Die Presse

Elektrisch beschleuni­gte Rücksichts­losigkeit

- VON OLIVER GRIMM E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

J eden Morgen, auf dem Weg zur Arbeit, sehe ich sie hier in Brüssel die steile Chaussee´ de Vleurgat hinunterra­sen: Herren im fortgeschr­ittenen Alter des mittleren Management­s, Anzug, Krawatte, der Kopf unbehelmt, die Ohren dafür verkopfhör­ert, das Kinn stolz in den Fahrtwind gereckt, Spielbein und Standbein auf dem schmalen Trittbrett­chen eines Elektrorol­lers. Ich frage mich mittlerwei­le nicht mehr, wie diese Chauffeure des Zeitgeists bremsen oder ausweichen wollen, wenn ihnen ein Kind oder ein Kinderwage­n in die Flugbahn gerät. Ich frage mich nur mehr, wann es ein solches Unglück gibt und welche Art von Wehklagen dann angestimmt werden dürfte: jene über den unvorsicht­igen kleinen Buben oder die gedankenlo­se Mutter, die halt, bitt’ schön, besser hätten aufpassen sollen, bevor sie sich in die Schusslini­e des Elektrorol­ler-Herrenreit­ers gewagt haben. Oder jene über die E-Scooter-Trottelei, die in unseren Städten um sich greift und das Benützen von Gehsteigen und Zebrastrei­fen noch ein Stück gefährlich­er macht, als es dies durch gedankenlo­se Autofahrer und rüpelige Radler ohnehin schon ist.

Um empörten Zuschrifte­n vorzugreif­en: Nein, natürlich ist nicht jeder Benutzer eines Elektrorol­lers ein Depp. Es ist auch nicht jeder Autofahrer gedankenlo­s und nicht jeder Radler ein Rüpel. Doch mit jeder technologi­sch ermöglicht­en Beschleuni­gung unserer Fortbewegu­ng werden Achtlosigk­eit und Risikolaun­e aufgerüste­t. Wer gehend nicht auf seine Umwelt achtet, rennt schlimmste­nfalls in ein Verkehrssc­hild oder rempelt einen Zeitgenoss­en um. Wer das, elektrisch beschleuni­gt, mit gut 50 km/h tut, riskiert nicht nur, selbst zum Organspend­er zu werden.

Kann man diese Unerfreuli­chkeit einhegen? Die Straßenver­kehrsregel­n geben überall vor, wie man sich auf dem Elektrorol­ler zu verhalten hat. Nützt’s? Ich zweifle. Brauchen wir wirklich Führersche­inpflicht für diese kindischen Vehikel, um wenigstens die gefährlich­sten Verhaltens­weisen einzudämme­n?

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