Der superreiche Kandidat ist scharf auf Politik
Akademietheater. Regisseur Georg Schmiedleitner verzerrt den Populismus bis zur Kenntlichkeit. Er zeigt das böse Spiel von Carl Sternheims „Der Kandidat“(nach dem Drama Gustave Flauberts) zeitgemäß. Gregor Bloeb´ glänzt als Protagonist.
Die Entwicklung war beängstigend, so surreal wie realitätsnah: In nicht einmal zwei Stunden hat sich Gregor Bloeb´ als schwerreicher Herr Russek von einem naiven Kandidaten in einen gerissenen Politiker verwandelt. Er spielt diesen Aufsteiger im Akademietheater in Wien mitreißend. Russek ist ein bereits im Ruhestand befindlicher Investmentbanker, der knallhart auf Vorteil bedachtes Handeln hinter unbedarft erscheinender Unverbindlichkeit versteckt. Am Ende wird er zum abgebrühten Demagogen, einem Wahlsieger, der „seinem Volk“alles und nichts versprochen hat.
Georg Schmiedleitner hat das Kammerspiel „Der Kandidat“schräg und schrill wie eine populistische Wahlkampagne inszeniert, als ob über sie in den „Seitenblicken“berichtet würde. Die Premiere am Mittwoch wurde begeistert aufgenommen. Diese rasante Inszenierung braucht keinen Tiefgang, wie wohl auch schon Gustave Flauberts Original. Der französische Romancier hat sich 1873 in seinem einzigen, damals wenig erfolgreichen Drama hemmungslos über den Zustand der Demokratie lustig gemacht.
Das tat auch Carl Sternheim in seiner deutschen Bearbeitung von „Le Candidat“. 1913/14 verwandelte er Flauberts Titelhelden Rousselin in den wilhelminischen Multimillionär Russek. Für Wien hat Dramaturg Florian Hirsch das Stück erneut bearbeitet, dem Zeitgeist ausgesetzt. Der weht hier nur aus einer Richtung. Im Programmheft sind die Ausführungen über den Populismus jedenfalls eindeutig: Es muss der rechte sein.
Die Kugel rollt – da geht noch was
Wie also kommt Russek in die Politik, auf die er so scharf ist? Mit entblößtem Oberkörper, im Hausanzug, betritt er den Raum, wo sich schon Menschen tummeln, die etwas von ihm wollen. Die Bühne wurde von Volker Hintermeier wie ein Riesenroulettespiel ausstaffiert. Da geht noch was! Man hört die Kugel rollen, wenn sich unten eine beleuchtete Kreisbahn dreht. Sie spiegelt sich im Rund hoch darüber. Dort kann das Publikum sehen, wie sich ein Dutzend Schauspieler artistisch abmüht, musikalisch begleitet und in der Bewegung verstärkt von Keyboardern (Matthias Jakisic und Sam Vahdat).
Bloeb´ gibt anfangs den reinen Toren. Er wird von der Anwältin Evelyn bezirzt. Sabine Haupt zeigt sich in der Rolle der auch körperlich aktiven Ratgeberin gelenkig und agiert rasant. Übertroffen wird sie in ihrer Akrobatik und im Wort-Rapp von Sebastian Wendelin, der als williger Redakteur Bach ein äußerst vitales Stehaufmännchen vorturnt. Da ist es verzeihlich, dass er bei seiner Textraserei zweimal die Souffleuse um Hilfe bitten muss. Seine Darstellung eines skrupellosen Boulevard-Schweinchens ist umwerfend komisch. Er wird mit seinen Wortverdrehungen maßgeblich dafür sorgen, dass der Kandidat sein Wahlziel erreicht.
Russek aber ist bei aller vorgetäuschten Naivität noch hemmungsloser als Bach. Ihm macht es nichts aus, dass seine Frau (hinreißend triebgesteuert spielt Petra Morze´ diese Karikatur einer Society-Lady) ein Techtel- mechtel mit dem Journalisten beginnt. Nein, Russek verspricht auch ungeniert jenen die Hand seiner Tochter Luise (Christina Cervenka), die ihm hilfreich sein könnten, etwa dem jungen Grafen, der zusammen mit dem Vater das Stockkonservative als reine Idiotie entlarvt. Valentin Postlmayr und Bernd Birkhahn vollführen bezaubernde Clownerien.
Zigaretten als blaue Wahlgeschenke
Bei den Mauschelein mit divergenten Gruppen an Lobbyisten und Parteien wächst das Gespür des Neo-Politikers fürs Machbare. Es ist ihm völlig egal, ob er links, rechts oder in der Mitte steht, nationale, liberale oder internationale Positionen vertritt – Hauptsache, sie bringen Stimmen. Und den Medienunternehmer Grübel, der seine Tochter heiraten will, hat er von Beginn an in der Hand.
Fantastisch spielt Florian Teichtmeister diesen Charakterlosen, der Zugang zu allen Fraktionen und Lobbys hat. Er wirkt – aktu- ell. Das gilt auch für den Szenefotografen Seidenschnur, der hoch hinaus will. Dietmar König eilt als mechanisches Zerrbild eines Listenführers überzeugend durchs Parkett. Mit gefrorenem Lächeln verteilt er kleine Geschenke (Zigaretten in blauen Packungen). Im TV-Duell ist er Russek als Gegenkandidat zwar noch überlegen. Dennoch scheitert er. Bach schreibt den Sieg des Reichen herbei, der die besseren, weil absolut gewissenlosen Berater hat. Fast alle sind bestechlich. Das verhilft Russek zur Macht.
Er bedankt sich mit einer Brandrede, die es allen recht zu machen scheint, im Grunde aber die böseste Berechnung ist. Eine glänzende Show. Bloeb´ setzt bei diesem Sammelsurium an Vorurteilen seriell die Masken der allgemein üblichen Hetzer auf. Am Ende klappt der Spiegel hoch. Das Publikum sieht sich nun als einig Volk von Verführern.