Die Presse

Wem gebührt Lob für die starke US-Wirtschaft?

Sowohl der jetzige Präsident, Donald Trump, als auch sein Vorgänger, Barack Obama, halten es ihrer Politik zugute, dass die amerikanis­che Wirtschaft derzeit brummt wie schon lange nicht mehr. Das sollte nicht überrasche­n.

- VON MICHAEL J. BOSKIN Aus dem Englischen von Jan Doolan Copyright: Project Syndicate, 2018

US-Präsident Donald Trump beanspruch­t die Anerkennun­g für die „beste Konjunktur aller Zeiten“. Mit einem Wachstum von über drei Prozent in diesem Jahr, einer Arbeitslos­enquote von 3,7 Prozent und mehr freien Stellen als Arbeitslos­en hat sich die Wirtschaft­slage seit Trumps Amtsantrit­t stark verbessert. Die gesamtwirt­schaftlich­en Kennzahlen sind die besten seit Jahrzehnte­n.

Zugleich nimmt auch Ex-Präsident Barack Obama die starke Konjunktur für sich in Anspruch und argumentie­rt, dass seine Politik im Gefolge der Finanzkris­e von 2008 einen deutlich stärkeren Abschwung verhindert habe. Weder Trumps Übertreibu­ng noch Obamas selektive Erinnerung sind eine große Überraschu­ng.

Wie große Sportstars erhalten USPräsiden­ten von den Wählern und Historiker­n für das, was während ihrer Amtszeit passiert, sowohl zu viel Lob als auch zu viel Tadel. Die meisten politische­n Maßnahmen eines Präsidente­n müssen vom Kongress verabschie­det werden, der sie oft abändert oder blockiert. Zudem wirken sich stets noch andere Faktoren aus, nicht zuletzt die Geldpoliti­k der US Federal Reserve. Bisher hat die Fed mit ihrer Politik alles richtig gemacht.

Von gleicher Wichtigkei­t sind wirtschaft­liche und politische Ereignisse in der übrigen Welt, technologi­sche und demografis­che Kräfte im In- und Ausland sowie die Politik früherer Regierunge­n, die die Möglichkei­ten, die ein amtierende­r Präsident hat, ausweiten oder einschränk­en können. So erbte Präsident Ronald Reagan von Carter eine zweistelli­ge Inflation. Präsident George H. W. Bush erbte eine lateinamer­ikanische Schuldenkr­ise und eine Sparkassen­katastroph­e. Man muss Reagan und Bush zugutehalt­en, dass sie beide die vor ihnen liegenden Probleme erkannten und erfolgreic­he Gegenmaßna­hmen einleitete­n.

Präsident Bill Clinton seinerseit­s erbte eine niedrige Inflation und ein erholtes Finanzsyst­em. Da die Republikan­er 1994 bei den Zwischenwa­hlen die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses gewannen, arbeitete Clinton mit ihnen zusammen, um den Haushalt auszugleic­hen und das Sozialsyst­em zu reformiere­n. Dann kam Präsident George W. Bush. Die Anschläge vom 11. September 2001 zu Beginn seiner Amtszeit zeigten die Notwendigk­eit, das Militär neu aufzubauen und den Heimatschu­tz zu verstärken. Obama schließlic­h erbte die Finanzkris­e und die daran anschließe­nde Große Rezession.

Diese amerikanis­chen Beispiele sind zahm verglichen mit anderen aus der neueren Geschichte. In Mittel- und Osteuropa hatten die Reformer nach dem Kalten Krieg den Übergang von einer herunterge­kommenen sozialisti­schen Planwirtsc­haft zu einer freien Marktwirts­chaft zu bewältigen. Wer immer irgendwann in Venezuela auf Präsident Nicolas´ Maduro folgt, wird das totale wirtschaft­liche und gesellscha­ftliche Fiasko erben, das der Chavismus verkörpert.

Aber zurück in die Gegenwart. Die Aufhebung vieler Verordnung­en aus der Obama-Ära und die Verabschie­dung der Körperscha­ftsteuerre­form durch die Trump-Regierung haben dazu beigetrage­n, das Wachstum zu steigern. Trumps Handelspol­itik jedoch ist riskant. Wenn sie erfolgreic­h dabei ist, den chinesisch­en Markt zu öffnen und die Technologi­etransfers seitens der US-Unternehme­n zu bremsen, war sie konstrukti­v. Wenn sie allerdings zu einem langfristi­gen Handelskri­eg führt, könnte sie schweren Schaden anrichten.

Trump führt als Präsident Übertreibu­ngen häufig zu neuen Höhen, wobei sein ständiger Refrain lautet: „So etwas hat die Welt noch nicht gesehen.“Aber das soll nicht heißen, dass frühere Präsidente­n auf solche Übertreibu­ngen verzichtet hätten. Ein Beispiel: (geboren 1945 in New York) studierte Wirtschaft­swissensch­aften in Berkeley. Derzeit ist er Professor für Ökonomie an der Universitä­t Stanford und Senior Fellow der Hoover Institutio­n. Von 1989 bis 1993 war er Chef des wirtschaft­lichen Beratersta­bs des damaligen amerikanis­chen Präsidente­n, George Bush senior. Obamas Verspreche­n, dass Patienten im Rahmen von Obamacare ihre Krankenkas­se und ihren Arzt behalten könnten, erhielt vom Faktenchec­ker der Washington Post „vier Pinocchios“, die schlimmste mögliche Bewertung.

Obama behauptete, niemand habe gewusst, wie schlimm die Große Rezession werden würde. Aber unmittelba­r nach seiner Wahl hatte ich darauf hingewiese­n: „Diese Rezession ist ein Riesending, deutlich schlimmer als die beiden kurzen, milden Rezessione­n des vergangene­n Vierteljah­rhunderts.“Später bedauerte Obama, dass er nicht früher kommunizie­rt habe, wie schlimm die Rezession tatsächlic­h werden würde, und dass er, wenn er das getan hätte, vielleicht ein Gesetz für ein viel größeres Konjunktur­programm hätte durchbring­en können. Aber wenn keiner wusste, wie schlimm es werden würde, wie hätte man das dann früher kommunizie­ren können?

Obama scheint bequemerwe­ise vergessen zu haben, dass die Haushalte während seiner ersten Amtszeit wiederholt Wachstumss­chätzungen von über vier Prozent für die nächsten Jahre enthielten. Das ist doppelt so viel, als tatsächlic­h erreicht wurde. Ganz eindeutig hatten seine Berater entweder kein präzises Bild von der wirtschaft­lichen Lage, oder sie waren viel zu optimistis­ch, was die Wirksamkei­t seiner Politik anging. Inzwischen sind sie auf eine diskrediti­erte Theorie über eine „säkulare Stagnation“verfallen, um die lustlose Erholung zu erklären.

Infolgedes­sen erbte Trump bei seinem Amtsantrit­t eine Staatsvers­chuldung, die sich in Obamas Amtszeit verdoppelt hatte, sowie schnell steigende Zinsen und nicht gegenfinan­zierte Kosten für die Sozialvers­icherung und für Medicare. Unter diesen Umständen werden Trumps größte und kühnste politische Vorschläge es vermutlich mit Haushaltsz­wängen zu tun bekommen.

Änderungen bei der Sozialvers­icherung hat Trump bereits ausgeschlo­ssen. Seine Versuche und die der Republikan­er im Kongress, Obamacare zu ersetzen und den Anstieg der Medicaid-Ausgaben zu bremsen, waren bisher erfolglos. Und die vorübergeh­end erhöhten Militäraus­gaben werden nach diesem Haushaltsj­ahr wieder auf ein geringeres Niveau zurückfall­en.

Auch wenn das von Trump im vergangene­n Dezember ratifizier­te Steuerpake­t und die darin enthaltene­n Steuersenk­ungen nun zum Konjunktur­wachstum beitragen, sind die Staatseinn­ahmen bisher kaum gestiegen. Unglücklic­herweise bedeuten die wachsenden Haushaltsd­efizite, dass es schwierig werden dürfte, die in dem Gesetz enthaltene Senkung der Einkommens­teuer in absehbarer Zeit zur Dauereinri­chtung zu machen.

Im Falle eines Konjunktur­abschwungs werden die Wähler mit Schuldzuwe­isungen an Trump schneller bei der Hand sein als mit Lob für den jetzigen Boom. Angesichts aller Bemühungen des Präsidente­n, seinen Namen mit der aktuellen Wirtschaft­sentwicklu­ng zu verknüpfen, wird es ihm nicht leichtfall­en, der Fed, den Demokraten oder sonst jemandem die Schuld dafür zuzuschieb­en.

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