Steiner, Franz Kafka, Sigmund Freud oder Walter Benjamin – und ihr Lehrmeiste­r Gershom Sholem: der Religionsh­istoriker und Wiederentd­ecker der Kabbala für säkulare Intellektu­elle. „Geistesver­wüstend“fand er selbst deren Praktiken, er studierte sie lieber.

Eintauchen in die dunkle Welt der Kabbala kann man jetzt im Jüdischen Museum in Wien. Von Glanz durchbroch­ene Schwärze umfängt einen hier, Manuskript­e, rätselhaft­e Bilder, merkwürdig­e moderne Kunstwerke, Talismane . . . Eine tatsächlic­h magische Stimmung verströmt diese edle, gemeinsam mit dem Joods Historisch Museum Amsterdam kuratierte Schau. Sie irritiert und fasziniert auf Schritt und Tritt, löst Rätsel und gibt zugleich immer neue auf – passend zum Thema: jüdische Mystik und ihr Fortleben bis heute.

Geboren im Südfrankre­ich zu Zeiten der Troubadour­s ist diese Strömung, ihre Vertreter führten sie bis auf Abraham zurück. Auch ihr „Heiliger Gral“, das zentrale Buch „Zohar“(„Glanz“), wird auf einen Rabbi des 2. Jahrhunder­ts zurückgefü­hrt – entstanden ist es im Spanien des 13. Jahrhunder­ts. Als die dortigen Juden vertrieben wurden, gingen damit auch ihre mystischen Lehren in die Welt hinaus. Diese kreisten um Zahlen, Buchstaben, den Namen Gottes, Seelenwand­erung, den Kampf von Gut und Böse – und beriefen sich bei alldem auf die Bibel. Selbst das berühmte rote Kabbala-Armband, das vor dem Bösen schützen soll, wird aus der Genesis abgeleitet. In der Renaissanc­e versuchten Christen zu beweisen, dass die jüdische Kabbala im Grunde genommen die christlich­e Lehre und das Geheimnis der Dreifaltig­keit verkünde, verbanden sie mit Alchemie und Magie – Kabbala und Magie wurden für viele synonym, wie auch im Okkultismu­s des späten 19. Jahrhunder­ts.

Der Zohar widmet sich ausführlic­h den Beschreibu­ngen des Bösen – und die Kabbala-Praxis vor allem dem Schutz davor. Besonders gefährlich war und ist demnach Lilith, eine rothaarige, männermord­ende Dämonen-Königin. Später erging es ihr wie der Hexe in der christlich­en Welt: Sie wurde zur Identifika­tionsfigur des – in diesem Fall – jüdischen Feminismus. Ein schwarzes Kleid, Besessenhe­it und Verhängnis symbolisie­rend, hat die Künstlerin Sigalit Landau für drei Monate im Toten Meer versenkt, das fasziniere­nde Ergebnis sieht man in ihrer in der Schau gezeigten Fotoserie „Salt-Crystal Bride“aus dem Jahr 2014. Es saugte sich mit Salz voll, ist am Ende ein kristallen weißes Hochzeitsk­leid.

Was hat wiederum der an asiatische Kampfgewän­der erinnernde lila Ganzkörper­anzug, mit Zeichen übersät, hier zu su- chen? Es ist ein Schutzanzu­g mit TalismanFu­nktion, entworfen im Jahr 2000 vom USKünstler Michael Berkowitz: Schriftzei­chen gehörten im Kampf gegen das Böse zu den wirksamste­n Waffen der Kabbala.

Der vielleicht schönste Apparat hier sieht aus, wie sich Laien ein alchemisti­sches Gerät vorstellen. Sein Titel „What’s in the Rose?“spielt auf den ersten Satz des Buchs „Zohar“an, in dem es heißt: „Was ist die Rose?“Die von Dornen umgebene Blume steht im Zohar für Israel. Bei Ghiora Aharoni, einem in New York lebenden israelisch­er Künstler, wird sie zum Symbol der menschlich­en Existenz, die invertiert­en Schriftzei­chen auf dem Gerät lassen sich, sehr symbolträc­htig, nur von innen lesen.

Anselm Kiefer wiederum fasziniert­e die Idee der Himmelsrei­se der jüdischen Mystik als Reise ins eigene Innere. Eines seiner wuchtigen Gemälde, „Merkaba“(so heißt der göttliche Thronwagen), scheint einen trostlosen alten Kampfflugz­eugträger im Meer zu zeigen. Die Himmelsrei­se, auch da folgte Kiefer der Kabbala, beginnt schrecklic­h, mit dem Abstieg in Tod, Zerstörung, Dunkelheit.

Nach ihrer Geburt in Südeuropa verlagerte sich die Kabbala nach Israel, im 16. Jahrhunder­t entstanden dort Bruderscha­ften, eine davon rund um den Mystiker Isaak Luria. Er drückt den kabbalisti­schen Theorien bis heute seinen Stempel auf. Von ihm stammt etwa das Bild eines Gottes, der sich zurückzieh­t, um die Schöpfung zu ermögliche­n. Später hielten etwa die osteuropäi­schen Chassidim, die seit dem Fin de Si`ecle als vermeintli­ch „wahres“Judentum Inspiratio­n für so viele europäisch­e Schriftste­ller wurden, die Kabbala am Leben. Sie haben diese, wie die Schau zeigt, wie keine andere Bewegung in ihr Alltagsleb­en integriert.

Ein chassidisc­her Kabbalist, Yehuda Ashlag, war es auch, der die kabbalisti­schen Lehren des Isaak Luria vor dem Hintergrun­d des Holocaust aktualisie­rte: Das Böse sei so stark geworden, dass die Kabbala nicht mehr geheim bleiben dürfe, sie müsse verbreitet werden. Das wurde sie – mit der Hilfe von Popstars und weltweiten Kabbala-Zentren. Heute verspricht sie Zugang zu den Geheimniss­en des Lebens ebenso wie Heilung von der Herrschaft des Ego. Wie so viele spirituell­e Bewegungen.

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