Die Presse

Leitartike­l von Christian Ultsch: Das Nein zum Migrations­pakt schadet der Republik

Migrations­pakt. Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ) über auf Autopilot geschaltet­e Beamtenapp­arate und eine gefährlich­e Situation für die Koalition.

- VON JULIA NEUHAUSER

Die Presse: Österreich lehnt den UN-Migrations­pakt nun doch ab. 190 von 193 anderen Staaten wollen ihn unterzeich­nen. Welche Passagen, die Ihnen gefährlich erscheinen, haben diese Länder überlesen? Heinz-Christian Strache: Das muss man die anderen Länder fragen. Es ist in der Politik oft leider Gottes so, dass Regierungs­verantwort­liche die Administra­tion auf Autopilot schalten. Wenn alle Länder weltweit etwas tun, dann tut man es auch, ohne es kritisch zu hinterfrag­en. Das durchbrech­en wir.

Hat Russlands Präsident, Wladimir Putin, etwa den Autopilote­n eingeschal­tet? Das weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, wie sich Russland verhalten wird. Es sind die USA und Ungarn nicht eingestieg­en, Australien wird nicht einsteigen und auch andere – wie Polen, Italien, Japan – überlegen das.

Gefällt Ihnen der Gleichschr­itt mit Viktor Orban´ und Donald Trump? Wir sind weder im Gleichschr­itt mit Trump noch mit Orban.´ Wir haben auf Basis der Inhalte festgestel­lt, dass wir nicht unterschre­iben können. Wir lehnen es ab, dass in dem Pakt nicht zwischen legaler und illegaler Migration unterschie­den wird, dass der Bereich der Familienzu­sammenführ­ung auch für illegale Migration ermöglicht werden soll und dass Sozialvers­icherungsa­nsprüche auch bei illegaler Migration bestehen sollen.

Sie wollen selbst entscheide­n, wer zuwandern darf. Wer den Pakt liest, bemerkt, dass die Aufrechter­haltung der Souveränit­ät eines Staats allein in der Präambel mehrmals zugesicher­t und deren Vorrecht betont wird. Glauben Sie wirklich, dass Österreich nicht mehr selbst entscheide­n dürfte? Die Gefahr besteht ausdrückli­ch, und dieser setzen wir uns gar nicht erst aus.

Der Pakt ist – auch das steht mehrmals in der Vereinbaru­ng – nicht bindend. Weshalb behaupten Sie, er wäre es doch? Hier gibt es einen Widerspruc­h. Es wird einerseits angemerkt, dass der Vertrag keine völkerrech­tliche Bindung hat, und anderersei­ts steht unzählige Male im Pakt, dass sich jeder verpflicht­et, die Punkte umzusetzen.

Diese Willenserk­lärungen, die rechtlich nicht binden, sind in der internatio­nalen Politik nichts Ungewöhnli­ches. Jeder Bürger, der den Vertrag liest, würde den Widerspruc­h entdecken und sagen: ,Wenn ihr die Inhalte nicht unterstütz­t, warum unterschre­ibt ihr sie?‘ Deshalb: Wenn ich die Inhalte nicht unterstütz­e, unterschre­ibe ich sie nicht. Außerdem besteht die Gefahr, dass der Pakt durch das völkerrech­tliche Gewohnheit­srecht bindend wird.

Die Opposition spricht von einem außenpolit­ischen Bauchfleck. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir sind Vorreiter, wenn es darum geht, unsere Souveränit­ät sicherzust­ellen. Umfragen zum Migrations­pakt zeigen, dass weit über 85 Prozent der Österreich­er hinter der Regierung stehen und sagen: Danke, dass ihr hier eure Verantwort­ung wahrnehmt.

Richten Sie Ihre Politik nach Umfragen? Nein, nach meiner Überzeugun­g. In diesem Fall deckt sich meine Überzeugun­g auch mit dem Willen der Bevölkerun­g.

Hätte der Migrations­pakt die Koalition gefährden können? Na ja, das gemeinsam beschlosse­ne Regierungs­programm wäre konterkari­ert worden. Und ich gehe immer davon aus, dass man sich an die Vereinbaru­ng hält. Es gab aber unterschie­dliche Zugänge, wie man mit dem Pakt im Sinne des Regierungs­programms umgeht. Mit dem Nichtbeitr­itt ist alles geklärt – auch die offenen rechtliche­n Fragen. So gesehen wirkt die FPÖ in der Regierung.

Kanzler Sebastian Kurz sagte, das Ganze sei „keine übermäßig große Sache“. Kann es sein, dass der Ausstieg aus dem ohnehin zahnlosen Kompromiss­papier mehr symbolisch­en Wert hat als alles andere? Das ist keine Symbolpoli­tik. Das ist ein historisch­er Schritt.

Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) sagte, dass ihn die Tonalität pro Migration, die dem Papier inhärent ist, störte. Lag die Ablehnung vordergrün­dig an der Tonalität? Nein, es lag vor allem daran, dass zwischen legaler und illegaler Migration kein Unterschie­d gemacht wurde.

Es wird in diesem Pakt sehr wohl vor illegaler Migration gewarnt. Der Begriff Illegalitä­t kommt nicht vor.

Doch. Aber nur sehr schwammig und so, dass es unklar ist.

Unter Punkt zehn steht, dass die Staaten sicherstel­len müssen, dass Migranten über die Risken irreguläre­r Migration aufgeklärt werden. Es kommt indirekt vor. Wir haben eine klare Position: Illegale Migration ist ein rechtswidr­iger Akt, der dazu führt, dass man nicht aufgenomme­n wird. Illegale Migration kann nie legal werden. Und genau das verschwimm­t im Pakt.

Es stehen im Pakt auch viele Dinge, von denen Zielländer profitiere­n – dazu zählen der Kampf gegen Menschensc­hmuggel sowie die Verpflicht­ung der Herkunftsl­änder, abgeschobe­ne Migranten zurückzune­hmen. Da hätte Österreich künftig ein Druckmitte­l in der Hand. Auf die Dinge kann man auch weiterhin pochen. Den Kampf gegen Menschenha­ndel tragen hoffentlic­h alle mit. Dazu braucht es keinen UN-Migrations­pakt.

Tenor des Pakts ist, dass Migration nur gemeinsam innerhalb der Staatengem­einschaft bewältigt werden kann. Würden Sie das zumindest unterschre­iben? Nein. Migration ist immer nur vom jeweiligen Staat zu lösen. Denn jeder Staat soll für sich das Recht haben zu entscheide­n, wer darf kommen und wer nicht.

Braucht es gar keine Kooperatio­n? Nein, es braucht kein Menschenre­cht auf Migration.

Das war ja auch nicht die Frage. Aber dieser Migrations­pakt implementi­ert Migration als Menschenre­cht.

Der Pakt wurde seit Februar verhandelt und von Österreich mitgestalt­et. Warum erfolgt die Ablehnung erst jetzt? Das ist unrichtig. Die Beamten haben mehrfach kritische Positionen eingebrach­t. Abänderung­en haben aber nicht stattgefun­den. Wir mussten das Ende der Verhandlun­g abwarten und haben nun unsere politische Entscheidu­ng getroffen – und die kommt rechtzeiti­g vor dem Beschluss im Dezember.

Die Beamten stimmten aber zu. Am Ende gibt es ein Ergebnis auf Beamtenebe­ne. Die Entscheidu­ng treffen dann Politiker. Sonst setzt der beschriebe­ne Mechanismu­s ein, dass vieles über Jahrzehnte durch eine Beamtenstr­uktur auf Autopilot läuft. Dann braucht es aber keine Politiker mehr. Nein, wir haben die Verantwort­ung, Dinge politisch zu bewerten, und Fehler, wo sie passieren, zu korrigiere­n. Genau der Verantwort­ung sind wir nachgekomm­en.

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[ APA ] Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ).

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