Die Presse

John Zorn ist immer noch wild

Jazz. Jetzt ist der Berserker des No-Wave-Jazz auch schon 65. Insgesamt acht Ensembles stellen sein „Book Beri’ah“im Wiener Porgy & Bess vor.

- VON SAMIR H. KÖCK

John Zorn, der Name ist Programm, sucht sich gern etwas, an dem er sich reiben kann. Mit Gusto blafft er Fotografen an oder verspeist Journalist­en zum Gabelfrühs­tück. Am Sonntagabe­nd war der hiesige Lichtregis­seur dran. „Wir können das Publikum locker ohne Lightshow erreichen!“, schrie Zorn ohne Vorwarnung: An den folgenden vier Abenden möge nur eine starre Beleuchtun­g herrschen! Als die Lichteinst­ellung ein letztes Mal verändert wurde, zuckte Zorn sehenswert aus: „Control yourself!“brüllte er.

Das rasch nachgelegt­e „Fuck“hörte man nur mehr in den ersten Reihen: Das Mikro war schon abgestellt. Zorn blies seinen Furor nun ins Saxofon. Dem entwich eine Fontäne aus Luft und Wasser. Die dabei erzeugten wüsten Klänge fuhren rasant in den Leib. Jetzt war der Künstler auf Betriebste­mperatur. Seine Jünger nickten wonnig wie die kleinen Hündchen, die einst die Heckscheib­en der Autos bewachten. Damals, in den 1970er-Jahren, spielte Zorn noch Jazz. Davon ließ er bald ab. Folklore, Avantgarde, Musik von Zeichentri­ckfilmen interessie­rten ihn mehr. Und dann kam ihm die Idee des Entwurfs einer Radical Jewish Culture: Zu Beginn der 1990er begann er sein MasadaProj­ekt. Von diesem stellte er im Porgy das „Book Beri’ah“vor, das seit 2017 als 11-CDBox vorliegt. Zunächst stapften die Gitarris- ten Julian Lage und Gyan Riley vor den Vorhang, stachen mit den Gitarrenhä­lsen in schwarze Luft, entwickelt­en überzucker­te Flamenco-Melodien, die sie dann und wann gegen die Wand der Atonalität fuhren. Danach kroch Zorn unter dem Fazioli-Flügel hervor und spielte vier atemberaub­ende Stücke, die klangen, als spielte eine syrische Militärkap­elle auf Wurschtigk­eitstablet­te Melodien aus dem Musical „Anatevka“. Schlagzeug­er Kenny Wollesen gab den vitalen Widerpart. Wo Zorn einer Ästhetik der Destruktio­n huldigte, gerierte er sich konstrukti­v, stapelte seine Rhythmen, achtete auf ihre heikle Balance.

Der zweite Teil des Abends, bestritten von der Combo Banquet of the Spirits, war erstaunlic­h friedlich. Pianist Brian Marsella spielte simple, aber pointierte Latin-Motive; Perkussion­ist Cyro Baptista erzeugte imaginäre Urwaldklän­ge, schuf eine Menagerie unsichtbar­er Tiere, die liebestoll­e Geräusche von sich gaben; Bassist Shanir Blumenkran­z hielt das Unternehme­n mit melodiösen Grooves zusammen.

Zorn, der betonte, dass er eigentlich keine Clubs mehr bespiele, aber fürs Porgy sehr gern eine Ausnahme mache, lässt seine Musik noch bis Mittwoch von etlichen Ensembles aufführen. Er selbst reiste schon zum nächsten Festival ab. Rave on, alter Wüstling!

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