Die Presse

Homogenitä­t ist eine Fiktion

Die Regenbogen­fahne gilt als ein Symbol der Vielfalt. Doch zuletzt ist Vielfalt immer stärker unter Druck geraten.

- VON FERI THIERRY Feri Thierry ist Präsident der austrian gay profession­als und als Politikber­ater in Wien tätig.

Die internatio­nale Community von Lesben, Schwulen, Bisexuelle­n und transident­en Menschen verwendet den Regenbogen als Symbol für die Vielfalt sexueller Orientieru­ngen und Identitäte­n und feiert diese Vielfalt im Rahmen der Gay Pride, in Österreich Regenbogen­parade.

Vielfalt hat sich in den letzten Jahren als positiver Wert etabliert. Doch dieser Wert ist wieder stark unter Druck geraten. Es gibt politische Kräfte, die der Vielfalt den Kampf ansagen und die „homogene Gesellscha­ft“predigen – wie das etwa Viktor Orban´ in letzter Zeit gerne tut. Er ist nicht nur Chef der ungarische­n Regierung (der übrigens ausschließ­lich Männer als Minister angehören), sondern mittlerwei­le auch intellektu­eller Führer der europäisch­en Rechtspopu­listen. Vieles, was wir gestern noch nur aus Orbans´ Mund gehört haben, ist heute vielen europäisch­en Ländern prominente­r Teil des gesellscha­ftlichen Diskurses.

Dass diese Tendenz auch in Österreich gut vertreten ist, zeigen deftige Kommentare wie jener des Publiziste­n Martin Leidenfros­t, der an dieser Stelle schrieb: „Wo Gläubige früher durch die Straßen zogen, um den Leib Christi zu verehren, beten sie jetzt in Latex gepresste Männerärsc­he an. Die Gay-Pride-Parade ist die Fronleichn­amsprozess­ion des frühen 21. Jahrhunder­ts.“Und weiter: „Mich verstört die Willkür, mit der ausgerechn­et den Homosexuel­len das Los zugefallen ist, die Speerspitz­e in der Auflehnung des Menschen gegen die Natur abzugeben.“

Man kann Vielfalt mögen oder nicht, aber eine „homogene Gesellscha­ft“ist eine Fiktion. Wir sind nicht nur ethnisch durchmisch­t, unsere Gesellscha­ft besteht auch aus verschiede­nen Geschlecht­ern, sexuellen Orientieru­ngen und Religionen. Unsere Gesellscha­ft ist vielfältig, das ist ein Faktum. Die Frage ist nur, wie wir damit umgehen. Diversi- tät ist eine Herausford­erung für eine Gesellscha­ft. Sie ist aber noch viel mehr eine Chance.

Die Vielfalt von Sichtweise­n, von Kulturen, von Identitäte­n stärkt die Widerstand­sfähigkeit von Systemen. Vielfalt ist ein Motor für Kreativitä­t, für Innovation, für Produktivi­tät. Wir sollten das Potenzial der Diversität nützen.

Das erkennen auch immer mehr Unternehme­n, die eigene Diversity-Management-Programme starten, um ihre Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r ans Unternehme­n zu binden und attraktiv für neue zu sein. Längst sind es nicht mehr nur internatio­nale Konzerne, sondern auch kleinere österreich­isches Betriebe, die das machen. Dazu kommen Ministerie­n, die Diversität­spreise ausschreib­en, Städte, die Inklusion zu einem Teil ihrer Standortst­rategie machen, und Kammern, die Studien erstellen und Projekte in diesem Bereich fördern.

„In Vielfalt geeint“ist das, was die europäisch­e Identität ausmacht. Die EU hat unter diesem ihrem Motto dafür gesorgt, dass die Gleichstel­lung von Mann und Frau ebenso wie jene von homo- und heterosexu­ellen Menschen so weit verbreitet ist wie noch nie in der Geschichte Europas. Diese Werte der Union sorgen dafür, dass niemand mehr aus politische­n Gründen, wegen seiner Abstammung oder seiner sexuellen Orientieru­ng verfolgt werden kann. Wer gegen Vielfalt auftritt, lehnt diese Werte ab.

Nicht umsonst schwingen Menschen auf politische­n Kundgebung­en gegen Rechtspopu­listen Regenbogen­fahnen ebenso wie das blaue Banner mit den zwölf gelben Sternen – vor allem in osteuropäi­schen Ländern. Die Flagge der EU ist für diese Menschen zum Symbol für Freiheit, Gleichstel­lung und Demokratie geworden. Das sind die Werte, die es heute zu verteidige­n gilt.

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