Die Presse

Unbefangen Sibelius hören!

Die Zeit der imaginären Schere im Kopf ist vorbei, Repertoire-Ausweitung in Sicht.

- E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Jetzt, da Wien gerade wieder „modern“ist, kann sich der geneigte Musikfreun­d doch bei manchen Veranstalt­ungen jenseits des Festivals ein Bild davon machen, wie eng der Begriff der musikalisc­hen Moderne über die Jahre gefasst war.

Die Ära nach dem Zweiten Weltkrieg hat da recht rigorose Grenzlinie­n gezeichnet und ziemlich hohe Wände in unseren Köpfen aufgezogen. Anfang des 20. Jahrhunder­ts war man ja noch nicht so zimperlich mit den Zuweisunge­n, und es galt alles, was zeitgenöss­isch war, als „modern“. Also neben Arnold Schönberg, sagen wir, auch Richard Strauss oder Erich W. Korngold, Julius Bittner oder Franz Schmidt.

Spätere Generation­en mussten vorsichtig sein mit der Verwendung des Begriffs, wollten sie sich nicht dem Vorwurf der Rückschrit­tlichkeit aussetzen.

Vor allem ein Name galt den Vordenkern als suspekt: der des finnischen Nationalko­mponisten Jean Sibelius. Seit Adorno ihn aufs Schärfste verurteilt hatte, durften Veranstalt­er in deutschspr­achigen Landen Sibelius nur quasi mit Zusatztafe­l aufs Programm setzen.

Dabei hat gerade der große Finne aufgezeigt, wie man mit kluger Neudefinit­ion althergebr­achter Sprachmitt­el neues Terrain erschließe­n kann. Dass er außerdem auch Musik schrieb, die hitparaden­verdächtig melodisch war, machte ihn vollends unmöglich. Stücke wie „Finlandia“stürmten die Charts – vor allem im anglofonen Raum.

Der Blick auf kühnere Stücke, die der Postmodern­e den Weg ebneten, blieb zumindest hierzuland­e verstellt. In jüngster Zeit wendet sich das Blatt: Bei den Symphonike­r ist dieser Tage wieder das stets populäre Violinkonz­ert zu hören – Camilla Nylund singt aber im Musikverei­n einige Sibelius-Lieder; und die gehören zu den Raritäten.

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