Die Presse

Warum Pittsburgh uns alle angeht

Der brutale Anschlag auf die Tree-of-Life-Synagoge zeigt, wie sehr der Ton der Politik auf die Menschen wirkt.

- VON ASHER D. BIEMANN Asher D. Biemann ist Professor für moderne jüdische Philosophi­e an der University of Virginia, USA, wo er seit über 20 Jahren lebt. Der gebürtige Grazer ist Autor zahlreiche­r Aufsätze und Bücher, darunter zuletzt auf Deutsch: „Michela

Demnächst werden wir der „Reichskris­tallnacht“gedenken, deren Wunden noch heute in unseren Städten schweigend klaffen. Die Welt hat sich verändert in diesen 80 Jahren seit dem NovemberPo­grom. Doch eines blieb unveränder­t: Der Antisemiti­smus lebt weiter in den Köpfen vieler Menschen und, wie wir jüngst in Pittsburgh gesehen haben, auch in ihren Taten.

Antisemiti­smus ist moderner Judenhass. Er ist eine moderne Tradition, die sich ihrer christlich­en Wurzeln längst entledigt und neue Allianzen geschmiede­t hat. Mehr als jede andere Tradition ist der Antisemiti­smus eine Universalt­radition: Er kennt kein rechts, kein links, kein reich, kein arm; er sammelt alt und jung, Männer und Frauen, Landarbeit­er und Professore­n. Wie keine andere moderne Tradition bleibt er immer aktuell.

Es ist jedoch ein Irrglaube, dass am Erfolg dieser Tradition schon etwas „dran sein“müsse. Am Antisemiti­smus ist eben nichts dran. Er ist nur da, und er überdauert jeden Angriff der Vernunft. Seine mühelose Verfügbark­eit macht ihn zu einem Lehrbeispi­el jener Faulheit und Feigheit, der Immanuel Kant (der selbst Vorurteile hegte) das „Sapere aude“gegenübers­tellte. Auch wenn er sich tapfer gibt, so ist er dennoch das Gespenst einer grundlosen Furcht. Dass der Todesschüt­ze von Pittsburgh nicht länger zusehen wollte, wie sein „Volk“(sprich die Nation der Weißen) „abgeschlac­htet“werde, ist der klassische Opferwahn eines jeden Antisemiti­smus.

Da die Menschen zwischen Furcht und Hoffnung schwanken, lehrte Baruch Spinoza, neigen sie dazu, alles Beliebige zu glauben. Daher sei es die Aufgabe eines Staats, seine Bürger aus dem Zustand der Furcht zu befreien. Dazu müsse aber auch ein Herrscher furchtlos sein. Denn Freiheit braucht Furchtlosi­gkeit. Eine Politik der Angst dagegen bedeutet Terror und Tyrannei, auch wenn dies ein demokratis­cher Terror ist. Der brutale Anschlag auf die Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh zeigt, wie sehr der Ton der Politik auf das Denken und Handeln der Menschen wirkt.

John Locke erkannte, dass eine „mildere und entspannte“Regierung, so wie ein milderes Elternhaus, auch sanftere Bürger erzieht, während Strenge und Furcht vor harten Strafen selten gute Menschen hervorbrin­gen.

Trumps Regierung setzt auf harte Strenge, auf zero tolerance, während sie zugleich das Feuer der Furcht vor allem anderen schürt, was nicht ins Motto America First! passt. Was ihre Wähler verbindet, ist das Gefühl eines allgegenwä­rtigen Terrors des „Fremden“und des drohenden Untergangs ihrer Kultur. „Die Juden werden uns nicht verdrängen“, hieß es im Schlachtru­f der Neonazi-Aufmärsche in Charlottes­ville vor einem Jahr. Der klassische Antisemit ist ein Widerstand­skämpfer.

Trumps politische­r Ton ermutigt den Geist einer verfügbare­n Tradition zum Handeln: Mut gemacht aus Angstmache. Ein tief gespaltene­s Land ist im Kampf gegen alles andere. Was wir in Europa daraus lernen mögen, ist, dass ein politische­s Klima der ständigen Pflege bedarf. Eine Regierung, die ihre Bürger aus dem Zustand der Furcht befreit und statt Schreckges­penstern wirkliche Probleme gemeinsam angeht, wird auch ihre Ängste bewältigen können.

Inzwischen ist der Regierung Trumps genau jene Antwort eingefalle­n, die von einem „starken“Mann zu erwarten ist: der Schrei nach der Todesstraf­e.

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