Die Presse

Arrivederc­i, bella Italia? Das italienisc­he Dilemma

Trotz bedrohlich­er Signale am Eurohorizo­nt: Italien ist nicht Griechenla­nd.

- VON MARTIN KOCHER Martin Kocher ist Direktor des Instituts für Höhere Studien und Professor für Verhaltens­ökonomik an der Universitä­t Wien.

Die italienisc­he Regierung hat erreicht, was sie politisch wollte: eine Zurückweis­ung ihres Budgetentw­urfs durch die EU-Kommission. Der Grund dafür ist nicht nur der Verstoß gegen europäisch­e Fiskalrege­ln an sich; andere Staaten haben in der Vergangenh­eit in ähnlicher Art gegen Regeln verstoßen und wurden nachsichti­ger behandelt.

Italiens Regierung hat – im Gegensatz zu anderen Staaten früher – gar nicht erst den Versuch gestartet, einen Kompromiss zu finden. Dazu kommt: Der Budgetentw­urf ist ausgabense­itig wie einnahmese­itig viel zu optimistis­ch.

Italien leidet seit Langem unter anhaltende­r Wachstumss­chwäche. Das Land hat sich gegenüber der EU-Kommission zu einem Konsolidie­rungskurs verpflicht­et, der mittels jährlicher Primärüber­schüsse (vor Zinszahlun­gen) die hohe Staatsschu­ldenquote von etwa 130 Prozent des BIPs zurückführ­en sollte. Diese Vereinbaru­ng scheint jetzt Schall und Rauch zu sein.

Ökonomisch gibt es durchaus gute Gründe, Italien unter die Arme zu greifen. Das langfristi­g schwache Wachstum hat ja erst die politische Radikalisi­erung in Italien ermöglicht. Ein höheres Defizit und eine langsamere Reduktion des Schuldenst­andes wären aus Sicht vieler Fachleute auch akzeptabel, wenn das höhere Defizit stärker wachstumsf­ördernd wäre.

Aber, Italien hat auch noch eine Reihe anderer wirtschaft­spolitisch­er Probleme: etwa eine hohe Jugendarbe­itslosigke­it, relativ geringe Flexibilit­ät auf dem Arbeitsmar­kt, verkrustet­e Strukturen im politische­n System, eine sich nicht schließend­e, sondern eher wachsende Kluft zwischen dem relativ prosperier­enden Norden und dem wachstumss­chwachen Süden. Offensicht­lich wurde die Dividende aus dem Eurobeitri­tt in Form von über Jahre hinweg viel niedrigere­n Zinsen als ohne Euro nicht für Investitio­nen und Strukturre­formen aufgewende­t, sondern vor allem für den kurzfristi­gen Konsum.

Die EU-Kommission und die anderen EU-Regierunge­n werden Italien wohl entgegenko­mmen müssen, aber es darf nicht der Anschein erweckt werden, dass die EU erpressbar ist.

Italien ist nicht Griechenla­nd. Die Aufschläge auf die Zinsen der Staatsanle­ihen sind für Italien zumindest noch bei Weitem geringer als damals für Griechenla­nd. Gleiches gilt für den Schuldenst­and Italiens. Und im Gegensatz zu Griechenla­nd wird ein Großteil der Staatsschu­lden von italienisc­hen Investoren gehalten. Dass die EZB auf einem Gutteil der Staatsanle­ihen Italiens sitzt, ist eine Mär. Aber natürlich könnte eine Destabilis­ierung der italienisc­hen Banken zu Ansteckung­seffekten in der Eurozone führen.

Insgesamt ist der Rest des Euroraums für eine mögliche „Italien-Krise“viel besser gewappnet, als das noch bei Griechenla­nd der Fall war. Trotzdem wäre das Risiko eines italienisc­hen Defaults und eines möglichen italienisc­hen Austritts aus der Eurozone unabwägbar. Daher sollte die Stabilität der Eurozone weiter gestärkt und die Abhängigke­it zwischen Italien und dem Rest der Eurozone weiter reduziert werden.

Dabei soll es nicht um eine langsame Verabschie­dung von Italien aus der Eurozone gehen – „arrivederc­i Italia“wäre die falsche Strategie. Italien sollte in seinem Bemühen um Erreichen eines soliden Wachstumsk­urses durch die anderen Länder unterstütz­t werden – aber aus Solidaritä­t und aus Eigeninter­esse dieser Länder heraus. Eine Eurozone mit sich wechselsei­tig erpressend­en Staaten kann nämlich mittelfris­tig nicht erfolgreic­h sein und erst recht nicht langfristi­g stabil existieren.

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