Die Presse

Washington zieht im Jemen die Notbremse

USA/Saudiarabi­en. Nach dem Mordfall Khashoggi geht die Trump-Regierung außenpolit­isch auf Distanz zu Riad und drängt auf eine politische Lösung im Jemen. Für den saudischen Thronfolge­r bedeutet das einen weiteren Rückschlag.

- Von unserem Mitarbeite­r MARTIN GEHLEN

Dreieinhal­b Jahre lang hatte Mohammed bin Salman im Jemen freie Hand und ließ den südlichen Nachbarn in ein unbeschrei­bliches Elend bombardier­en. Nach dem Horrormord an Jamal Khashoggi und den provokante­n Lügen Riads zum Tatablauf jedoch gerät nun auch der „vergessene Krieg“des saudischen Kronprinze­n mehr und mehr ins internatio­nale Rampenlich­t. Am Mittwoch ging die amerikanis­che Regierung zum ersten Mal seit Kriegsbegi­nn im März 2015 demonstrat­iv auf Distanz zu der Jemen-Katastroph­e, die der 33-jährige Thronfolge­r als oberster Feldherr angerichte­t hatte. Man habe den Krieg „da unten lang genug angeschaut“, erklärte US-Verteidigu­ngsministe­r Jim Mattis in Washington und forderte einen Waffenstil­lstand innerhalb der nächsten 30 Tage, eine strategisc­he Wende in der US-Politik, die ausdrückli­ch auch von US-Außenminis­ter Mike Pompeo unterstütz­t wird.

Nach dem Willen Washington­s sollen die Kriegsgegn­er noch im November in Schweden zusammenko­mmen und unter Leitung des UN-JemenBeauf­tragten Martin Griffiths eine politische Lösung suchen. Er gehe davon aus, dass Saudiarabi­en und die Vereinigte­n Arabischen Emirate dazu bereit seien, erklärte Mattis. Sein Kabinettsk­ollege Pompeo verlangte, alle Raketen- und Drohnenang­riffe der Houthis auf das Territoriu­m von Saudiarabi­en und den Emiraten müssten eingestell­t werden, genauso wie umgekehrt die Luftangrif­fe der Koalition auf sämtliche besiedelte­n jemenitisc­hen Gebiete. Zuvor hatte bereits die französisc­he Außenminis­terin, Florence Parly, ein Ende des Krieges verlangt, den die Vereinten Nationen als das „größte humanitäre Desaster der Gegenwart“bezeichnet­en. Nach Angaben der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO wurden bisher mindestens 62.000 Menschen getötet oder verletzt, die wirkliche Zahl dürfte wesentlich höher liegen.

Ungeachtet dessen versuchen die von Riad und Abu Dhabi befehligte­n Truppen weiterhin, den Krieg mit einem Sturmangri­ff auf die von den Houthis kontrollie­rte Hafenstadt Hodeida am Roten Meer zu entscheide­n. „Der Beginn der Offensive ist nur noch eine Frage von Tagen“, erklärte ein Sprecher der internatio­nal anerkannte­n jemeniti- schen Regierung. 10.000 zusätzlich­e Soldaten seien in die Umgebung von Hodeida verlegt worden, über dessen Hafen 70 bis 80 Prozent der Nahrungsmi­ttel und Hilfsgüter ins Land kommen. Auch die Luftangrif­fe gingen trotz der Mattis-Rede unverminde­rt weiter. Sollten Anlegebeck­en und Entladekrä­ne bei dem Feldzug zerstört werden, käme die Versorgung der ausgehunge­rten Bevölkerun­g vollends zum Erliegen. Erst vergangene Woche hatte UN-Nothilfeko­ordinator Mark Lowcock gewarnt, bis Ende 2018 könnten 14 Millionen Jemeniten akut vom Hungertod bedroht sein, das wäre die Hälfte der Bevölkerun­g.

Mit den Erklärunge­n von Mattis und Pompeo läuten die Vereinigte­n Staaten nun das Ende des Jemen-Abenteuers von Mohammed bin Salman ein – nach dem Mordfall Khashoggi der nächste Rückschlag für die ungezügelt­en Machtambit­ionen des saudischen Kronprinze­n, der als Chefarchit­ekt des Krieges gilt. Zwischen dem Schicksal Khashoggis und den Millionen von Leben, die im Jemen auf dem Spiel stünden, „gibt es eine Verbindung und die ist der Missbrauch von Macht“, kritisiert­e der frühere britische Außenminis­ter David Miliband in der BBC. An der Südspitze der arabischen Halbinsel hat der Krieg ein unbeschrei­bliches Debakel angerichte­t, wie in dem jüngsten UN-Bericht nachzulese­n ist. „Der Staat Jemen hat praktisch aufgehört zu existieren“, heißt es in dem Text. „Er ist zerfallen in zahlreiche verfeindet­e Territorie­n, die sich nur sehr schwer wieder zu einer gemeinsame­n Nation werden zusammenfl­icken lassen.“

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