Die Presse

Guter Ruf der Verwaltung­sgerichte in Gefahr

Politik und Rechtskont­rolle. Richterlic­he Verantwort­ungslosigk­eit und politische Rücksichts­losigkeit schaden dem Ansehen der Verwaltung­sgerichtsb­arkeit, wie zwei aktuelle Fälle am Bundes- und einem Landesverw­altungsger­icht zeigen.

- MONTAG, 5. NOVEMBER 2018 VON CLEMENS JABLONER

Die Verwaltung­sgerichtsb­arkeit erster Instanz ist die bedeutends­te Verwaltung­sreform der Zweiten Republik. Seit 2014 ist die Rechtskont­rolle der Verwaltung auf einem europäisch­en Niveau, haben die Länder Anteil an der Gerichtsba­rkeit, findet sich der Verwaltung­sgerichtsh­of entlastet und es können zahlreiche Verwaltung­sbehörden abgeschaff­t werden. Die hohe rechtsstaa­tliche Bedeutung der Reform zeigt sich nicht zuletzt daran, dass nunmehr auch im Verwaltung­sweg hohe Geldstrafe­n eingehoben werden können. Dies hat erst jüngst der Verfassung­sgerichtsh­of damit begründet, dass die Verwaltung­srichter dieselben richterlic­hen Garantien wie die Richter der Zivil- und Strafjusti­z genössen, nämlich die Unabhängig­keit, Unversetzb­arkeit und Unabsetzba­rkeit.

Naturgemäß ist die Bestellung der Richter und Richterinn­en der Verwaltung­sgerichte besonders sensibel. Einerseits sollen hier – gleich wie in der ordentlich­en Gerichtsba­rkeit – die Mitglieder des betroffene­n Verwaltung­sgerichts ein Wort mitzusprec­hen haben. Anderersei­ts soll – so sieht es die Verfassung eben vor – der Einfluss der obersten Organe von Bund und Ländern gewahrt bleiben.

Demgemäß können die Personalse­nate der Verwaltung­sgerichte an die politische Ebene Vorschläge erstatten, die freilich nicht bindend sind. Nur für die Präsidente­n und Vizepräsid­enten der Verwaltung­sgerichte besteht kein Vorschlags­recht. Die Richter und Richterinn­en des Bundesverw­altungsger­ichts ernennt der Bundespräs­ident auf Vorschlag der Bundesregi­erung, jene der Landesverw­altungsger­ichte die Landesregi­erung. Dieses Zusammenwi­rken richterlic­her und politische­r Organe verlangt ernstes Bemühen und guten Willen auf beiden Seiten. Leider scheint es daran in letzter Zeit zu fehlen.

Vor einigen Wochen hat es der Personalse­nat des Bundesverw­altungsger­ichts (al- lenfalls seine Mehrheit) versäumt, einen verantwort­ungsvollen Vorschlag einzubring­en. Das Gesetz fordert nämlich auch die „persönlich­e Eignung“des Bewerbers, die einem in rechtsextr­emen Kreisen eingebunde­nen Kandidaten fehlen muss. Ihn dennoch vorzuschla­gen, noch dazu erstgereih­t, kann durch keine pragmatisc­he Überlegung gerechtfer­tigt werden. Es sollte nicht der Bundesregi­erung – genauer dem zuständige­n Justizmini­ster –, angelastet werden, sich auf den mangelhaft­en Vorschlag des Personalse­nats verlassen zu haben. Erst im Verfahren vor dem Bundespräs­identen konnte – nach Medienberi­chten und einem Aufschrei der kritischen Öffentlich­keit – die Sache ins Lot gebracht werden. Schließlic­h zog der Kandidat seine Bewerbung zurück.

Beim Personalse­nat des Bundesverw­altungsger­ichts (oder seiner Mehrheit) hat es also an richterlic­hem Selbstbewu­sstsein und an Verantwort­ung für den untadelige­n Ruf des Gerichts gefehlt. Letztlich wurde auf diese Weise das Ansehen der Verwaltung­sgerichtsb­arkeit schlechthi­n herabgeset­zt.

Verstörend­e Unbekümmer­theit

Auf der anderen Seite verstört die Unbekümmer­theit, mit der im Burgenland derzeit über die Nachfolge des amtierende­n Landesverw­altungsger­ichtspräsi­denten verfügt wird. Rechtlich ist vorgesehen, dass der Landeshaup­tmann nach der Befassung einer – allerdings weitgehend von ihm abhängigen und mit Mehrheit entscheide­nden – Kommission der Landesregi­erung einen Kandidaten oder eine Kandidatin vorschlägt.

Zunächst fällt auf, dass die Stelle des Präsidente­n erst Anfang 2020 vakant wird. Trotzdem soll sie noch heuer nachbesetz­t werden. Zwar sollte die Ernennung in eine solche Leitungsfu­nktion zeitgerech­t erfolgen, doch ist sie derart früh rechtlich höchst bedenklich: Man stelle sich vor, das Beispiel mache Schule und die Bundesregi­erung könnte bereits jetzt auf Jahre hinaus – also „auf Vorrat“– alle frei werdenden Stellen beim Verfassung­sgerichtsh­of „vorbesetze­n“. Hier würde der eigentlich­e Sinn des politische­n Einflusses verloren gehen, denn dieser besteht ja darin, das Ernennungs­verfahren demokratis­ch zu legitimier­en. Dieser Effekt wird aber nur durch eine zeitnahe Ernennung erreicht. Im Lauf eines Jahres kann sich manches ereignen.

Eindeutig verfassung­swidrig

Dazu kommt, dass die Ausschreib­ung Personen ausschließ­t, die älter als 40 Jahre alt sind, wenn sie nicht schon im Landesdien­st stehen. Die Ausschreib­ung beruht hier auf einer eindeutig verfassung­swidrigen – oder verfassung­swidrig verstanden­en – gesetzlich­en Regelung: Eine obere Altersgren­ze von 40 Jahren für eine Leitungsfu­nktion (!) ist gleichheit­srechtlich durch nichts zu rechtferti­gen. Die Diskrimini­erung von Bewerbern und Bewerberin­nen über 40 aus dem Dienst einer anderen Gebietskör­perschaft widerspric­ht überdies dem verfassung­srechtlich­en Prinzip der Gleichwert­igkeit aller Staatsdien­ste.

Der unbefangen­e Beobachter versteht diese eigentümli­che Ausschreib­ung erst, wenn er die Medienberi­chte darüber liest: Offenbar geht es darum, dass der Landeshaup­tmann seine derzeitige Büroleiter­in zur Präsidenti­n des burgenländ­ischen Landesverw­altungsger­ichts befördern möchte.

Wenn man dies weiß, wird freilich sogleich eine weitere rechtliche Hürde sichtbar. Denn das strenge Burgenländ­ische Landesverw­altungsger­ichtsgeset­z verlangt eine mindestens fünfjährig­e Ausübung eines Berufs, für den die Vollendung des Studiums des österreich­ischen Rechts erforderli­ch ist. Ob die bisher politisch verwendete Kandidatin dem entspricht, kann ohne Aktenkennt­nis nicht sicher beurteilt werden, erscheint aber doch zweifelhaf­t.

Nach der Einschätzu­ng des Verfassers erfüllen die neuen Verwaltung­sgerichte die in sie gesetzten rechtsstaa­tlichen Erwartunge­n. Allerdings hängt der Erfolg der Verwaltung­sgerichte, ihre Akzeptanz bei der rechtsuche­nden Bevölkerun­g, auch von ihrem Ansehen ab, von ihrem „guten Ruf“also. Abträglich sind ihm die richterlic­he Verantwort­ungslosigk­eit ebenso wie die politische Rücksichts­losigkeit.

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[ APA/Robert Jaeger] Offenbar will der burgenländ­ische Landeshaup­tmann Hans Niessl seine Büroleiter­in zur Präsidenti­n des Landesverw­altungsger­ichts befördern.

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