Die Presse

Dublin gegen Londons Brexit-Linie

EU-Austritt. Irland weist neue Forderunge­n aus London scharf zurück, die Vereinbaru­ng zur Beibehaltu­ng einer offenen Grenze auf der Insel nach Belieben wieder aufkündige­n zu können.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Die Verhandlun­gen zum britischen EU-Austritt kriechen auch in der Schlusspha­se im Krebsgang dahin. Auf Berichte über einen substanzie­llen Fortschrit­t folgt unweigerli­ch die nächste fundamenta­le Unstimmigk­eit. Vehement wandte sich Irland gestern, Dienstag, gegen britische Forderunge­n zum umstritten­en Thema der inneririsc­hen Grenze. Ein einseitige­s britisches Recht für einen Ausstieg „könne es nicht geben“, betonte der irische Ministerpr­äsident, Leo Varadkar, nach einem Telefonat mit der britischen Premiermin­isterin, Theresa May.

Irland sah sich zu einer Interventi­on von höchster Stelle genötigt, nachdem ein Brief des britischen Brexit-Ministers, Dominic Raab, bekannt geworden war, indem er das Recht Londons eingeforde­rt hatte, eine Vereinbaru­ng über die Vermeidung einer harten Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland einseitig aufkündige­n zu können. Der irische Außenminis­ter, Simon Coveney, erwidert postwenden­d: „Eine zeitlich befristete Auffanglös­ung oder eine Vereinbaru­ng, die von Großbritan­nien einseitig aufgekündi­gt werden kann, wird von Irland oder der EU niemals akzeptiert werden.“

Die Frage der Auffanglös­ung bleibt das Kernproble­m zwischen London und Brüssel. Beide Seiten haben sich dazu verpflicht­et, die Rückkehr zu einer kontrollie­rten Grenze auf der irischen Insel zu verhindern. Umstritten ist aber, ob nach Ablauf der vereinbart­en Übergangsf­rist 2020 und dem Abschluss eines Handelsabk­ommens nur Nordirland oder das gesamte Vereinigte Königreich in der EU-Zollunion bleiben soll. Die EUSeite hat bereits in ihrer Position festgelegt, dass sie einen „Backstop“haben möchte, also eine Klausel, mit der Nordirland im Notfall in der Zollunion verbleiben kann, wenn Großbritan­nien aus dieser aussteigt. Dies würde aber eine kontrollie­rte Grenze zum Rest des Königreich­s bedeuten.

Die Position Raabs, die er schon in der Vorwoche in einem Gespräch mit Coveney eingenomme­n hatte, wurde offenbar gezielt geleakt, nachdem am Wochenende die „Sunday Times“berichtet hatte, „Mays geheimer BrexitDeal“sei „praktisch fertig“. Demzufolge will die Premiermin­isterin als Notfalllös­ung ganz Großbritan­nien in einer Zollunion mit der EU belassen. Kritiker wie Ex-Außenminis­ter Boris Johnson reagierten umgehend und heftig: Eine derartige Vereinbaru­ng wäre „absolut ekelhaft“, und würde „die permanente Knechtscha­ft“bedeuten.

May will heute, Dienstag, erneut mit ihrem Kabinett zu Bera- tungen zusammentr­effen. Nach Informatio­nen der „Sunday Times“will sie die Hardliner mit einer kompromiss­losen Freihandel­sposition für sich gewinnen und ihnen damit die Zustimmung für die Auffanglös­ung abringen. Raab hingegen vertritt eine offenbar härtere Position. Über seine politische­n Motive hieß es gestern in London: „Das ist die Art von Brief, die man schreibt, um später einmal etwas in der Hinterhand zu haben.“

Die Pattstellu­ng bei der Nordirland-Grenze verhindert weiterhin eine Verhandlun­gslösung über den Brexit. Nach Angaben von May sind andernfall­s bereits „95 Prozent“vereinbart. In der Londoner City sorgt in der Vorwoche das Gerücht für Hochstimmu­ng, auch in der sensiblen Frage des Finanzsekt­ors habe man einen Durchbruch erzielt. Das wurde umgehend in Brüssel dementiert, während die Regierung in London zu allen Berichten monoton mitteilt: „Wir machen gute Fortschrit­te, aber es bleibt noch einiges zu erledigen.“

Offensicht­lich ist, dass mit gezielten Leaks die politische Stimmung getestet werden soll. May hat starken Widerstand in der eigenen Partei, zugleich sind die Brexit-Hardliner aber weit davon entfernt, sie entmachten zu können. Die EU muss bis Freitag entscheide­n, ob noch vor Ende November ein Gipfel für das Absegnen einer Vereinbaru­ng einberufen werden kann. In London hielt sich Chefunterh­ändler Oliver Robbins permanent für die Abreise nach Brüssel bereit.

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