Unbefangen Sibelius hören!
Die Zeit der imaginären Schere im Kopf ist vorbei, Repertoire-Ausweitung in Sicht.
Jetzt, da Wien gerade wieder „modern“ist, kann sich der geneigte Musikfreund doch bei manchen Veranstaltungen jenseits des Festivals ein Bild davon machen, wie eng der Begriff der musikalischen Moderne über die Jahre gefasst war.
Die Ära nach dem Zweiten Weltkrieg hat da recht rigorose Grenzlinien gezeichnet und ziemlich hohe Wände in unseren Köpfen aufgezogen. Anfang des 20. Jahrhunderts war man ja noch nicht so zimperlich mit den Zuweisungen, und es galt alles, was zeitgenössisch war, als „modern“. Also neben Arnold Schönberg, sagen wir, auch Richard Strauss oder Erich W. Korngold, Julius Bittner oder Franz Schmidt.
Spätere Generationen mussten vorsichtig sein mit der Verwendung des Begriffs, wollten sie sich nicht dem Vorwurf der Rückschrittlichkeit aussetzen.
Vor allem ein Name galt den Vordenkern als suspekt: der des finnischen Nationalkomponisten Jean Sibelius. Seit Adorno ihn aufs Schärfste verurteilt hatte, durften Veranstalter in deutschsprachigen Landen Sibelius nur quasi mit Zusatztafel aufs Programm setzen.
Dabei hat gerade der große Finne aufgezeigt, wie man mit kluger Neudefinition althergebrachter Sprachmittel neues Terrain erschließen kann. Dass er außerdem auch Musik schrieb, die hitparadenverdächtig melodisch war, machte ihn vollends unmöglich. Stücke wie „Finlandia“stürmten die Charts – vor allem im anglofonen Raum.
Der Blick auf kühnere Stücke, die der Postmoderne den Weg ebneten, blieb zumindest hierzulande verstellt. In jüngster Zeit wendet sich das Blatt: Bei den Symphoniker ist dieser Tage wieder das stets populäre Violinkonzert zu hören – Camilla Nylund singt aber im Musikverein einige Sibelius-Lieder; und die gehören zu den Raritäten.