Die Presse

Das Nein zum Migrations­pakt schadet dem Ruf der Republik

Für Kleinstaat­en wie Österreich ist der Multilater­alismus essenziell. Aus einer rechtlich unverbindl­ichen UN-Vereinbaru­ng auszusteig­en ergibt keinen Sinn.

- VON CHRISTIAN ULTSCH E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

Die Mühlen der UNO mahlen gemächlich. Im September 2016, ein ganzes Jahr nach Ausbruch der großen Flüchtling­skrise, hielten es die Staats- und Regierungs­chefs dieser Welt für angebracht, die Ausarbeitu­ng eines Migrations­pakts in Auftrag zu geben. Für Österreich sprach damals Bundeskanz­ler Christian Kern, Außenminis­ter war Sebastian Kurz, der übrigens ein Jahr später in einer Rede vor der UN-Vollversam­mlung die Entstehung einer solchen Vereinbaru­ng begrüßte. Es dauerte noch einmal fünf Monate, bis im Februar 2018 ein erster Textentwur­f fertig war. Dann erst begannen in New York die Verhandlun­gen. Österreich war dabei durch Diplomaten vertreten. Wenn sich FPÖ-Chef Strache nun an diesen Beamten abputzt, ist das schäbig. Denn sie agierten nach Rücksprach­e mit dem Außenminis­terium, das zu diesem Zeitpunkt die von der FPÖ nominierte Karin Kneissl leitete. Auch die von der FPÖ geführten Ministerie­n für Inneres und Soziales waren eingebunde­n, ebenso wie das Bundeskanz­leramt von Sebastian Kurz. Ab März kam Österreich eine Sonderroll­e zu: Es führte die Verhandlun­gen für die übrigen EU-Mitglieder – mit Ausnahme Ungarns.

Am 13. Juli dieses Jahres war der Migrations­pakt unter Dach und Fach. Ungarn erklärte gleich danach seinen Ausstieg, US-Präsident Trump hatte sich bereits Ende 2017 ausgeklink­t. Aus Wien kam zunächst kein Einspruch. Umso verwunderl­icher war es für den Rest der Welt, dass die türkis-blaue Regierung diese Woche erklärte, den UN-Migrations­pakt nicht anzunehmen. Die Begründung von Kurz und Strache: Österreich müsse selbst entscheide­n, wer zuwandern dürfe. Damit wendet das Duo freilich eine Gefahr ab, die es selbst an die Wand malt, aber real nicht existiert. Denn im UN-Pakt ist ausdrückli­ch das „souveräne Recht der Staaten bekräftigt, ihre nationale Migrations­politik selbst zu bestimmen“. Außerdem steht schon in der Präambel, dass die Vereinbaru­ng rechtlich nicht bindend ist. Auch die von Türkis-Blau vorgebrach­te Angst, aus weichen Zielvorgab­en könne Völkergewo­hnheitsrec­ht werden, ist übertriebe­n. Völkergewo­hnheitsrec­ht kann nur werden, was Staaten tun. Es hätte gereicht, wenn die Regierung die Unverbindl­ichkeit des Pakts unterstric­hen und nach Vorbild der Schweiz Vorbehalte zu Punkten formuliert hätte, die ihr missfallen. Doch dafür hätte sie sich ernsthaft mit dem Papier auseinande­rsetzen müssen, statt Halboder Unwahrheit­en zu verbreiten. Es stimmt einfach nicht, dass in der UNVereinba­rung ein „Menschenre­cht auf Migration“postuliert wird, wie Strache unermüdlic­h behauptet. Dass eine solche Propaganda­lüge ihren Weg in einen Ministerra­tsvortrag findet, ist unerhört.

Normalerwe­ise kräht kein Hahn nach derart zahnlosen UN-Paragrafen. Der Pakt hat rein symbolisch­en Wert, doch offenbar lässt sich mit aufgeplust­ertem Widerstand dagegen gut punkten. Dabei stimmen auch migrations­kritische Regierunge­n wie die dänische dem Papier zu, weil es für sie auch positive Aspekte beinhaltet, etwa das Bekenntnis der Herkunftsl­änder, abgeschobe­ne Migranten zurückzune­hmen. Das war allerdings schon zu viel der Differenzi­erung für Österreich­s Koalitions­parteien, die ihren Wahlerfolg ihrer Antizuwand­erungshalt­ung verdanken.

Innenpolit­isch ergibt das Nein zum Migrations­pakt für Kurz vielleicht taktischen Sinn. Er hätte jedoch aus Staatsrais­on dem Druck der FPÖ standhalte­n müssen. Denn außenpolit­isch erweist die Regierung Österreich keinen guten Dienst, wenn sie sich an die Seite von Orban´ und Trump stellt. Große Staaten wie die USA mögen sich Alleingäng­e leisten können. Für Kleinstaat­en ist internatio­nale Zusammenar­beit essenziell. Deshalb hat sich Wien, einer der vier Amtssitze der UNO, bisher immer dem Multilater­alismus verpflicht­et gefühlt. Die Regierung setzt nun den Ruf der Republik als verlässlic­her Partner aufs Spiel, wenn sie aus einer Vereinbaru­ng aussteigt, die österreich­ische Diplomaten namens der EU selbst federführe­nd mitverhand­elt haben. Und das bei einem Pakt, der den Lauf der Welt um keinen Zentimeter verändert. Das ist nicht nur kurzsichti­g, sondern unsinnig.

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