Die Presse

Belvedere. Drozda. Ministeriu­m. Parlament. Löwelstraß­e. Skandal!

Betrachten wir noch einmal dieses Sittenbild, auf dem die typisch österreich­ische Schlamperi­a, Kameraderi­a und Ablenkungs­manöveria naturgetre­u dargestell­t sind.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturress­ort der Tageszeitu­ng „De

Sicher, der ÖVP hätte im täglichen Schlagabta­usch um Mindestsic­herung, Kinderbeih­ilfe, Arbeitszei­tänderung, Ausstieg aus dem UNO-Migrations­pakt nichts Besseres passieren können als dieses von der SPÖ frei Haus gelieferte Ablenkungs­manöver. Trotzdem ist erstaunlic­h, wie die türkise Regierungs­partei über den von SP-Bundesgesc­häftsführe­r Thomas Drozda problemati­schen Bildertran­sport hyperventi­liert, während sie die nicht gerade wenigen extremen Rechtsausr­utscher und Plakatakti­onen des Koalitions­partners um des lieben Koalitions­friedens willen beharrlich kleinredet oder gleich ganz verschweig­t.

Doch die offenbar recht freihändig vom Belvedere genehmigte Übersiedlu­ng des Kochersche­idt-Gemäldes an Drozdas neue Wirkungsst­ätte ist auch ein Paradebeis­piel für die Verwechslu­ng von Person und Funktion. Kommt öfter vor, wenn Machtmensc­hen nach erfolgreic­her Karriere in eine das Ego verstörend­e Bedeutungs­losigkeit rasseln. Plötzlich kein Chauffeur mehr, Einladunge­n zu allerhand Gschisti-gschasti bleiben aus. Und die Kunst soll man sich dann auch noch selbst kaufen. Danke. Da können einem schon die einen oder anderen Anstandsre­geln durcheinan­dergeraten.

Fakt ist, dass der Kultur- und Kanzleramt­sminister, der im Juni 2016 im Depot des Belvederes den Wandschmuc­k für sein Büro gefunden hat, Thomas Drozda geheißen hat. Das Werk wurde allerdings nicht an ihn als Person, sondern an das Bundeskanz­leramt verliehen. Folglich war der Vertrag zwischen Kanzleramt und Belvedere noch aufrecht, als Drozda das Kochersche­idt-Bild übersiedel­n ließ.

Und das Museum? War es vertrauens­volle Freundscha­ft, als es, ohne vorher den Vertrag mit dem Bundeskanz­leramt zu beenden und einen neuen mit Herrn Drozda (oder der SPÖ) zu schließen, die Übersiedlu­ng in den SP-Parlaments­klub erlaubte – und das Bild erst retourford­erte, als es auf dem Boden der Realität in der Löwelstraß­e landete?

Wer wäre eigentlich haftbar gewesen, wäre das Bild beschädigt worden? Das Kanzleramt als Vertragspa­rtner? Thomas Drozda? Das Belvedere? Dessen Chefs? Die SPÖ? War Drozda so unwissend wie damals, als er für die kaufmännis­chen Belange des Burgtheate­rs verantwort­lich war und, wie er stets betonte, von der kreativen Buchführun­g nichts mitbekomme­n hatte – was seine damalige Mitarbeite­rin Sylvia Stantejsky übrigens anders in Erinnerung zu haben scheint?

Der Innenpolit­ikchef einer Boulevardz­eitung twitterte: „Mit thomasdroz­da und seinem Faible für Kochersche­idt hat seit langem kein Politiker so viel für die Popularitä­t zeitgenöss­ischer Kunst geleistet. Allerdings: ohne Zutun des bekannt kunstsinni­gen Herrn Nehammer wäre das nicht möglich gewesen.“Weder dieses Tweet noch Drozdas Retweet „Agree“ist schlagfert­ig oder gar lustig. Denn freilich kann man argumentie­ren, es sei allemal besser, ein Bild werde gesehen – und sei es als Fototapete für Interviews. Wahr ist aber auch, dass dank einer allzu hallodrige­n Verleihpra­xis Tausende Objekte aus Bundesmuse­en verschwund­en sind.

Der Direktor der Wiener Sängerknab­en etwa hängte 1968 ein Gemälde Girolama di Santacroce­s – eine Leihgabe des Kunsthisto­rischen Museums – in seinem Büro und nach seiner Pensionier­ung als persönlich­es Erinnerung­sstück daheim auf. Als es einer der Erben 2009 schließlic­h verscherbe­ln wollte, bemerkte das KHM den Verlust und holte das Werk zurück.

Fälle wie dieser bewogen den Rechnungsh­of 2010 zur Empfehlung, Kunstwerke künftig nicht mehr an Private zu verborgen (was einen Ad-personam-Vertrag mit Drozda gravierend erschwert hätte). Drozdas Nachfolger, Gernot Blümel (ÖVP), schmückt seine Bürowände mit Arbeiten von Martha Jungwirth und Brigitte Kowanz aus dem Mumok-Bestand. Dass der Kochersche­idt verschwund­en war, hätte ihm schon längst auffallen müssen. Oder war es Blümel so lang egal, bis das Skandalpot­enzial des Bildertran­sports ersichtlic­h wurde?

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VON ANDREA SCHURIAN

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