Neuer Schub für Wiener Börse
Finanzen. Mit Marinomed wagt sich seit längerer Zeit wieder eine Firma an die Wiener Börse. Solange die SPÖ in der Regierung war, wurde der Kapitalmarkt kaum gefördert. Dies soll sich nun sukzessive ändern.
Es handelt sich zwar um eine kleine Firma, doch der Vorgang hat Signalwirkung: Die Wiener Biotechfirma Marinomed gab am Montag bekannt, neue Finanzmittel im Rahmen eines Börsengangs aufbringen zu wollen. Seit Jahren fordern Finanz- und Wirtschaftsexperten, dass es in Österreich mehr Börsengänge geben solle. Doch wenn Firmen Geld brauchen, nehmen sie im Regelfall einen Kredit bei einer Bank auf. In den vergangenen fünf Jahren gab es nur fünf Neuzugänge an der Wiener Börse.
Zu beachten ist hier auch eine politische Komponente. Solange die SPÖ in der Regierung war, wurde der Kapitalmarkt kaum gefördert. Dies soll sich nun sukzessive ändern. Jüngst haben ÖVP und FPÖ mit den Stimmen der Neos Änderungen im Aktien- gesetz beschlossen. Das neue Gesetz wird 2019 in Kraft treten. Damit wird die Kapitalbeschaffung für kleine und mittlere Unternehmen über die Börse erleichtert. „Das ist ein wichtiges Signal“, sagt Walter Ruck, Präsident der Wirtschaftskammer Wien.
Wie wichtig die Gesetzesänderung ist, zeigt eine Umfrage der Wirtschaftskammer. Demnach forderten 83 Prozent der Wiener Unternehmen einfachere Regeln für Aktienlistings. Das neue Gesetz dürfte zu einer Belebung des Kapitalmarkts führen. Angaben des Finanzministeriums zufolge hat bereits ein Dutzend Unternehmen Interesse bei der Börse deponiert. Sie möchten diesen Weg der Kapitalbeschaffung gehen.
Aktienforum will weitere Maßnahmen
Doch Börsengänge allein sind zu wenig. Genauso wichtig ist die Entwicklung einer Aktienkultur. „Bei uns ist die Aktienquote im Vergleich zu anderen Industrieländern viel zu niedrig“, sagt Karl Fuchs, Geschäftsführer des Aktienforums, im „Presse“-Gespräch. In Deutschland ist die Aktionärszahl zuletzt auf den höchsten Stand seit zehn Jahren gestiegen. Laut Angaben des Deutschen Aktieninstituts legen in Deutschland 15,7 Prozent der Menschen, die älter als 14 Jahre alt sind, ihr Geld an der Börse an. In Österreich wird die Aktienquote auf fünf Prozent geschätzt.
Trotz niedriger Zinsen ist für 78 Prozent der Österreicher das Sparbuch nach wie vor das beliebteste Finanzprodukt. Berücksichtigt man die Inflationsrate und die Kapitalertragsteuer, ist Sparen ein Verlustgeschäft. In Summe verlieren die Österreicher damit jährlich fünf Milliarden Euro. Daher raten Experten, bei der Vermögensbildung nicht das gesamte Geld auf das Sparbuch zu legen. Besser ist eine breite Streuung. Doch das Problem beginnt bei der Finanzbildung in den Schulen. So wissen laut Umfrage der Erste Bank 62 Prozent der Österreicher nicht, was Aktien sind. 70 Prozent sind mit dem Begriff Fonds überfordert.
Zahlreiche Studien zeigen, dass Aktien langfristig höhere Renditen bringen als Sparbücher. Zwar kann es immer wieder zu Finanz- und Wirtschaftskrisen und zu einem Börsencrash kommen, aber über einen längeren Zeitraum sind Aktienbesitzer besser ausgestiegen. Das ist etwa das Ergebnis der Jahrhundertstudie der Credit Suisse und der Londoner Business School. Die Wissenschaftler haben dafür die wichtigsten Anlageklassen seit dem Jahr 1900 verglichen.
Um die Aktienquote zu erhöhen, verlangt Aktienforums-Geschäftsführer Fuchs weitere Maßnahmen: „Die Anhebung der Kapitalertragsteuer auf 27,5 Prozent bei der letzten Steuerreform war ein fatales Signal an die Privatanleger. Vor allem, weil man gleichzeitig die Besteuerung von risikolosen Spareinlagen bei 25 Prozent belassen hat.“Fuchs ist für eine einheitliche Besteuerung mit diesem Satz. Der nächste Punkt ist die einjährige Spekulationsfrist, die von der früheren SPÖ-ÖVP-Regierung abgeschafft wurde. Jetzt werden Kursgewinne von Aktien unabhängig von der Behaltedauer immer besteuert. Nach Ansicht der SPÖ sollte damit die Spekulation eingedämmt werden. „Doch das ist Unsinn“, sagt Fuchs. Jetzt werden kleine Privatanleger, die Aktien für die Pensionsvorsorge langfristig halten, bestraft. Fuchs fordert, dass über eine Einführung einer Spekulationsfrist von beispielsweise drei Jahren nachgedacht wird.
S o oft kommt ein Börsengang in Wien ja nicht vor. Insofern kann man es nicht genug würdigen, wenn ein Unternehmen wieder allen Ernstes überlegt, sich Geld für seine weitere Entwicklung vom österreichischen Kapitalmarkt zu holen. Zuletzt hat das die Bawag-Bank Ende 2017 getan. Dass mit dem Wiener Biotechunternehmen Marinomed nun eine ziemlich kleine Firma diesen Schritt vorhat, macht ihn nur noch respektabler. Jedenfalls aber signalträchtig. Marinomed, so wurde gestern bekannt, überlegt, Aktien zu platzieren, und zwar im Topsegment des Handelsplatzes, dem sogenannten Prime Market, aus dem der Aktienleitindex ATX berechnet wird.
Warum so viel Aufhebens wegen dieses Unterfangens, das in anderen Ländern wie etwa der Schweiz eine fast alltägliche Selbstverständlichkeit ist? Nun, weil wir es hierzulande mit dem eigenverantwortlichen Vermögensaufbau und dem Kapitalmarkt nicht so haben. Als etwas anrüchig gilt er gemeinhin, als Sammelplatz für Zocker und Spekulanten – auch und zuvorderst in der Diktion der Politik über Jahrzehnte hinweg. Das ist auch wenig verwunderlich, war doch die Basis ihres Konzepts eine ganz andere Auffassung von Staatsbürgertum: Wir oben befinden, was und in welchem Ausmaß gut für dich da unten ist. Wir garantieren dir Rundumversorgung und Vollkaskoschutz im Leben und erkaufen ihn gern auch mit hohen Staatsschulden. Und wenn wir diese nur schwer bedienen können, dann ist die Hochfinanz schuld, die uns angeblich in die Knie zwingen will, nur weil sie irgendwann ihr Geld zurückhaben möchte.
Damit nicht genug: Wer mehr vom Leben will und etwa Lohnfortschritte erzielt, wird mit der kalten Progression gestutzt, damit wir alle schön gleich bleiben. Gut, Lotto spielen, bei dem das eingesetzte Geld weitaus eher verloren geht als selbst bei einer hochriskanten Aktie, ist anerkannt, weil der Mensch doch ein bisschen zeitvertreibendes Spiel mit dem finanziellen Glück braucht – und die Gefahr, dass zu viele es erreichen, hier ohnehin gering ist.
Die aus diesem Mix von aktiver Bevormundung und aufklärungsferner Gefügigkeit resultierende Mentalität ist folgenschwer: So hat der Volksmund für einen, der als Unternehmer eigene Wege gehen will, nicht Glückwünsche parat, sondern Phrasen wie: „Der wird sich noch anschauen!“oder „Wozu tut er sich das an?“Und wenn das Unterfangen aufgeht, „kann es nicht so schwer gewesen sein“. Jedenfalls ist es nicht Ansporn zur Nachahmung, sondern Finanzquelle, an der sich dann der Staat schnell bedient. W as das alles mit dem beabsichtigten Börsengang von Marinomed und mit der Börse generell zu tun hat? Ziemlich viel, denn diese beruht auf einem anderen Konzept, und zwar auf dem von Mündigkeit, Bereitschaft zum Risiko und Eigenverantwortung. Und dem, dass der Wunsch nach Vermögensaufbau kein Verbrechen und zudem allen zugänglich ist.
Viele sind es hierzulande nicht. Die Aktienquote liegt bei fünf Prozent, wie eine repräsentative Umfrage des MarketInstituts im Auftrag der Wiener Börse Ende Oktober ergeben hat. Neben der Angst vor einem zu hohen Risiko wird fehlende Finanzbildung von der Mehrheit der Befragten als Hemmnis erachtet.
Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn der schulisch verantwortete Wissensmangel schafft Distanz zum Kapitalmarkt, die wieder den Wissensmangel prolongiert. Kaum bekannt ist dadurch, dass die Emissionserlöse eine wichtige Geldquelle zur Forschung und Produktentwicklung sind, zumal Firmen weit schwerer zu Bankkrediten kommen als früher. Kaum bekannt ist auch, dass Handeln an der Börse das Verstehen von Wirtschaftsdynamiken fördert. Börse ist nichts Sakrosanktes und wie alles im Leben mit Vorsicht zu genießen. Aber sie ist eine der Ausdrucksformen eines freien und mündigen Bürgertums. Gut, wenn die neue Regierung den Kapitalmarkt mit Anreizen stärken will. Warten darauf soll man nicht. So wie das auch die Firma Marinomed nicht tut. Und worin ihr hoffentlich viele folgen. Denn Österreich kann gar nicht genug Börsengänge haben.