Textilpionier Herbert Rieger: Der Lord der Glockenhose
Mode. Herbert „Lord“Rieger hat die Jugend der Siebziger- und Achtzigerjahre fantasievoll bekleidet. Dass er noch immer aktiv ist, wissen aber nur wenige.
Das erste Mal war ich 1965/66 in London. Man kam aus dem Staunen nicht heraus, wenn man aus Wien stammte. Im Marquee Club hab ich mir allerlei Popgruppen angesehen. Die Rolling Stones haben mir besonders gut gefallen. Und die Carnaby Street, die Straße der Textilgeschäfte, war eine einzige Offenbarung. Dort gab es eine Mode, von der bei uns niemand etwas wusste“, schwärmt der heute 69-jährige Herbert Rieger, der trotz seiner Jahre merkwürdig jugendlich wirkt.
Wien war damals eine unvorstellbar graue Angelegenheit. Es bedurfte vieler Einzelinitiativen, um das zu verändern. Riegers Mission war es, die Kleiderordnung der hiesigen Jugend aufzumischen. Zunächst fuhr er regelmäßig mit zwei Koffern nach London, die er mit Textilien füllte, die man damals „ausgeflippt“nannte. „Ich hab alles geschmuggelt“, sagt er heute mit rechtschaffenem Ton in der Stimme. Ein Wunder eigentlich, dass ihn nie jemand vom Zoll aufgehalten hat. Rieger trug schon schulterlanges Haar, als sich noch Spießbürger bemüßigt fühlten, den für sie suspekten Individuen ein giftiges „Du schaust ja aus wie ein Beatles“(sic!) oder „Reserve-Jesus“nachzuzischen.
Seit 1970 gab es in der Wiener Innenstadt, Am Hof, einen Flohmarkt, der auch zum Treffpunkt der alternativen Jugend wurde. Dort wurden dem jungen Rieger die britischen Kleidungsstücke buchstäblich aus den Händen gerissen. Schon der alte Rieger machte in Wirkware; das väterliche Geschäft befand sich in der Klosterneuburger Straße. Der Herr Papa hatte sich der hochsoliden Ware verschrieben: Bettwäsche und Schürzen waren seine Bestseller. „Solide? Ich hab mir gedacht, was der da für Klumpert verkauft, ist eigentlich unglaublich. Ende der Sechzigerjahre hab ich ihm ein paar Textilien aus London reingestellt. Die wurden rasch der Renner.“
Das war der Startschuss der Professionalisierung. Als Erstes wagte Rieger eine wunderbare Anmaßung, wie sie damals auch bei Musikern gang und gäbe war. Aus dem New-Orleans-Pianisten Henry Byrd wurde Professor Longhair, aus dem Sänger Malcolm Rebenack der knarzige Dr. John. Und aus dem Brigittenauer Buben Herbert ein Lord aus eigenem Recht: Lord Rieger. Mithilfe eines üppigen Kredits sperrte dieser seinen ersten Laden in der Judengasse auf, eine erste Filiale in der Mariahilfer Straße folgte bald.
„Wien hatte einen enormen Aufholbedarf in puncto Glockenhosen. Es hat ja nichts gegeben. Ich habe mir in London die Etiketten in den Geschäften angeschaut und dann die Fabriken aufgesucht. Bald hab ich in Leeds, Manchester, London, aber auch in Paris produzieren lassen. Indien ist erst viel später gekommen.“Lord Rieger wurde rasch zur Institution. Auf dem Höhepunkt betrieb er 14 Filialen. Neben indisch angehauchter Hippiemode verkaufte er vor allem Jeans. „Die Zweizipphosen und später die Jeans mit der Seitennaht waren absolute
(69) begann auf einem Flohmarkt im ersten Wiener Gemeindebezirk, die heimische Jugend mit Mode aus London zu versorgen. Später eröffnete Rieger sein erstes Geschäft in der Judengasse, eine Filiale in der Mariahilfer Straße folgte. Auf seinem Höhepunkt hatte Rieger insgesamt 14 Geschäfte. Der Renner waren neben Hippiemode zunächst Jeans. Später verkaufte „Lord“Rieger auch Designerstücke von Galliano oder Westwood. Atelier und Geschäft hat er heute in der Gonzagagasse 15 im ersten Bezirk, Mo–Sa: 8–18 Uhr. Bestseller“, sagt Rieger. In den Achtzigerjahren gehörte er dann zu den Ersten, die internationale Designerware vertrieben.
„In meinem Fall waren es Stücke von Galliano, Gaultier und Westwood. Die habe ich ausschließlich in meinem damaligen Flagshipstore in der Judengasse an die sogenannte bessere Gesellschaft verkauft.“Durch den Import der teuren Designerware geriet dann alles in Schieflage. „Obwohl die Spannen sehr klein waren, waren die Sachen für das damalige Wien zu teuer.“Rieger konzentrierte sich wieder auf sein Kerngeschäft. „In Bali und Indien hab ich dann begonnen, wieder Eigenes zu produzieren. Jetzt waren Glockenblusen und Glockenhosen in gerippten Stoffen der Hit.“
Die radikale Veränderung des Textilgeschäfts zwang Rieger ab 1999, sein Filialnetz zu schließen. Heute setzt er auf Stammkunden und auf Maßanfertigungen. Seine Stoffe stammen ausschließlich aus Österreich. Langjährige Kunden wie der Perkussionist Andy Bartosch machen Werbung für ihn. Rieger liegt das nicht. Vom Internet hat der drahtige Textilpionier zwar gehört, mag es aber nicht für einen eventuellen Onlineverkauf nutzen. „Ich will, dass die Kunden zu mir kommen. Ist das zu eigen?“