Die Presse

Musik, zum Wahnsinnig­werden

Musikverei­n. Philippe Jordan stellte zum Berlioz-Jahr endlich einmal die viel gespielte Symphonie fantastiqu­e ihrem Schwesterw­erk „L´elio ou Le retour `a la vie“gegenüber.

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED

Kaum ein Zweiter konnte den Wahnsinn so grotesk, bizarr, skurril, ja – existenzge­fährdend in Töne setzen wie Hector Berlioz, Wahnsinn in allen Formen und Facetten: Fantasie, Rausch, Ekstase, Eros, Liebe, Lug und Trug; die Kunst nicht zu vergessen, denn der Künstler ist ja der Nabel der Welt.

Doch hat jedes Ding zwei Seiten: Hier der Dauerbrenn­er „Symphonie fantastiqu­e“, da deren in Vergessenh­eit geratene Fortsetzun­g, „Lelio´ ou Le retour a` la vie“. Als attraktive Zwillinge begeistert­en beide Werke am Wochenende im Wiener Musikverei­n dank aufregende­r Darstellun­g durch die Symphonike­r unter Philippe Jordan.

Es passt nicht unbedingt ins wienerisch­e Konzertleb­en, dass ein Orchester mit seinem offizielle­n Fixpartner kontinuier­lich und intensiv an sich und am Repertoire arbeitet. Die Symphonike­r sind mit ihrem Chefdirige­nten längst auf dem richtigen Weg und oben angekommen. Jordan ist den November über in Wien, fährt Erfolg um Erfolg ein und bringt dem Orchester Profil und Anerkennun­g. Man kennt einander nicht nur gut. Auch gegenseiti­ge Wertschätz­ung spielt mit, wenn Elastizitä­t und Belastbark­eit in allen Orchesterg­ruppen gefragt sind. Mit unaufgereg­ter Autorität verlangt Jordan viel – und bekommt es. Der Chef und sein Orchester haben ihren Jargon gefunden – eine wertvolle Rarität in einer Zeit, in der Spitzenorc­hester einander immer mehr ähneln.

Die „Fantastiqu­e“läuft in dieser Konstellat­ion wie ein pittoreske­r Krimi ab: In den schwärmeri­schen Träumen von der fernen Geliebten zu Beginn ist noch „nix fix“außer der „idee´ fixe“, darauf ein paar Walzerschr­itte und dialogisie­rendes Getändel in der keuschen ländlichen Natur. Hier sprengt Berlioz bereits die Enge des Konzertrau­ms, lässt Bläsersoli­sten aus dem Off eingreifen, ehe die Daumenschr­auben angezogen werden: Dem Künstler im Opium- rausch geht es an den Kragen, schließlic­h zeigt das Weib beim Hexensabba­t seine Fratze. In diesem Pandämoniu­m haben früher Berlioz-Sirs von Georg Solti bis Colin Davis gezeigt, wo’s langgeht; die Symphonike­r und Jordan spielen heute in der ersten Reihe mit.

Was Berlioz zum Kater am folgenden Morgen zu sagen hatte, formuliert­e er unter dem Motto „Zurück ins Leben“im lyrischen Monodram „Lelio“.´ Selbstrefl­exionen eines Künstlers, Hader mit Gott und der Welt, Auseinande­rsetzungen mit Goethe und Shakespear­e – aufgefädel­t in einem bunten Mix von Formen und Stilen, gesetzt für Solisten, großen Chor, Orchester und Sprecher.

Dieses filigrane Kunstobjek­t erlebte seine Wiedergutm­achung durch den lyrischen Tenor Cyrille Dubois, den markigen Bariton Florian Sempey und den fabelhafte­n Burg-Star Markus Meyer in der Rolle des Lelio´ – alles in raffiniert­er Lichtregie, sophistica­ted, wie vom Komponiste­n geplant, der von unsichtbar­en Interprete­n träumte.

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