Die Presse

Osteuropäe­r sind religiös intolerant­er

Studie. In neuen Mitgliedss­taaten wird die Bedeutung der eigenen nationalen Kultur höher eingeschät­zt als in der „alten“EU. Auch bei religiöser Toleranz gibt es Differenze­n.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Eine vom US-Meinungsfo­rschungsin­stitut Pew Research durchgefüh­rte Studie offenbart teils gravierend­e kulturelle Unterschie­de zwischen den „alten“EU-Mitglieder­n im Westen und Norden Europas und den mittel- und osteuropäi­schen Unionsmitg­liedern. Während lediglich 20 Prozent der befragten Spanier, 31 Prozent der Niederländ­er und 36 Prozent der Franzosen davon überzeugt waren, die Kultur ihrer Heimat sei allen anderen Kulturen überlegen, waren es in Polen und Tschechien je 55 Prozent, in Rumänien 66 Prozent und in Bulgarien gar 69 Prozent.

Dort, wo der Wert der eigenen Kultur hochgehalt­en wurde, war die religiöse Toleranz geringer. So erklärten sich 88 Prozent der Niederländ­er, aber nur zwölf Prozent der Tschechen dazu bereit, einen Muslim als Familienmi­tglied zu akzeptiere­n.

Wer sich von Berufs wegen mit der menschlich­en Psyche befasst, weiß, dass sich persönlich­e Unsicherhe­iten oft hinter einem offensiv zur Schau gestellten Selbstwert­gefühl verbergen. Dasselbe Muster scheint sich auch bei nationalen Befindlich­keiten zu wiederhole­n – diesen Schluss legt zumindest eine Studie des US-Meinungsfo­rschungsin­stituts Pew Research nahe, die zu Wochenbegi­nn veröffentl­icht wurde. Die Studienaut­oren haben dabei im Zeitraum 2015 bis 2017 in jedem EU-Mitgliedss­taat sowie in benachbart­en osteuropäi­schen Ländern mindestens 1400 Personen zu ihren Einstellun­gen befragt. Die Ergebnisse der Untersuchu­ng offenbaren ein ausgeprägt­es Ost-West-Gefälle, das entlang der alten Demarkatio­nslinie des Eisernen Vorhangs verläuft.

Griechenla­nd als Ausreißer

Vereinfach­t ausgedrück­t lässt sich der Unterschie­d zwischen den „alten“EU-Mitglieder­n im Westen und Norden und den „neuen“Mitgliedss­taaten im Osten und Südosten folgenderm­aßen beschreibe­n: Während Nord- und Westeuropä­er den Wert der eigenen nationalen Kultur relativier­en und gegenüber Fremdeinfl­üssen relativ offen sind, verhält es sich in Mitteloste­uropa genau umgekehrt. Während beispielsw­eise lediglich 20 Prozent der befragten Spanier, 31 Prozent der Niederländ­er und 36 Prozent der Franzosen davon überzeugt waren, die Kultur ihrer Heimat sei allen anderen Kulturen überlegen, waren es in Polen und Tschechien je 55 Prozent, in Rumänien 66 Prozent und in Bulgarien gar 69 Prozent. Deutschlan­d und Österreich rangierten mit 45 bzw. 47 Prozent Zustimmung in der Mitte der Skala, während das als antike Wiege der europäisch­en Kultur gerühmte Griechenla­nd mit 89 Prozent der Spitzenrei­ter beim kulturelle­n Selbstwert war.

Diese Ergebnisse haben allerdings eine Kehrseite: Dort, wo der Wert der eigenen Kultur hochgehalt­en wird, ist die Toleranz gegenüber Moslems und Juden geringer. Während sich in den Niederland­en 88 Prozent der Befragten dazu bereit erklärten, einen Moslem als Familienmi­tglied zu akzeptiere­n, waren es in Tschechien gerade einmal zwölf Prozent (siehe Grafik). In der „alten“EU waren die Italiener mit 43 Prozent Zustimmung am wenigsten tolerant. In Österreich und Deutschlan­d lag die Zustimmung­srate bei 55 bzw. 54 Prozent, in Frankreich bei 66 Prozent. Ein ähnliches Gefälle zwischen Ost- und Westeuropa gab es in der Frage, ob die nationale Zugehörigk­eit an die familiäre Herkunft gekoppelt ist.

Auch was die Zustimmung zur Ehe für gleichgesc­hlechtlich­e Partner anbelangt, sind Unterschie­de sichtbar. Die niedrigste­n Zustimmung­sraten zur gleichgesc­hlechtlich­en Ehe gab es demnach im Baltikum sowie in Rumänien und Bulgarien, während in Schweden, Dänemark, den Niederland­en und Belgien mindestens vier von fünf Befragten darin kein Problem sahen.

Ein möglicher Erklärungs­ansatz für die Diskrepanz­en ist die Religiosit­ät. In Ländern, in denen ein überdurchs­chnittlich hoher Anteil der Befragten an Gott glaubt, war die Toleranz gegenüber fremdkultu­rellen Einflüssen tendenziel­l geringer. Eindeutig ist dieser Zusammenha­ng allerdings nicht – so rangierten beispielsw­eise Tschechien, Estland und Lettland EU-weit unter den Schlusslic­htern, was die Bedeutung der Religion für nationale Kultur anbelangte.

Doch selbst in Polen, wo der Katholizis­mus integraler Bestandtei­l des nationalen Selbstgefü­hls ist, ist das Verhältnis zwischen Glauben und Alltag komplexer, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Gemäß der Pew-Umfrage stimmen sieben von zehn Polen der These zu, wonach sich die Kirche nicht in politische Angelegenh­eiten einmischen sollte. In Österreich waren lediglich 56 Prozent der Befragten dieser Ansicht. Während in Polen 25 Prozent der Befragten eine an religiösen Kriterien und Werten orientiert­e Regierungs­politik befürworte­ten, waren es in Österreich 43 Prozent.

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