Belvedere. Drozda. Ministerium. Parlament. Löwelstraße. Skandal!
Betrachten wir noch einmal dieses Sittenbild, auf dem die typisch österreichische Schlamperia, Kameraderia und Ablenkungsmanöveria naturgetreu dargestellt sind.
Sicher, der ÖVP hätte im täglichen Schlagabtausch um Mindestsicherung, Kinderbeihilfe, Arbeitszeitänderung, Ausstieg aus dem UNO-Migrationspakt nichts Besseres passieren können als dieses von der SPÖ frei Haus gelieferte Ablenkungsmanöver. Trotzdem ist erstaunlich, wie die türkise Regierungspartei über den von SP-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda problematischen Bildertransport hyperventiliert, während sie die nicht gerade wenigen extremen Rechtsausrutscher und Plakataktionen des Koalitionspartners um des lieben Koalitionsfriedens willen beharrlich kleinredet oder gleich ganz verschweigt.
Doch die offenbar recht freihändig vom Belvedere genehmigte Übersiedlung des Kocherscheidt-Gemäldes an Drozdas neue Wirkungsstätte ist auch ein Paradebeispiel für die Verwechslung von Person und Funktion. Kommt öfter vor, wenn Machtmenschen nach erfolgreicher Karriere in eine das Ego verstörende Bedeutungslosigkeit rasseln. Plötzlich kein Chauffeur mehr, Einladungen zu allerhand Gschisti-gschasti bleiben aus. Und die Kunst soll man sich dann auch noch selbst kaufen. Danke. Da können einem schon die einen oder anderen Anstandsregeln durcheinandergeraten.
Fakt ist, dass der Kultur- und Kanzleramtsminister, der im Juni 2016 im Depot des Belvederes den Wandschmuck für sein Büro gefunden hat, Thomas Drozda geheißen hat. Das Werk wurde allerdings nicht an ihn als Person, sondern an das Bundeskanzleramt verliehen. Folglich war der Vertrag zwischen Kanzleramt und Belvedere noch aufrecht, als Drozda das Kocherscheidt-Bild übersiedeln ließ.
Und das Museum? War es vertrauensvolle Freundschaft, als es, ohne vorher den Vertrag mit dem Bundeskanzleramt zu beenden und einen neuen mit Herrn Drozda (oder der SPÖ) zu schließen, die Übersiedlung in den SP-Parlamentsklub erlaubte – und das Bild erst retourforderte, als es auf dem Boden der Realität in der Löwelstraße landete?
Wer wäre eigentlich haftbar gewesen, wäre das Bild beschädigt worden? Das Kanzleramt als Vertragspartner? Thomas Drozda? Das Belvedere? Dessen Chefs? Die SPÖ? War Drozda so unwissend wie damals, als er für die kaufmännischen Belange des Burgtheaters verantwortlich war und, wie er stets betonte, von der kreativen Buchführung nichts mitbekommen hatte – was seine damalige Mitarbeiterin Sylvia Stantejsky übrigens anders in Erinnerung zu haben scheint?
Der Innenpolitikchef einer Boulevardzeitung twitterte: „Mit thomasdrozda und seinem Faible für Kocherscheidt hat seit langem kein Politiker so viel für die Popularität zeitgenössischer Kunst geleistet. Allerdings: ohne Zutun des bekannt kunstsinnigen Herrn Nehammer wäre das nicht möglich gewesen.“Weder dieses Tweet noch Drozdas Retweet „Agree“ist schlagfertig oder gar lustig. Denn freilich kann man argumentieren, es sei allemal besser, ein Bild werde gesehen – und sei es als Fototapete für Interviews. Wahr ist aber auch, dass dank einer allzu hallodrigen Verleihpraxis Tausende Objekte aus Bundesmuseen verschwunden sind.
Der Direktor der Wiener Sängerknaben etwa hängte 1968 ein Gemälde Girolama di Santacroces – eine Leihgabe des Kunsthistorischen Museums – in seinem Büro und nach seiner Pensionierung als persönliches Erinnerungsstück daheim auf. Als es einer der Erben 2009 schließlich verscherbeln wollte, bemerkte das KHM den Verlust und holte das Werk zurück.
Fälle wie dieser bewogen den Rechnungshof 2010 zur Empfehlung, Kunstwerke künftig nicht mehr an Private zu verborgen (was einen Ad-personam-Vertrag mit Drozda gravierend erschwert hätte). Drozdas Nachfolger, Gernot Blümel (ÖVP), schmückt seine Bürowände mit Arbeiten von Martha Jungwirth und Brigitte Kowanz aus dem Mumok-Bestand. Dass der Kocherscheidt verschwunden war, hätte ihm schon längst auffallen müssen. Oder war es Blümel so lang egal, bis das Skandalpotenzial des Bildertransports ersichtlich wurde?