Journalisten, die wie Pubertierende die Klowände bekritzeln
Wer wissen will, wie manche prominente Medienmacher wirklich ticken, kann das auf Twitter und Co. erfahren. Sehr appetitlich ist das freilich nicht immer.
Das Fernsehen, so ergab jüngst eine repräsentative Umfrage, ist in der Schweiz nicht mehr das wichtigste Informationsmedium. Führend sind mittlerweile die diversen digitalen Kanäle, über die fast die Hälfte der Eidgenossen ihr Wissen über das Zeitgeschehen beziehen; unter den Jungen sind es sogar bereits zwei Drittel.
Eine besonders wichtige Rolle spielen dabei die sozialen Medien, also Facebook, Twitter und Co. Jeder vierte Schweizer deckt seinen Informationsbedarf vorwiegend dort – mit allen Risken, die das bekanntlich hat. Man kann getrost davon ausgehen, dass dies zumindest im Großen und Ganzen nicht nur für die Schweiz, sondern auch für alle anderen europäischen Gesellschaften gilt. Für die Demokratie ist das keine sonderlich günstige Entwicklung.
Dass sich gerade die Jungen immer öfter für die sozialen Medien und gegen den traditionellen Journalismus entscheiden, ist natürlich zum Teil einer technologischen Disruption geschuldet. Zu einem anderen Teil aber tritt gerade der traditionelle Journalismus in den sozialen Medien gelegentlich in einer Pose auf, die eher geeignet ist, vernunftbegabte User endgültig von diesem traditionellen Journalismus zu entfremden.
Zu diesem Eindruck muss jedenfalls jeder Medienkonsument kommen, der regelmäßig das Verhalten von einzelnen bekannten Spitzenkräften des heimischen Mediengeschäfts auf Twitter beobachtet. Es herrschen da gelegentlich eine Haltung, eine Tonalität und ein Benehmen vor, das peinlich zu nennen noch eine höfliche Untertreibung ist. Nicht bei allen, aber bei zu vielen und zu prominenten.
Völlig üblich ist es mittlerweile geworden, dass dort etwa sehr bekannte Journalisten völlig ungefragt die Arbeit anderer Medienmenschen verächtlich aburteilen, deren politische Haltung bewerten und sich anmaßen, laut darüber nachzudenken, wer eigentlich was wo veröffentlichen dürfen soll und wer nicht. Mit sachlicher Kritik oder intellektuellem Disput hat das Ganze ungefähr so viel zu tun wie eine Sandkistenschlacht von Kindern mit einer Schach-WM.
Dazu kommt, dass hier ein Ton der Rechthaberei, des Oberlehrerhaften und der gegenseitigen Bevormundung herrscht, der für jeden am Medienbetrieb interessierten Außenstehenden abschreckend erscheinen muss. Wobei hier ein seltsamer Mechanismus zu beobachten ist: Je größer die Community und die Followerzahl eines der twitternden Medienmenschen, umso stärker ist in manchen Fällen die Neigung, ungefragt und ungebeten andere zu kommentieren, zu belehren und zu benoten. Dabei ist der Grundton meist gallig, negativ, von oben herab und ohne jede spielerische Leichtigkeit. (Für Interessierte mit gutem Magen: www.twitter.com.)
Gelegentlich erinnert diese Attitüde an jene bedauernswerten Zeitgenossen, die aufgrund einer Erkrankung auf offener Straße ununterbrochen lautstark ihre Meinung zu allem und jedem kundtun, in einem nicht enden wollenden Anfall an Wortdurchfall.
Nun könnte man das angesichts der noch immer überschaubaren Relevanz von Twitter als Kuriosum einer Branche ignorieren. Doch angesichts des jüngst in der Schweiz festgestellten Befunds wäre das vielleicht eine etwas unangemessene Nonchalance. Denn wenn gerade junge Menschen nicht über kluge Leitartikel und hochwertige TV-Nachrichten mit den Hauptdarstellern der traditionellen Medien in Berührung kommen, sondern in den sozialen Medien, dann wäre es vielleicht keine schlechte Idee, dort nicht in einem Stil aufzutreten, der auf kluge junge Menschen eher abschreckend wirken muss.
Wie twitterte jüngst der kluge Chef des Arbeitsmarktservice, Johannes Kopf, nach einem offenbar wenig erbaulichen Blick in die sozialen Medien? „Wer es nicht schafft, hier zumindest ein Mindestmaß an Respekt mitzubringen, möge bitte – so wie früher – wieder nur Klowände bekritzeln. Danke.“