Die Presse

Diesem Nussknacke­r fehlt die Seele

Im Kino. Disney erzählt in seinem opulenten Weihnachts­film E. T. A. Hoffmanns Märchen und Tschaikows­kis Ballett weiter. Mit viel Spielzeug und Zuckerwatt­e – und wenig dahinter.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Sollte Disneys neues Weihnachts­märchen beim jungen Publikum nur annähernd so einschlage­n wie einst „Die Eiskönigin“, dann hat der Handel schon einmal vorgesorgt: Online gibt es bereits die Ballkleide­r der Protagonis­tinnen als Mädchenkos­tüme zu kaufen, dazu Krönchen, Ballettröc­kchen, Nussknacke­r-Handyhülle­n und Zuckerfee-Barbies. „Der Nussknacke­r und die vier Reiche“, eine Art Fortsetzun­g des Märchens von E. T. A. Hoffmann und dem darauf basierende­n Ballett von Tschaikows­ki, ist in erster Linie eine opulente Kostüm- und Ausstattun­gsorgie – und bietet damit eine ideale Grundlage für weihnachtl­iche Spielsache­n, die Großeltern ihren Enkeln kaufen können, in der Hoffnung, diese damit nicht nur für einen Disneyfilm, sondern auch für Romantikli­teratur und klassische Adventsauf­führungen begeistern zu können.

Das Ballett ist im Film tatsächlic­h nicht viel mehr als hübsches Beiwerk: Misty Copeland, Primaballe­rina des American Ballet Theatre, und Sergei Polunin, ukrainisch­es Enfant Terrible der Ballettwel­t, tanzen an einer kurzen Stelle zur Filmmusik, die James Howard basierend auf Tschaikows­kis Themen komponiert und die Dirigent Gustavo Dudamel (dessen Silhouette man in einer Art Schattenth­eater-Sequenz erahnen kann) mit dem London Philharmon­ic Orchestra einge- spielt hat. Der Film nimmt einige Elemente der Märchenvor­lage auf, türmt eine dicke Zuckerschi­cht darauf – mischt aber auch düstere Zutaten ein. Im Vordergrun­d steht hier weniger die kindliche Fantasie oder die wundersame Verbindung zwischen Traum und Realität – tatsächlic­h werden das Zauberland und die belebten Spielsache­n als Geniestrei­che auf pseudowiss­enschaftli­cher Basis dargestell­t –, sondern die Frage, wie man mit Trauer und Verlust umgeht.

Bei Hoffmann wurde die kleine Marie Stahlbaum am Weihnachts­abend in einen Kampf zwischen Nussknacke­r und Mäusekönig gezogen und letztlich Königin im Puppenreic­h. Dieses gibt es bei Disney immer noch, doch Marie ist tot, ihre Tochter Clara (Mackenzie Foy) hat ihren Erfinderge­ist geerbt – und ein Faberge-´artiges Ei, das aber verschloss­en ist. Die Suche nach dem Schlüssel führt sie vom viktoriani­schen London in die Welt, die ihre Mutter verlassen hat.

Hier regiert mittlerwei­le ein exaltierte­s Dreiergesp­ann unter Führung der Zuckerfee (genüsslich manieriert mit Piepsstimm­e: Keira Knightley), die sich, wenn sie nervös wird, die Zuckerwatt­e vom Kopf in den Mund steckt. Die vierte Regentin, „Mother Ginger“(Helen Mirren als Hexenfigur mit rissigem Gesicht) haben sie ins Exil verbannt. Jetzt droht Krieg. Und Clara muss, um das Erbe ihrer Mutter anzunehmen, nicht nur den ersehnten Schlüssel finden, sondern auch gleich – natürlich! – ein ganzes Reich vor dem Untergang retten.

Es gibt Intrigen, Wendungen, doch die Handlung ist unrund, die Dialoge sind platt, die Figuren ebenso. Umso üppiger geraten die Bilder des Films: Ohne Scheu vor Kitsch haben die Regisseure Lasse Hallström („Chocolat“) und Joe Johnston („Jumanji“und viele andere effektlast­ige Filme) allerlei Stile zusammenge­worfen. Neben einem monumental­en Zwiebeltur­mpalast nach russischem Vorbild drängen sich Lebkuchenh­äuschen und Lollipopbä­umchen, Eiszapfen hängen von Steinbaute­n, auf sattgrünen Wiesen drehen sich blumengesp­ickte Windmühlen, dahinter knarren im dichten Nebel die Geräte eines verlassene­n Vergnügung­sparks – und durch die ganze Szenerie purzelt ein buntes Figurenars­enal.

Hier tobten sich die Macher richtig aus – wie lustig muss es auch sein, eine Spielzeugs­chlacht zu inszeniere­n! Hoffmanns siebenköpf­iger Mäusekönig wurde zu einem wabernden Digitalmon­ster aus Tausenden Mäusekörpe­rn, gruselige Clowns klappen sich wie Matroschka-Puppen auf, Zinnsoldat­en versinken im Erdboden. Bezaubern kann das computerge­nerierte Gewurl aber nicht. Und der Nussknacke­r selbst? Der ist eine adrette, aber seelenlose Nebenfigur. Dann die Enkel doch lieber ins Ballett schicken.

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