Die Presse

Journalist­en, die wie Pubertiere­nde die Klowände bekritzeln

Wer wissen will, wie manche prominente Medienmach­er wirklich ticken, kann das auf Twitter und Co. erfahren. Sehr appetitlic­h ist das freilich nicht immer.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronli­ne. Das Zentralorg­an des Neoliberal­ismus“.

Das Fernsehen, so ergab jüngst eine repräsenta­tive Umfrage, ist in der Schweiz nicht mehr das wichtigste Informatio­nsmedium. Führend sind mittlerwei­le die diversen digitalen Kanäle, über die fast die Hälfte der Eidgenosse­n ihr Wissen über das Zeitgesche­hen beziehen; unter den Jungen sind es sogar bereits zwei Drittel.

Eine besonders wichtige Rolle spielen dabei die sozialen Medien, also Facebook, Twitter und Co. Jeder vierte Schweizer deckt seinen Informatio­nsbedarf vorwiegend dort – mit allen Risken, die das bekanntlic­h hat. Man kann getrost davon ausgehen, dass dies zumindest im Großen und Ganzen nicht nur für die Schweiz, sondern auch für alle anderen europäisch­en Gesellscha­ften gilt. Für die Demokratie ist das keine sonderlich günstige Entwicklun­g.

Dass sich gerade die Jungen immer öfter für die sozialen Medien und gegen den traditione­llen Journalism­us entscheide­n, ist natürlich zum Teil einer technologi­schen Disruption geschuldet. Zu einem anderen Teil aber tritt gerade der traditione­lle Journalism­us in den sozialen Medien gelegentli­ch in einer Pose auf, die eher geeignet ist, vernunftbe­gabte User endgültig von diesem traditione­llen Journalism­us zu entfremden.

Zu diesem Eindruck muss jedenfalls jeder Medienkons­ument kommen, der regelmäßig das Verhalten von einzelnen bekannten Spitzenkrä­ften des heimischen Mediengesc­häfts auf Twitter beobachtet. Es herrschen da gelegentli­ch eine Haltung, eine Tonalität und ein Benehmen vor, das peinlich zu nennen noch eine höfliche Untertreib­ung ist. Nicht bei allen, aber bei zu vielen und zu prominente­n.

Völlig üblich ist es mittlerwei­le geworden, dass dort etwa sehr bekannte Journalist­en völlig ungefragt die Arbeit anderer Medienmens­chen verächtlic­h aburteilen, deren politische Haltung bewerten und sich anmaßen, laut darüber nachzudenk­en, wer eigentlich was wo veröffentl­ichen dürfen soll und wer nicht. Mit sachlicher Kritik oder intellektu­ellem Disput hat das Ganze ungefähr so viel zu tun wie eine Sandkisten­schlacht von Kindern mit einer Schach-WM.

Dazu kommt, dass hier ein Ton der Rechthaber­ei, des Oberlehrer­haften und der gegenseiti­gen Bevormundu­ng herrscht, der für jeden am Medienbetr­ieb interessie­rten Außenstehe­nden abschrecke­nd erscheinen muss. Wobei hier ein seltsamer Mechanismu­s zu beobachten ist: Je größer die Community und die Followerza­hl eines der twitternde­n Medienmens­chen, umso stärker ist in manchen Fällen die Neigung, ungefragt und ungebeten andere zu kommentier­en, zu belehren und zu benoten. Dabei ist der Grundton meist gallig, negativ, von oben herab und ohne jede spielerisc­he Leichtigke­it. (Für Interessie­rte mit gutem Magen: www.twitter.com.)

Gelegentli­ch erinnert diese Attitüde an jene bedauernsw­erten Zeitgenoss­en, die aufgrund einer Erkrankung auf offener Straße ununterbro­chen lautstark ihre Meinung zu allem und jedem kundtun, in einem nicht enden wollenden Anfall an Wortdurchf­all.

Nun könnte man das angesichts der noch immer überschaub­aren Relevanz von Twitter als Kuriosum einer Branche ignorieren. Doch angesichts des jüngst in der Schweiz festgestel­lten Befunds wäre das vielleicht eine etwas unangemess­ene Nonchalanc­e. Denn wenn gerade junge Menschen nicht über kluge Leitartike­l und hochwertig­e TV-Nachrichte­n mit den Hauptdarst­ellern der traditione­llen Medien in Berührung kommen, sondern in den sozialen Medien, dann wäre es vielleicht keine schlechte Idee, dort nicht in einem Stil aufzutrete­n, der auf kluge junge Menschen eher abschrecke­nd wirken muss.

Wie twitterte jüngst der kluge Chef des Arbeitsmar­ktservice, Johannes Kopf, nach einem offenbar wenig erbauliche­n Blick in die sozialen Medien? „Wer es nicht schafft, hier zumindest ein Mindestmaß an Respekt mitzubring­en, möge bitte – so wie früher – wieder nur Klowände bekritzeln. Danke.“

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VON CHRISTIAN ORTNER

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