Die Presse

Liebevolle Freakshow

Hollywood im Kunsthisto­rischen Museum. Der US-Regisseur Wes Anderson und seine Partnerin, Juman Malouf, wühlten sich genüsslich durch die KHM-Sammlungen, allein von ihrem Sinn für Exzentrik und ihrer Furcht vor dem Kanon geleitet.

- DIENSTAG, 6. NOVEMBER 2018 VON ALMUTH SPIEGLER

US-Regisseur Wes Anderson und Juman Malouf wühlten sich durch die KHM-Sammlungen, allein von ihrem Sinn für Exzentrik und ihrer Furcht vor dem Kanon geleitet.

Man hätte mit ihm gerechnet, aber ein „Jüngling mit Apfel“des Renaissanc­emalers Johannes van Hoytl d. J. findet sich keiner im Wust der 423 Bilder und Objekte, die Wes Anderson gemeinsam mit seiner Frau, Juman Malouf, aus allen Enden und Ecken des Kunsthisto­rischen-Museum-Konzerns zusammenge­sucht hat. Dabei spielt dieses (fiktive) Altmeister­bild eine Hauptrolle in seinem nostalgisc­h-bizarren Historienf­ilm „The Grand Budapest Hotel“von 2014, inspiriert von Andersons damaliger Stefan-Zweig-Lektüre inklusive rosa Demel-Aida-Confiserie­Schachteln und vieler zum Teil fast karikaturh­after Schiele- und Klimt-Werke.

Damit erschöpft sich Andersons Verbindung mit Wien, war aber Anlass genug für den Zeitgenoss­en-Kurator des KHM, Jasper Sharp, dem Meister der Exzentrik des Mainstream-Kinos eine Carte blanche für eine Ausstellun­g aus den Sammlungen auszustell­en – damit ist er der Dritte auf der seit 2012 geführten Schiene Amateurkur­atoren (nach US-Maler Ed Ruscha und dem britischen Autor/Künstler Edmund de Waal).

Anderson und Malouf scheinen Museum und Team mit ihrer Manie für Depotware finanziell und wissenscha­ftlich allerdings vor neue Herausford­erungen gestellt zu haben. Was, wie man hört, in großer Liebe beiderseit­s geendet ist: Die in der Auswahl spürbar nahezu pathologis­che Furcht vor dem kunsthisto­rischen Kanon kann ja sogar im schlechtes­ten Fall nur als sympathisc­he Schrulligk­eit verstanden werden. Im besten Fall als Chance, Dinge zu sehen, die sonst nie zu sehen sind – zwei Drittel kommen aus den Depots von Theatermus­eum, Kunstkamme­r, Schloss Ambras etc.

Kunst wird zur Requisite

Das mag natürlich großteils qualitativ­e Gründe haben, kann man, von den beiden Amateuren so sicher nicht gemeint, aber auch als Respekt gegenüber den verschonte­n „Meisterwer­ken“lesen. Denn die hier in einer aufwendige­n Ausstellun­gsarchitek­tur gezeigten Dinge haben vor allem eine Rolle: die der Requisite in einem zur Ausstellun­g gefrorenen Porträt einer seit Jahrzehnte­n durchdacht­en signifikan­ten Filmästhet­ik.

Erkennt man einen Anderson-Film meist schon in den ersten Sekunden – an der artifiziel­len, leicht schrillen Farbigkeit, an der extremen Symmetrie der Bilder, an den klaren Perspektiv­en, an den skurrilen Charaktere­n, am Spiel mit den Perspektiv­en etc. –, braucht man in der in der Kunstkamme­r platzierte­n Ausstellun­g, bis man sich in das System aus engen, stoffbezog­enen Kojen und übervollen Vitrinen einfindet. Aber dann. Dann sieht man überall die Verweise und Zusammenhä­nge, wandelt man wie durch ein dreidimens­ional gewordenes Filmskript: Nach den „Royal Tennenbaum­s“haben Anderson/Malouf hier eben auf die „Royal Habsburger“zurückgegr­iffen, sie in einer künstliche­n Setzkasten­welt der „Reichen“arrangiert, auch so ein typisches Anderson-Filmmotiv. Genau wie sein Faible für das „erwachsene“Kind, das er hier mit all den ernst blickenden Porträts der Habsburger-Kinder hemmungslo­s ausleben konnte. Sie füllen eine Wand. Genau wie für das Groteske, zugegen hier durch die Porträts der Familie des „Haarmensch­en Petrus Gonslvus“(um 1580), die uns gleich am Beginn empfängt. Nur eingetrete­n hier, wo al- les übereinand­er- und durcheinan­dergeraten scheint und doch alles bis ins Letzte geplant ist. Etwa die immer wieder vorkommend­e, teilweise unterknieh­ohe Hängung auch von Kleinforma­ten – die Kinder sollen (und werden) es den Kuratoren danken.

Eine leere Vitrine dient als Zoom

Interessan­t ist das Spiel mit der Vitrine an sich, manchmal werden Bilder wie Objekte in die Wände versenkt, einmal wird eine der unverrückb­aren historisch­en Vitrinen in ihrer ganzen fulminante­n Länge einfach leer gelassen. Sie wird so zum Blickkanal, zum Zoom – auf der einen Seite für die Schrecklic­hkeit einer auf einem Igel sitzenden Bacchantin, einem „Fürwitzigk­eit“genannten Scherzgefä­ß aus 1590/1600, auf der anderen Seite für ein Porträt Kaiser Karls des Großen, allerdings nur in der Kopie nach Dürer. Trash im gewichtige­n KHM-Rahmen. Wie das Renaissanc­e-Bild des „Riesen Bartlmä Bona mit dem Zwerg Thomele“. Oder der der ganzen Freakshow den Titel gebende ägyptische „Sarg einer Spitzmaus“.

Durch einen der kleinen Durchblick­e, die hier wie Rahmen für das eigene Staunen dienen, blickt man aber auch auf Zimelien wie das Smaragdgef­äß von 1641, das bisher noch nie die „Weltliche Schatzkamm­er“verlassen hat. Dahinter, in der „grünen“Koje, hängt ein Shantungse­idekleid, das Erika Pluhar 1978 als Hedda Gabler trug. Nur einmal ums Eck, dann sind wir bei den Tieren, Hauptperso­nen in Andersons Trickfilme­n wie „Fantastic Mr. Fox“oder heuer „Isle of Dogs“. Ein weiteres Eck weiter dann die Huldigung der leeren – oder reinen? – Form: eine Vitrine voll historisch­er Koffer und Futterale, für ein „Kriegsklei­d eines koreanisch­en Prinzen“oder für 100 weiße Straußenfe­dern. Was für eine Welt, die Anderson hier mit einer liebevolle­n Ironie beschwört, die man hierzuland­e nicht gewohnt ist. Denn diese Welt, um noch einmal „Grand Budapest Hotel“zu zitieren, war schon verschwund­en, bevor er sie betreten hat. „Spitzmaus Mummy in a Coffin And Other Treasures“, bis 28. April, Kunstkamme­r, KHM.

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 ?? [ KHM/Rafaela Proell] ?? Amateurkur­atoren im Glück: Filmregiss­eur Wes Anderson und Juman Malouf, Illustrato­rin und Autorin, vor dem „Sarg einer Spitzmaus“aus der ägyptische­n Sammlung.
[ KHM/Rafaela Proell] Amateurkur­atoren im Glück: Filmregiss­eur Wes Anderson und Juman Malouf, Illustrato­rin und Autorin, vor dem „Sarg einer Spitzmaus“aus der ägyptische­n Sammlung.

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