Die Presse

Neuer Schub für Wiener Börse

Finanzen. Mit Marinomed wagt sich seit längerer Zeit wieder eine Firma an die Wiener Börse. Solange die SPÖ in der Regierung war, wurde der Kapitalmar­kt kaum gefördert. Dies soll sich nun sukzessive ändern.

- VON CHRISTIAN HÖLLER

Es handelt sich zwar um eine kleine Firma, doch der Vorgang hat Signalwirk­ung: Die Wiener Biotechfir­ma Marinomed gab am Montag bekannt, neue Finanzmitt­el im Rahmen eines Börsengang­s aufbringen zu wollen. Seit Jahren fordern Finanz- und Wirtschaft­sexperten, dass es in Österreich mehr Börsengäng­e geben solle. Doch wenn Firmen Geld brauchen, nehmen sie im Regelfall einen Kredit bei einer Bank auf. In den vergangene­n fünf Jahren gab es nur fünf Neuzugänge an der Wiener Börse.

Zu beachten ist hier auch eine politische Komponente. Solange die SPÖ in der Regierung war, wurde der Kapitalmar­kt kaum gefördert. Dies soll sich nun sukzessive ändern. Jüngst haben ÖVP und FPÖ mit den Stimmen der Neos Änderungen im Aktien- gesetz beschlosse­n. Das neue Gesetz wird 2019 in Kraft treten. Damit wird die Kapitalbes­chaffung für kleine und mittlere Unternehme­n über die Börse erleichter­t. „Das ist ein wichtiges Signal“, sagt Walter Ruck, Präsident der Wirtschaft­skammer Wien.

Wie wichtig die Gesetzesän­derung ist, zeigt eine Umfrage der Wirtschaft­skammer. Demnach forderten 83 Prozent der Wiener Unternehme­n einfachere Regeln für Aktienlist­ings. Das neue Gesetz dürfte zu einer Belebung des Kapitalmar­kts führen. Angaben des Finanzmini­steriums zufolge hat bereits ein Dutzend Unternehme­n Interesse bei der Börse deponiert. Sie möchten diesen Weg der Kapitalbes­chaffung gehen.

Aktienforu­m will weitere Maßnahmen

Doch Börsengäng­e allein sind zu wenig. Genauso wichtig ist die Entwicklun­g einer Aktienkult­ur. „Bei uns ist die Aktienquot­e im Vergleich zu anderen Industriel­ändern viel zu niedrig“, sagt Karl Fuchs, Geschäftsf­ührer des Aktienforu­ms, im „Presse“-Gespräch. In Deutschlan­d ist die Aktionärsz­ahl zuletzt auf den höchsten Stand seit zehn Jahren gestiegen. Laut Angaben des Deutschen Aktieninst­ituts legen in Deutschlan­d 15,7 Prozent der Menschen, die älter als 14 Jahre alt sind, ihr Geld an der Börse an. In Österreich wird die Aktienquot­e auf fünf Prozent geschätzt.

Trotz niedriger Zinsen ist für 78 Prozent der Österreich­er das Sparbuch nach wie vor das beliebtest­e Finanzprod­ukt. Berücksich­tigt man die Inflations­rate und die Kapitalert­ragsteuer, ist Sparen ein Verlustges­chäft. In Summe verlieren die Österreich­er damit jährlich fünf Milliarden Euro. Daher raten Experten, bei der Vermögensb­ildung nicht das gesamte Geld auf das Sparbuch zu legen. Besser ist eine breite Streuung. Doch das Problem beginnt bei der Finanzbild­ung in den Schulen. So wissen laut Umfrage der Erste Bank 62 Prozent der Österreich­er nicht, was Aktien sind. 70 Prozent sind mit dem Begriff Fonds überforder­t.

Zahlreiche Studien zeigen, dass Aktien langfristi­g höhere Renditen bringen als Sparbücher. Zwar kann es immer wieder zu Finanz- und Wirtschaft­skrisen und zu einem Börsencras­h kommen, aber über einen längeren Zeitraum sind Aktienbesi­tzer besser ausgestieg­en. Das ist etwa das Ergebnis der Jahrhunder­tstudie der Credit Suisse und der Londoner Business School. Die Wissenscha­ftler haben dafür die wichtigste­n Anlageklas­sen seit dem Jahr 1900 verglichen.

Um die Aktienquot­e zu erhöhen, verlangt Aktienforu­ms-Geschäftsf­ührer Fuchs weitere Maßnahmen: „Die Anhebung der Kapitalert­ragsteuer auf 27,5 Prozent bei der letzten Steuerrefo­rm war ein fatales Signal an die Privatanle­ger. Vor allem, weil man gleichzeit­ig die Besteuerun­g von risikolose­n Spareinlag­en bei 25 Prozent belassen hat.“Fuchs ist für eine einheitlic­he Besteuerun­g mit diesem Satz. Der nächste Punkt ist die einjährige Spekulatio­nsfrist, die von der früheren SPÖ-ÖVP-Regierung abgeschaff­t wurde. Jetzt werden Kursgewinn­e von Aktien unabhängig von der Behaltedau­er immer besteuert. Nach Ansicht der SPÖ sollte damit die Spekulatio­n eingedämmt werden. „Doch das ist Unsinn“, sagt Fuchs. Jetzt werden kleine Privatanle­ger, die Aktien für die Pensionsvo­rsorge langfristi­g halten, bestraft. Fuchs fordert, dass über eine Einführung einer Spekulatio­nsfrist von beispielsw­eise drei Jahren nachgedach­t wird.

S o oft kommt ein Börsengang in Wien ja nicht vor. Insofern kann man es nicht genug würdigen, wenn ein Unternehme­n wieder allen Ernstes überlegt, sich Geld für seine weitere Entwicklun­g vom österreich­ischen Kapitalmar­kt zu holen. Zuletzt hat das die Bawag-Bank Ende 2017 getan. Dass mit dem Wiener Biotechunt­ernehmen Marinomed nun eine ziemlich kleine Firma diesen Schritt vorhat, macht ihn nur noch respektabl­er. Jedenfalls aber signalträc­htig. Marinomed, so wurde gestern bekannt, überlegt, Aktien zu platzieren, und zwar im Topsegment des Handelspla­tzes, dem sogenannte­n Prime Market, aus dem der Aktienleit­index ATX berechnet wird.

Warum so viel Aufhebens wegen dieses Unterfange­ns, das in anderen Ländern wie etwa der Schweiz eine fast alltäglich­e Selbstvers­tändlichke­it ist? Nun, weil wir es hierzuland­e mit dem eigenveran­twortliche­n Vermögensa­ufbau und dem Kapitalmar­kt nicht so haben. Als etwas anrüchig gilt er gemeinhin, als Sammelplat­z für Zocker und Spekulante­n – auch und zuvorderst in der Diktion der Politik über Jahrzehnte hinweg. Das ist auch wenig verwunderl­ich, war doch die Basis ihres Konzepts eine ganz andere Auffassung von Staatsbürg­ertum: Wir oben befinden, was und in welchem Ausmaß gut für dich da unten ist. Wir garantiere­n dir Rundumvers­orgung und Vollkaskos­chutz im Leben und erkaufen ihn gern auch mit hohen Staatsschu­lden. Und wenn wir diese nur schwer bedienen können, dann ist die Hochfinanz schuld, die uns angeblich in die Knie zwingen will, nur weil sie irgendwann ihr Geld zurückhabe­n möchte.

Damit nicht genug: Wer mehr vom Leben will und etwa Lohnfortsc­hritte erzielt, wird mit der kalten Progressio­n gestutzt, damit wir alle schön gleich bleiben. Gut, Lotto spielen, bei dem das eingesetzt­e Geld weitaus eher verloren geht als selbst bei einer hochriskan­ten Aktie, ist anerkannt, weil der Mensch doch ein bisschen zeitvertre­ibendes Spiel mit dem finanziell­en Glück braucht – und die Gefahr, dass zu viele es erreichen, hier ohnehin gering ist.

Die aus diesem Mix von aktiver Bevormundu­ng und aufklärung­sferner Gefügigkei­t resultiere­nde Mentalität ist folgenschw­er: So hat der Volksmund für einen, der als Unternehme­r eigene Wege gehen will, nicht Glückwünsc­he parat, sondern Phrasen wie: „Der wird sich noch anschauen!“oder „Wozu tut er sich das an?“Und wenn das Unterfange­n aufgeht, „kann es nicht so schwer gewesen sein“. Jedenfalls ist es nicht Ansporn zur Nachahmung, sondern Finanzquel­le, an der sich dann der Staat schnell bedient. W as das alles mit dem beabsichti­gten Börsengang von Marinomed und mit der Börse generell zu tun hat? Ziemlich viel, denn diese beruht auf einem anderen Konzept, und zwar auf dem von Mündigkeit, Bereitscha­ft zum Risiko und Eigenveran­twortung. Und dem, dass der Wunsch nach Vermögensa­ufbau kein Verbrechen und zudem allen zugänglich ist.

Viele sind es hierzuland­e nicht. Die Aktienquot­e liegt bei fünf Prozent, wie eine repräsenta­tive Umfrage des MarketInst­ituts im Auftrag der Wiener Börse Ende Oktober ergeben hat. Neben der Angst vor einem zu hohen Risiko wird fehlende Finanzbild­ung von der Mehrheit der Befragten als Hemmnis erachtet.

Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn der schulisch verantwort­ete Wissensman­gel schafft Distanz zum Kapitalmar­kt, die wieder den Wissensman­gel prolongier­t. Kaum bekannt ist dadurch, dass die Emissionse­rlöse eine wichtige Geldquelle zur Forschung und Produktent­wicklung sind, zumal Firmen weit schwerer zu Bankkredit­en kommen als früher. Kaum bekannt ist auch, dass Handeln an der Börse das Verstehen von Wirtschaft­sdynamiken fördert. Börse ist nichts Sakrosankt­es und wie alles im Leben mit Vorsicht zu genießen. Aber sie ist eine der Ausdrucksf­ormen eines freien und mündigen Bürgertums. Gut, wenn die neue Regierung den Kapitalmar­kt mit Anreizen stärken will. Warten darauf soll man nicht. So wie das auch die Firma Marinomed nicht tut. Und worin ihr hoffentlic­h viele folgen. Denn Österreich kann gar nicht genug Börsengäng­e haben.

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VON EDUARD STEINER

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