Warum Pittsburgh uns alle angeht
Der brutale Anschlag auf die Tree-of-Life-Synagoge zeigt, wie sehr der Ton der Politik auf die Menschen wirkt.
Demnächst werden wir der „Reichskristallnacht“gedenken, deren Wunden noch heute in unseren Städten schweigend klaffen. Die Welt hat sich verändert in diesen 80 Jahren seit dem NovemberPogrom. Doch eines blieb unverändert: Der Antisemitismus lebt weiter in den Köpfen vieler Menschen und, wie wir jüngst in Pittsburgh gesehen haben, auch in ihren Taten.
Antisemitismus ist moderner Judenhass. Er ist eine moderne Tradition, die sich ihrer christlichen Wurzeln längst entledigt und neue Allianzen geschmiedet hat. Mehr als jede andere Tradition ist der Antisemitismus eine Universaltradition: Er kennt kein rechts, kein links, kein reich, kein arm; er sammelt alt und jung, Männer und Frauen, Landarbeiter und Professoren. Wie keine andere moderne Tradition bleibt er immer aktuell.
Es ist jedoch ein Irrglaube, dass am Erfolg dieser Tradition schon etwas „dran sein“müsse. Am Antisemitismus ist eben nichts dran. Er ist nur da, und er überdauert jeden Angriff der Vernunft. Seine mühelose Verfügbarkeit macht ihn zu einem Lehrbeispiel jener Faulheit und Feigheit, der Immanuel Kant (der selbst Vorurteile hegte) das „Sapere aude“gegenüberstellte. Auch wenn er sich tapfer gibt, so ist er dennoch das Gespenst einer grundlosen Furcht. Dass der Todesschütze von Pittsburgh nicht länger zusehen wollte, wie sein „Volk“(sprich die Nation der Weißen) „abgeschlachtet“werde, ist der klassische Opferwahn eines jeden Antisemitismus.
Da die Menschen zwischen Furcht und Hoffnung schwanken, lehrte Baruch Spinoza, neigen sie dazu, alles Beliebige zu glauben. Daher sei es die Aufgabe eines Staats, seine Bürger aus dem Zustand der Furcht zu befreien. Dazu müsse aber auch ein Herrscher furchtlos sein. Denn Freiheit braucht Furchtlosigkeit. Eine Politik der Angst dagegen bedeutet Terror und Tyrannei, auch wenn dies ein demokratischer Terror ist. Der brutale Anschlag auf die Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh zeigt, wie sehr der Ton der Politik auf das Denken und Handeln der Menschen wirkt.
John Locke erkannte, dass eine „mildere und entspannte“Regierung, so wie ein milderes Elternhaus, auch sanftere Bürger erzieht, während Strenge und Furcht vor harten Strafen selten gute Menschen hervorbringen.
Trumps Regierung setzt auf harte Strenge, auf zero tolerance, während sie zugleich das Feuer der Furcht vor allem anderen schürt, was nicht ins Motto America First! passt. Was ihre Wähler verbindet, ist das Gefühl eines allgegenwärtigen Terrors des „Fremden“und des drohenden Untergangs ihrer Kultur. „Die Juden werden uns nicht verdrängen“, hieß es im Schlachtruf der Neonazi-Aufmärsche in Charlottesville vor einem Jahr. Der klassische Antisemit ist ein Widerstandskämpfer.
Trumps politischer Ton ermutigt den Geist einer verfügbaren Tradition zum Handeln: Mut gemacht aus Angstmache. Ein tief gespaltenes Land ist im Kampf gegen alles andere. Was wir in Europa daraus lernen mögen, ist, dass ein politisches Klima der ständigen Pflege bedarf. Eine Regierung, die ihre Bürger aus dem Zustand der Furcht befreit und statt Schreckgespenstern wirkliche Probleme gemeinsam angeht, wird auch ihre Ängste bewältigen können.
Inzwischen ist der Regierung Trumps genau jene Antwort eingefallen, die von einem „starken“Mann zu erwarten ist: der Schrei nach der Todesstrafe.